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# taz.de -- Landesparteitag der Berliner Grünen: Jarasch wirbt für gutes Klima
> Die grüne Spitzenkandidatin kämpft um die Stimmen von frustrierten
> Klimaschützern. Von der CDU grenzt sie sich deutlich ab – kopiert aber
> eine Kampagne.
Bild: Die Linke will die Rechte ablösen: Bettina Jarasch mit Franziska Giffey …
Berlin taz | Die Laufschuhe noch mal geschnürt, dann läuft die Gestalt im
grauen Kapuzenpulli los. Das Treppenhaus runter, an einem Solarpanel
vorbei, das gerade ganz zufällig über die Straße getragen wird. Nicht wie
aus dem Laufstil-Lehrbuch, aber immer lächelnd. An Autos und grüßenden
Menschen vorbei bis zu einem trutzigen roten Backsteinbau. Dort bleibt die
Joggerin mit sehnsüchtiger Haltung stehen, um in der nächsten Einstellung
im schwarzen Hosenanzug direkt in die Kamera zu schauen –
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch auf dem Weg zur Macht im Roten
Rathaus.
Dieses neue Wahlkampfvideo läuft gleich zu Beginn des
Grünen-[1][Landesparteitags am Samstag] im Neuköllner Hotel Estrel.
Jaraschs Schuhe sind nicht jene, die sie Ende 2020 an gleicher Stelle nach
ihrer Nominierung zur Spitzenkandidatin bekam – die sollten sie mit einem
großen „B“ darauf ins Berliner Spitzenamt führen. Sie trage die Schuhe zw…
auch noch, aber die sähen inzwischen ein bisschen abgeranzt aus, erzählt
Jarasch später der taz.
Schon bei dem Laufschuh-Geschenk vor etwa zwei Jahren tat sich eine
Parallele auf, die sich nun wiederholt: [2][Mit der Kampagne „Diepgen
rennt“] und dem Modell „Ebi-Runner“ lief schon 1999 der fast abgeschriebe…
damalige CDU-Regierungschef Eberhard Diepgen noch zum Wahlsieg – um zwei
Jahre später im Bankenskandal politisch unterzugehen.
Diepgens Wahlergebnis von seither in Berlin nicht mehr erreichten 40,4
Prozent würde Jarasch mutmaßlich gern übernehmen. [3][In der jüngsten
Umfrage] kommt ihre Partei auf etwas mehr als halb so viele Prozent. Das
reicht vorerst nur für Platz zwei hinter der CDU, die mit 23 Prozent
erstmals seit 2020 vorne liegt.
Wichtiger aber ist, dass die Umfrage zugleich einen
3-Prozentpunkte-Vorsprung vor der SPD ergab – und damit die Führung im
links-grünen Lager. Da es trotz des CDU-Anstiegs angesichts von insgesamt
50 Prozent für die bisherige Koalition mit SPD und Linkspartei reichen
würde, hieße das bei einem ähnlichen Ergebnis am Wahlabend am 12. Februar:
Jarasch wäre höchstwahrscheinlich die neue Regierungschefin und
Nachfolgerin von Franziska Giffey (SPD)
## Die SPD taucht kaum auf
Es ist aber nicht die SPD, an der sich die Partei bei ihrem Treffen
abarbeitet, sondern die CDU. Denn es gibt durchaus Varianten bei
entsprechendem Wahlausgang, bei denen die CDU die kommende Regierung
anführen würde. Allein dass sich die Grünen mehrfach auf sie beziehen,
spricht dafür, dass für Jarasch der Lauf zum Roten Rathaus noch lange nicht
zu Ende ist. Die SPD taucht hingegen kaum auf, nur am Rand kritisieren
Redner Regierungschefin Giffey, weil sie [4][Enteignung zur persönlichen
Gewissensfrage] gemacht hat.
Jarasch selbst bleibt beim Parteitag in Sachen Enteignung bei ihrer
Irgendwo-dazwischen-Haltung, auch wenn Wahlplakate aus dem grünen
Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg fordern, den entsprechenden
Volksentscheid von 2021 umzusetzen. „Ob es in fünf oder zehn Jahren ein
Vergesellschaftungsgesetz gibt, kann heute niemand seriös sagen“, sagt sie,
„denn bis dahin ist es noch ein langer Weg.“ Sie wolle nicht, dass Berlin
damit vor dem Verfassungsgericht scheitert. Bei der Linkspartei hingegen
hält es ihr Spitzenkandidaten-Kollege Klaus Lederer für möglich, dass der
Senat [5][bis Jahresende ein solches Gesetz vorlegt].
Den Parteitag prägt, dass er nur wenige Tage nach der Räumung von Lützerath
stattfindet. Das Dorf in Nordrhein-Westfalen ist zwar fast 600 Kilometer
vom Neuköllner Tagungshotel entfernt, aber in vielen Redebeiträgen präsent.
Nicht nur eingangs, immer wieder kommen Delegierte darauf zu sprechen,
während die Partei ihr 169-seitiges [6][aktualisiertes Wahlprogramm]
diskutiert und beschließt.
Jaraschs Aufgabe an diesem Tag ist klar: gefrustete Grüne, die enttäuscht
von ihrer in NRW mitregierenden Partei sind, auffangen und wieder ins Boot
holen. Dass Befürchtungen berechtigt sind, Lützerath könne die Grünen am
12. Februar entscheidende Stimmen kosten, weil Unterstützer nicht wählen
gehen oder für die Konkurrenz von der Klimaliste votieren könnten, spiegeln
mehrere Äußerungen am Rednerpult wider.
## Viele zweifeln an der eigenen Partei
Nicht nur die Grüne Jugend, auch ältere Mitglieder berichteten dort von
Zweifeln an der eigenen Partei. Eine Delegierte im Rentenalter, nach
eigenen Worten gerade zurück aus Lützerath, formuliert es so: „Ich dachte,
ich gehe raus aus den Grünen.“ Ein langjähriger Parlamentarier vom
Realo-Flügel, der daran erinnerte, dass Parlaments- und Regierungsarbeit
stets Kompromisse erfordert, bekommt weit weniger Beifall.
Wie das zusammenführen? Jarasch mischt Zuwendung, Drohkulisse und Bitten.
Sie verstehe den Frust und den Protest in Lützerath – „was dort vereinbart
wurde, ist kein toller Erfolg.“ Es handele sich um einen mühsam
verhandelten Kompromiss, „der uns nicht zufrieden machen kann.“ Aber ohne
die Grünen gäbe es selbst diesen Kompromiss nicht.
Die Drohung besteht darin, dass Jarasch die Alternative ausmalt: Die Grünen
hätten die Chance, nach dem 12. Februar den Senat anzuführen – sonst drohe
eine konservative CDU im Roten Rathaus, die die A100 als „Klimaautobahn“
weiterbauen will. Jaraschs Appell schließlich: „Deshalb bitte ich die
Klimabewegung, diese Chance für Berlin zu unterstützen.“ Zudem begrüßen d…
Grünen ausdrücklich den Klima-Volksentscheid.
Inhaltlich stellt Jarasch einen Plan vor, wie Berlin unter grüner Führung
in zehn Jahren aussehen soll. Das macht sie ganz anders als tags zuvor
[7][Linkspartei-Spitzenkandidat Lederer beim taz Talk]: Der mochte nichts
versprechen, was noch in den Sternen steht, sondern sprach weit
vorsichtiger davon, seine Partei und er würden sich für etwas einsetzen,
kämpfen, sich bemühen.
Jarasch redet im Präsens und mag keinen Zweifel an der Umsetzung ihres
Plans aufkommen lassen. Berlin ist demnach in zehn Jahren „Schlusslicht bei
Staus“, jede zweite Wohnung ist in gemeinwohlorientierter Hand – und das
29-Euro-Ticket gilt deutschlandweit. Wobei Jarasch für Letzteres eher
Bundeskanzlerin und nicht bloß Regierende Bürgermeisterin sein müsste.
Das kann man nun ambitioniert nennen oder als Wünsch-dir-was abtun. Eins
zeigt es in jedem Fall: Jaraschs Lauf würde, einen Wahlerfolg
vorausgesetzt, mit den neun bis zehn Kilometern von ihrer Wohnung zum Roten
Rathaus erst richtig anfangen. Und zu den verschlissenen Schuhen mit dem
„B“ würden bald noch einige durchgelaufene Paare dazukommen.
22 Jan 2023
## LINKS
[1] /Berliner-Gruene-vor-Wahlwiederholung/!5910189
[2] /Archiv-Suche/!5733579&s=alberti+jarasch+diepgen&SuchRahmen=Print/
[3] https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2023/beitraege/berli…
[4] /Wahlwiederholung-am-12-Februar/!5909665
[5] /Berliner-Linke-Landesparteitag/!5908704
[6] https://gruene.berlin/fileadmin/BE/lv_berlin/Wahl_2023/Wahlprogramm_2023_mi…
[7] /taz-Talk-zur-Berlin-Wahl-2/!5910182
## AUTOREN
Stefan Alberti
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