# taz.de -- Lieferung von Kampfpanzern an Ukraine: Es geht um mehr als den Leop… | |
> Mit der Panzer-Entscheidung übernimmt der Westen erstmals das ukrainische | |
> Kriegsziel. Europäische Nato-Staaten binden die USA damit an den | |
> Konflikt. | |
Bild: Panzerreparatur bei der Firma Heeresinstandsetzungslogistik in Darmstadt | |
Es ist so etwas wie ein zweiter Schritt der „Zeitenwende“. Ein großer. Die | |
Ankündigungen der vergangenen Woche aus Berlin und Washington, die Ukraine | |
mit schweren Kampfpanzern der Typen M1 [1][Abrams und Leopard 2 | |
auszustatten], ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Einschnitt: Für den | |
weiteren Kriegsverlauf und für das Binnenverhältnis zwischen den USA und | |
den europäischen Nato-Partnerländern. | |
Es darf getrost bezweifelt werden, darauf haben trotz des [2][ukrainischen | |
Jubels] über die Entscheidung viele Militärexpert*innen hingewiesen, dass | |
die Entsendung von insgesamt rund 120 Panzern durch die USA, Deutschland | |
und andere europäische Länder, die ebenfalls über den Leopard 2 verfügen, | |
den Kriegsverlauf während vermuteter Frühjahrsoffensiven wesentlich | |
beeinflussen kann – der Großteil der Panzer wird zu diesem Zeitpunkt noch | |
längst nicht angekommen und die ukrainischen Soldaten werden noch nicht | |
ausreichend geschult sein. Die US-amerikanischen Abrams werden sogar | |
überhaupt erst noch gebaut. | |
Aber: Mit der Zusage haben die Nato-Länder erstmals das ukrainische | |
Kriegsziel akzeptiert und letztlich übernommen, die russischen Truppen aus | |
dem ukrainischen Territorium in Gänze herauszuwerfen. | |
## Deutschland folgt der Kriegsdynamik | |
Die Bundesregierung ist der von Russland vorgegebenen Kriegsdynamik gefolgt | |
– und geht die Eskalation mit. Es erscheint insofern als logisch nicht | |
nachvollziehbar, wenn Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die lieferfreudige | |
FDP-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, jetzt der Forderung der | |
Ukraine nach Kampfjets eine klare Absage erteilt. Denn dass die gebraucht | |
werden, um ukrainisches Territorium von den Besatzungstruppen zu befreien, | |
ist einleuchtend. Bleibt der Westen bei seiner neuen Definition des | |
Engagements, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch diese | |
selbstgezogene rote Linie fällt. | |
Fast noch bedeutsamer aber ist die Panzer-Entscheidung für den Zustand des | |
Nato-Bündnisses. In den letzten zwei Jahrzehnten, über mehrere | |
US-Regierungen hinweg, bestimmte vor allem ein Diskurs die Debatte: Die | |
Forderung der USA an die europäischen Nato-Länder, ihre Militärausgaben | |
deutlich zu steigern, auf mindestens 2 Prozent des jeweiligen | |
Bruttoinlandsprodukts. Erstmals formuliert 2002, im Jahr nach dem Beginn | |
des Afghanistankriegs, wurde es dann 2014 – nach dem russischen Einmarsch | |
und der Annexion der Krim beschlossen. | |
Wirklich erfüllen aber wollten das nur die wenigsten europäischen | |
Nato-Länder, und als der Präsident Trump 2018/19 polternd und rüpelhaft die | |
Europäer beschimpfte, es sei vollkommen unfair, dass sie einfach nichts | |
täten, drückte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch aus, was damals die | |
Mehrheit Deutschland und der meisten europäischen Länder fand: Man lasse | |
sich doch nicht von Trump in eine sinnlose Aufrüstung drängen. | |
Dabei ging es den USA vor allem darum, ihre seit Beginn des Kalten Kriegs | |
ausgesprochene Sicherheitsgarantie für (damals zunächst West-)Europa | |
lockern und die militärischen Kapazitäten umschichten zu können – weg von | |
der Orientierung auf Europa und den Nahen und Mittleren Osten Richtung | |
Asien. | |
Denn gleichzeitig zum Zerfall der UdSSR, zur Auflösung des Warschauer Pakts | |
und zum Nato-Beitritt immer weiterer Länder aus dem ehemals sowjetischen | |
Einflussgebiet stieg China zur Großmacht auf, nicht nur wirtschaftlich, | |
sondern auch mit rasanten Steigerungen des eigenen Militärhaushalts und | |
einem massiven Ausbau des Waffenarsenals – und des politischen Einflusses. | |
Präsident Barack Obama formulierte den geplanten geopolitischen Schwenk der | |
USA in einer eigenen „Ostasienstrategie“. | |
Dass mit dem russischen Angriff auf den ukrainischen Donbass und die | |
Annexion der Krim 2014 plötzlich doch wieder eine militärische Bedrohung in | |
Europa zurück war, ließ Obama umso lauter ein stärkeres Aufrüsten Europas | |
fordern. Trump nahm den Faden auf seine Art auf: Mit seiner tendenziell | |
isolationistischen „America First“-Haltung schimpfte er zwar auf die | |
Europäer und drohte ihnen, zeigte aber gleichzeitig keinerlei Willen, | |
Präsidenten Putin wegen der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion politisch | |
ernsthaft zu konfrontieren. | |
Die unter Obama formulierte Umorientierung auf Asien und die | |
Auseinandersetzung mit China als wichtigstem Gegenspieler findet sich auch | |
in der vergangenes Jahr formulierten [3][Nationalen Sicherheitsstrategie] | |
der Biden-Regierung. Deren Veröffentlichung war eigentlich für Herbst 2021 | |
geplant und dann wegen des russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur | |
Ukraine verschoben worden. Darin heißt es sinngemäß: Zwar sei Russland mit | |
seinem Versuch, das Völkerrecht auszuhebeln und militärisch innerhalb | |
Europas Grenzen zu verschieben, die akut größte Bedrohung. | |
„China hingegen ist unser einziger Konkurrent, der sowohl die Absicht hat, | |
die internationale Ordnung zu verändern, als auch mehr und mehr die | |
wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht, | |
diesem Ziel näher zu kommen.“ Der Besuch der damaligen Sprecherin des | |
Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan und die darauffolgenden | |
militärischen Machtdemonstrationen Chinas waren gerade erst ein paar Wochen | |
her. | |
Vor diesem Hintergrund sind zumindest US-Militärstrategen nicht unbedingt | |
glücklich über die massiven Lieferungen von US-Kriegsgerät an die Ukraine. | |
Ein kürzlich veröffentlichter [4][Bericht des Center for Strategic and | |
International Studies], des vielleicht wichtigsten militär- und | |
sicherheitspolitischen US-Thinktanks, beklagt, wie wenig Waffen bestimmter | |
Arten den USA nur noch zur Verfügung stünden: So seien allein bis August | |
2022 so viele Javelin-Panzerabwehrsysteme in die Ukraine geliefert worden, | |
wie in sieben Jahren produziert werden könnten. | |
Bei den Stinger-Boden-Luft-Raketen entspreche die gelieferte Menge der | |
Produktion für den internationalen Markt von 20 Jahren. Autor Seth Jones | |
kommt zu dem Schluss: Im Fall eines militärischen Konflikts mit China um | |
die Straße von Taiwan würde den USA für bestimmte Waffen binnen einer Woche | |
die Munition ausgehen. | |
Auch deshalb hat die Biden-Regierung schon damit begonnen, die europäischen | |
Nato-Staaten tief in die Verteidigung der Ukraine einzubinden, als die | |
ersten Aufklärungsbilder erst den von Moskau als „Manöver“ deklarierten | |
Truppenaufmarsch an der Grenze anzeigten. Zwar hatten die USA schon seit | |
Langem Waffen in die Ukraine geliefert, dennoch versuchte Biden jetzt, den | |
Europäern demonstrativ die politische Führung zu überlassen – eine Rolle, | |
die diese weder gewohnt waren noch auszufüllen wussten. | |
Der Streit um die Kampfpanzer-Lieferungen in der vergangenen Woche spricht | |
da Bände: Die USA wollten Deutschland vorne sehen und selbst diesen | |
Eskalationsschritt nicht mitgehen – erst nach Scholz’ Sturheit willigten | |
sie in die Lieferung eigener Abrams-Panzer ein und teilen so die | |
Verantwortung auch für die Konsequenzen. | |
Bei aller in vielen Medien und von manchen europäischen Staatschefs | |
geäußerten Kritik an Scholz’ Haltung: Letztlich dürften die meisten | |
europäischen Nato-Länder dankbar dafür sein, dass er die USA auch an dieser | |
Stelle einbezogen hat. Der Druck, mehr Geld für das Militär auszugeben, | |
bleibt trotzdem – aber damit auch das gemeinsame Interesse, diesen Konflikt | |
zu einem Ende zu bringen. Denn ein unendlicher Krieg, das hat ein gerade | |
veröffentlichter [5][Report der Rand Corporation] noch einmal deutlich | |
gemacht, liegt definitiv nicht im Interesse der USA. | |
28 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kampfpanzerlieferungen-in-die-Ukraine/!5907910 | |
[2] /Angekuendigte-Panzerlieferung/!5911441 | |
[3] https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/11/8-November-Combined-P… | |
[4] https://www.csis.org/analysis/empty-bins-wartime-environment-challenge-us-d… | |
[5] https://www.rand.org/pubs/perspectives/PEA2510-1.html?utm_source=AdaptiveMa… | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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