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# taz.de -- Fahrscheinkontrollen in Hamburg: Social Profiling im Nahverkehr?
> In den ärmeren Stadtteilen Barmbek, Billstedt und Veddel gab es 2022 die
> stadtweit meisten Fahrscheinkontrollen. Die Linke vermutet eine
> Strategie.
Bild: Im stadtweiten Vergleich häufiger in ärmeren Vierteln im Einsatz: Kontr…
Hamburg taz | Kontrolliert der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) Fahrscheine
häufiger in ärmeren Stadtteilen? Darauf deutet zumindest die Antwort des
Senats auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Heike Sudmann hin.
Sie hatte vermehrt von Menschen gehört, die sich über die in jüngster Zeit
zahlreich auftretenden Ticketkontrollen an der S-Bahn-Station Veddel in
Wilhelmsburg beschwerten. Sudmann glaubt, dass die Menschen vor Ort die
Kontrollen „mitunter als schikanös“ wahrnehmen.
Die verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion fragte den Senat nach der
Anzahl der Kontrollen speziell an der Station [1][Veddel] sowie generell an
Hamburger Haltestellen, ebenso nach den Kriterien, nach denen die
Kontrollen stattfinden. Es ging ihr um Groß- beziehungsweise sogenannte
Abgangskontrollen: Kontrollen also, bei denen viele
Fahrkartenprüfer:innen an den Ausgängen der Stationen stehen und alle
Menschen, die hinaus wollen, kontrollieren. Regelmäßig bemängeln Menschen
die Ruppigkeit und mangelnde Sensibilität bei den Kontrollen.
Der Senat antwortet nun, dass während der Coronapandemie die Kontrollen
reduziert stattgefunden hätten, um „Stau- und Pulkbildung“ möglichst zu
vermeiden. Nun müsse wieder vermehrt kontrolliert werden, weil mehr
Menschen ohne Fahrschein unterwegs seien als vor der Pandemie. Generell
wolle der HVV alle Linien und Stationen mindestens einmal pro Jahr
kontrollieren.
„Die Art und Häufigkeit der Kontrolle“, schreibt der Senat, „richtet sich
nach Anzahl der zur Verfügung stehenden Prüfpersonale, dem
Fahrgastaufkommen, Rückmeldungen vom Fahrpersonal und Beschwerden von
Kund:innen sowie den Ergebnissen aus vorangegangenen Kontrollen auf
diesen Linien beziehungsweise Haltestellen.“
Erstaunlich ist allerdings die relative Dichte der Kontrollen an
Haltestellen, die in ärmeren und Randgebieten liegen und eine Fokussierung
auf das letztgenannte Kriterium nahelegen: Die drei am meisten
kontrollierten Haltestellen waren 2022 Barmbek, Billstedt und Veddel; laut
Sozialmonitoring der Stadt drei Gebiete aus statusniedrigen Clustern, also
ärmeren Gebieten. „Menschen, denen das Geld fehlt, fahren oft notgedrungen
ohne Fahrschein“, sagt Sudmann. „Ich habe die Vermutung, dass in ärmeren
Stadtteilen wesentlich mehr kontrolliert wird, damit der HVV seine
Erfolgsquote erreicht.“
HVV-Sprecher Rainer Vohl kann den Vorwurf nicht nachvollziehen: „Aus
unserer Sicht findet keine Fokussierung statt. Wir haben nicht das
Kriterium, sozial schwächere Stadtteile zu kontrollieren.“ Es gehe bei den
Kontrollen schlicht darum, die Quote von Menschen, die ohne Fahrschein
fahren, niedrig zu halten.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass das Fahren ohne Fahrschein in
Deutschland nach wie vor eine Straftat ist. Aus einer weiteren Anfrage
Sudmanns vom Mai 2022 geht hervor, dass die Gerichte überproportional
wohnungslose Menschen und Menschen, die Sozialleistungen beziehen, zu Geld-
und Freiheitsstrafen wegen „Beförderungserschleichung“ verurteilen.
Jenen, die eine Geldstrafe nicht zahlen können, droht eine sogenannte
Ersatzfreiheitsstrafe, von der allein in Hamburg wegen Schwarzfahrens jedes
Jahr Dutzende von Menschen betroffen sind. Erst im Dezember vergangenen
Jahres hatten 20 Menschen vor dem Hauptbahnhof unter dem Motto „HVV – Stop
bullying the neighbourhood“ gegen die Kriminalisierung von Schwarzfahren
demonstriert.
Sudmann kritisiert weiter: „Während bundesweit und auch in Hamburg die
Diskussionen laufen, das Fahren ohne Fahrschein nicht mehr als Straftat
gelten zu lassen und die [2][Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung des
Bußgeldes abzuschaffen], verfolgt der HVV weiter arme Menschen.“ Bereits
seit Jahren fordert sie daher, den ÖPNV für arme Menschen kostenfrei zu
machen.
Studien aus der Zeit des 9-Euro-Tickets haben gezeigt, dass genau jene
Menschen, die es sich vorher nicht oft leisten konnten, den ÖPNV zu nutzen,
etwa um Freund:innen zu besuchen oder einen Arzt zu erreichen, diesen
[3][rege nutzten.]
10 Jan 2023
## LINKS
[1] /Corona-und-soziale-Ungleichheit/!5771211
[2] /Reform-der-Ersatzfreiheitsstrafe/!5904067
[3] /Debatte-ums-9-Euro-Ticket/!5864168
## AUTOREN
Hagen Gersie
## TAGS
Hamburg
Die Linke Hamburg
Öffentlicher Nahverkehr
Fahrkartenkontrolle
Sozialer Brennpunkt
Ersatzfreiheitsstrafe
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Gefängnis
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ÖPNV
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