| # taz.de -- Reform der Ersatzfreiheitsstrafe: Kürzere Haft | |
| > Wer Geldstrafen nicht bezahlen kann, soll nicht mehr so lange ins | |
| > Gefängnis wie bisher. Die Bundesregierung will die Ersatzfreiheitsstrafe | |
| > halbieren. | |
| Bild: Eine Zelle in der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee | |
| Berlin taz | Seit 25 Jahren diskutiert der Bundestag immer wieder über eine | |
| Reform der Ersatzfreiheitsstrafe. Nun soll endlich etwas passieren. Die | |
| Ampelregierung will die Umrechnung von nicht gezahlten Geldstrafen in | |
| Hafttage halbieren. Mit einem Schlag müssten mittellose Straftäter nur noch | |
| halb so lange ins Gefängnis wie bisher. Das Gesetz soll bis zum Sommer | |
| beschlossen werden. | |
| Am vorigen Donnerstag diskutierte der Bundestag erstmals über das Vorhaben. | |
| Die Mehrheit der selbsternannten Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und | |
| FDP steht, der Vorschlag von Justizminister Marco Buschmann (FDP) wird | |
| breit getragen. Dass Innenministerin [1][Nancy Faeser (SPD) im Herbst das | |
| Vorhaben monatelang blockierte,] ist kein Thema mehr. „Der Gesetzentwurf | |
| der Bundesregierung ist wichtig für die soziale Gerechtigkeit“, sagte die | |
| SPD-Rechtspolitikerin Zanda Martens im Bundestag. | |
| Anlass der Debatte war ein Antrag der Linken, die die Ersatzfreiheitsstrafe | |
| nicht nur reformieren, sondern ganz abschaffen will. „Sie benachteiligt | |
| überproportional die Armen dieser Gesellschaft“, sagte [2][Berlins | |
| Justizsenatorin Lena Kreck (Linke)]. Doch für Katrin Helling-Plahr, | |
| rechtspolitische Sprecherin der FDP, wäre eine Abschaffung das „Signal in | |
| eine ganz falsche Richtung“. Die Ersatzfreiheitsstrafe bleibe wichtig als | |
| Druckmittel, damit Geldstrafen bezahlt werden. | |
| Tatsächlich werden in rund der Hälfte der Fälle die Geldstrafen nach Beginn | |
| der Ersatzhaft doch noch beglichen, oft auch aus eigenen Mitteln. Anders | |
| als CDU und CSU meinen, ist das aber kein Zeichen für anfängliche | |
| Zahlungsunwilligkeit, sondern eher für die Verpeiltheit einer Klientel, die | |
| keine Briefe mehr öffnet. | |
| ## Geldstrafe: zentrales Instrument des deutschen Strafrechts | |
| Die Ersatzfreiheitsstrafe betrifft nur einen kleinen, aber sozialpolitisch | |
| bedeutsamen Anteil der Kriminalität. Pro Jahr schließen die | |
| Staatsanwaltschaften rund fünf Millionen Ermittlungsverfahren ab. Meist | |
| enden sie mit einer Einstellung, mit und ohne Auflagen. | |
| Am Ende kommt es in rund 650.000 Fällen zu einer Verurteilung, davon in | |
| etwa 600.000 Fällen nach Erwachsenen-Strafrecht. Nur bei rund 15 Prozent | |
| der Verurteilungen verhängen die Gerichte Freiheitsstrafen, die aber | |
| überwiegend zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei 85 Prozent der | |
| Verurteilungen gibt es Geldstrafen. | |
| Die [3][Geldstrafe ist also das zentrale Instrument des deutschen | |
| Strafrechts.] Dabei wird die Höhe sozial gestaffelt. Wer viel verdient, | |
| zahlt einen entsprechend höheren Tagessatz als eine | |
| Bürgergeld-Empfänger:in. Maßstab für den Tagessatz ist das Netto-Einkommen | |
| pro Tag. | |
| Wer seine Geldstrafe nicht bezahlt, muss dann aber doch ins Gefängnis. | |
| Tatsächlich bezahlen rund 90 Prozent der Verurteilten ihre Geldstrafe. Etwa | |
| vier Prozent leisten ersatzweise gemeinnützige Arbeit. Drei Prozent der | |
| Verurteilten bezahlen nach Beginn der Ersatzhaft die Strafe doch noch und | |
| nur drei Prozent sitzen die gesamte Ersatzfreiheitsstrafe ab, im Schnitt je | |
| nach Bundesland 30 bis 60 Tage. Betroffen sind aber mehrere zehntausend | |
| Menschen pro Jahr. | |
| ## Kostenersparnis und Gerechtigkeit | |
| Schon seit den 1990er Jahren wird darüber diskutiert, wie Zahl und Dauer | |
| der Ersatzfreiheitsstrafen reduziert werden kann. Bereits 1998 hatte der | |
| Bundesrat einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Umrechnungsschlüssel | |
| halbieren sollte, so wie es jetzt Minister Buschmann vorschlägt. | |
| Der Gesetzentwurf wurde damals aber ebenso wenig beschlossen wie zwei | |
| Initiativen der rot-grünen Bundesregierung 2002 und 2004, wonach die | |
| Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit Vorrang haben sollte vor der | |
| Ersatzhaft. Neuen Schwung in die Diskussion brachte 2018 eine | |
| Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die erneut vorschlug, den Umrechnungsschlüssel | |
| zu halbieren. Ihr Ansatz wird nun von der Ampelkoalition umgesetzt. | |
| Dabei geht es nicht nur um Kostenersparnis für den Strafvollzug der Länder, | |
| sondern auch um mehr Gerechtigkeit. Ein Tag im Gefängnis sei ungleich | |
| belastender als die Abgabe eines Tagesverdienstes, betonte der | |
| Justizminister. | |
| Ein weiterer Ansatz könnte die Entkriminalisierung des „Schwarzfahrens“ | |
| sein, weil dies viele uneinbringliche Geldstrafen vermeiden würde. Darüber | |
| will Buschmann in diesem Jahr auch sprechen, im Rahmen einer Initiative zur | |
| Modernisierung des Strafrechts. | |
| 29 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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