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# taz.de -- Klimaliste-Spitzenkandidat im Interview: „Auf die Grünen ist kei…
> Antonio Rohrßen glaubt, dass seine Partei vom Imageverlust der Grünen
> durch Lützerath profitiert. Einzug in die BVV Friedrichshain-Kreuzberg
> als Ziel.
Bild: Berlin möglichst bald klimaneutral: Demo-Teilnehmner trägt seine Forder…
taz: Herr Rohrßen, die Grünen haben am Wochenende ihr Wahlprogramm
beschlossen und dabei auch den [1][Volksentscheid „Berlin 2030
klimaneutral“] begrüßt. Wie interpretieren Sie das als Spitzenkandidat der
Klimaliste?
Antonio Rohrßen: Das ist reiner Wahlkampfsprech. Dahinter steckt, dass die
Grünen es sich nicht verscherzen möchten mit der Berliner Klimabewegung.
Mich erinnert das leider auch sehr stark daran, wie die Grünen laviert
haben rund um den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen.
Die [2][grüne Umweltsenatorin Bettina Jarasch] und der Grünen-Parteichef
Werner Graf haben immer erklärt, „Berlin 2030 klimaneutral“ ließe sich gar
nicht umsetzen. Weder sei das Geld dafür da noch die erforderlichen
Fachkräfte. Wie sehen Sie das?
Natürlich lässt sich das umsetzen, aber Berlin müsste sofort in den
Krisenmodus schalten. Dazu sind die Grünen aber nicht bereit. Das ist auch
der Kernunterschied zwischen der Klimaliste und den Grünen. Wir sagen, die
Klimakrise ist so dringend, dass dafür viele andere Projekte stehen und
liegen gelassen und Fachkräfte eingestellt werden müssen. Und wenn es
bedeutet, dass sich Berlin hoch verschuldet, dann ist das so. An unsere
Zukunft kann man kein Preisschild hängen.
Wie groß schätzen Sie den Schaden ein, den die Grünen durch die
Befürwortung der [3][Räumung von Lützerath] zugunsten der Kohleförderung
erlitten haben?
Ich bin mir sicher, dass die Grünen dadurch Wähler verlieren. Es haben sich
auch bei uns schon Wähler*innen direkt gemeldet, ich habe solche
Gespräche auch in Lützerath geführt.
Sie haben selbst an der Besetzung teilgenommen.
Ja, unsere Bezugsgruppe hat in Lützerath bis zum letzten möglichen Moment
ausgeharrt – im letzten besetzten Steinhaus.
Wird die Klimaliste bei den Wahlen von Lützerath politisch profitieren?
Da bin ich mir sicher. Vor allem Menschen, die schon in der Klimabewegung
aktiv sind, suchen nach Alternativen. Ich erlebe große Frustration.
Menschen, die aus Berlin kommen, haben in Lützerath zu mir gesagt: Die
Grünen behaupten, sie seien eine Klimapartei, aber wenn sie in die
Situation kommen, dass schwierige Entscheidungen zu treffen sind, zucken
sie zurück. Wir können uns nicht auf sie verlassen. Ich würde nicht
behaupten, dass jetzt alle diese Wähler*innen zur Klimaliste überwandern,
aber den Grünen schadet die Entscheidung zu Lützerath massiv.
Bei der Wahl im Herbst 2021 kam die Klimaliste auf 0,4 Prozent. Was
erwidern Sie Leuten, die sagen, jede Stimme für eine Kleinstpartei ist eine
verschenkte Stimme?
In der Vergangenheit wurde uns das häufig entgegenhalten. Menschen haben
gesagt: Ihr habt das bessere Programm und die glaubwürdigeren Leute, weil
wir aus der Bewegung kommen. Aber sie hätten sich nicht getraut, uns zu
wählen. Dieses Mal erlebe ich das anders, auch aus einer Protestreaktion
heraus. Jetzt heißt es: Wir müssen dieses Statement wirklich setzen. Auch
weil die Politik ein strategisches Korrektiv braucht – auch in den
Parlamenten.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie am 12. Februar?
Das wäre ins Blaue hineingesprochen, weil wir uns nicht in den Umfragen
sehen. Aber ich denke, es gibt einen nicht unbeträchtlichen Teil von
Wähler*innen in Berlin, die uns einen größeren Erfolg wünschen.
Rot-Grün-Rot regiert in Berlin ja schon eine Weile, und wir sehen, dass die
Klimaschutzpolitik nicht ansatzweise ausreicht, um das 1,5-Grad-Limit
einzuhalten. Berlin ist nach wie vor im Blindflug, was Klimaschutz angeht.
Auch wenn die Grünen 5 Prozent mehr bekämen, würde ich meine linke Hand
verwetten, dass wir keine 1,5-Grad-konforme Politik bekommen. Die Partei
ist dafür überhaupt nicht aufgestellt.
Aktuellen Umfragen zufolge wäre derzeit auch eine sogenannte
Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP möglich. Was wäre dann?
Die drei jetzigen Regierungsparteien sagen ganz klar, dass sie zusammen
weiter regieren möchten. Natürlich, alles ist möglich, es sind ja noch ein
paar Wochen bis zur Wahl. Aber es wäre völlig falsch, den kleinen Parteien
die Schuld zuschieben zu wollen. Wenn, dann sind es die Grünen, Linken und
die SPD, die es nicht geschafft haben, genug Stimmen auf sich zu vereinen.
Warum sollte man die Klimaliste wählen?
Ich kann den Menschen der Klimagerechtigkeitsbewegung nur klar sagen: Wollt
ihr Leute im Parlament, die radikal und wirklich ohne falsche Kompromisse
sich für das Klima und 1,5 Grad einsetzen? Dann müsst ihr uns die Stimme
geben.
Haben Sie außer Klima noch etwas anderes im Programm?
Durchaus, aber das Klima ist für uns das dominierende Ziel. Aufgrund der
akuten Notsituation sagen wir, das Klima muss die Brille sein, durch die
wir uns alle anderen Themen anschauen. Aber natürlich sind wir auch eine
ökologische Partei von unserem Programm her. Wir setzen uns stark ein für
den Wandel zu einer regenerativen Landwirtschaft, auch für Tierrechte und
die Abschaffung der Massentierhaltung. Und wir sind auch eine sehr soziale
Partei, die sich sehr wohl stark Gedanken macht, wie wir Wohnraum bezahlbar
zur Verfügung stellen können.
Wie könnte das aussehen?
Zum Beispiel über die konsequente Umsetzung von Deutsche Wohnen & Co
enteignen und auch über die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit beim
Wohnungsbau.
Wäre der Einzug ins Abgeordnetenhaus für Sie eine Wunschvorstellung?
So würde ich das nicht nennen. Wir sind aus Notwehr in die Politik
gegangen. Wir machen das eher aus Verantwortung. Bei uns ist es nicht so
wie in den anderen Parteien – übrigens auch bei den Grünen –, dass
überwiegend Menschen in den Jugendorganisationen herangezüchtet werden, die
nur eins kennen: politische Karriere.
Was haben Sie und und Ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter für einen
Background?
Wir sind zu 80 Prozent aus dem aktivistischen Bereich: ganz viel
Nachbarschaftsinitiativen, Verkehrswende-Initiativen, zum Beispiel
Volksentscheid autofrei, DW enteignen. Wir sind eine sehr linke Partei von
unserem Programm her. Wahrscheinlich ist der Altersschnitt bei uns ein
bisschen jünger als bei anderen Parteien, aber wir haben genauso Aktive,
die im Rentenalter sind. Viele haben einen akademischen Background. Ich
habe einen Bachelorabschluss in Politikwissenschaften gemacht, später bin
ich Klimaaktivist geworden bei der Volksinitiative Klimanotstand. Das war
für mich die politische Initialzündung.
Die Klimaliste hat angekündigt, sich im Wahlkampf auf
Friedrichshain-Kreuzberg zu konzentrieren. Was ist der Grund?
Die kurze Vorbereitungszeit trifft die kleinen Parteien viel stärker. Wir
haben leider keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Wahlkampfkosten vom
letzten Mal erstattet werden, deshalb müssen wir Geld und Ressourcen
bündeln. Friedrichshain-Kreuzberg haben wir ausgewählt, weil die Grünen
dort im Bezirk bereits regieren und wir dennoch viel Unzufriedenheit
erleben, zum Beispiel über die Planung der Bürohochhäuser am
Gleisdreieckpark oder den Amazon-Tower.
Ziel ist also, dort in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einzuziehen?
Ja, wir haben sehr gute Chancen aufgrund der großen Unzufriedenheit, auch
was die Wohnungsfrage und die Neuversiegelung angeht.
Friedrichshain-Kreuzberg ist der Bezirk mit den wenigsten Grünflächen, und
versiegelt munter weiter. Wir sehen uns da ganz klar als radikale
ökologische Alternative.
Was ist Ihre persönliche Triebfeder?
Ich bin überzeugter Berliner, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich
möchte mit Berlin das Beispiel setzen, dass große Städte in Europa im
Einklang mit dem Pariser Abkommen mit dem 1,5-Grad-Limit leben können. Für
mich ist das auch eine Ehrensache. Ich möchte, dass meine Stadt das
schafft.
24 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.berlin2030.org/
[2] /Landesparteitag-der-Berliner-Gruenen/!5910194
[3] /Nach-Raeumung-von-Luetzerath/!5910187
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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Bettina Jarasch
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