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# taz.de -- Grüne Spitzenkandidatin im Wahlkampf: Die Mühen der Straße
> Bettina Jarasch will Franziska Giffey als Regierende ablösen. Fünf Wochen
> bleiben ihr, die Wähler*innen zu überzeugen. Es wird ein knappes
> Rennen.
Bild: Protest für Tempo 30 auf der Frankfurter Allee am Freitag
Berlin taz | Am Ende dieser Woche, in der ganz Deutschland über
[1][Silvesterrandale in Berlin], Gewalt gegen Feuerwehrleute und die
Integration von (migrantischen) Jugendlichen redet, weiht [2][Bettina
Jarasch] ein paar hundert Meter Radweg ein. Dabei war dies nicht nur die
erste Woche des neuen Jahres, sondern auch die erste in der heißen Phase
des Wahlkampfs um das Berliner Abgeordnetenhaus. Seit Montagmorgen hängen
und stehen unübersehbar in der Stadt [3][die Plakate der Parteien], am 12.
Februar wird gewählt. Das Rennen wird knapp: SPD, Grüne und CDU liegen
gleichauf.
Während die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska
Giffey am Freitagmorgen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (auch SPD)
[4][dekorativ eine Feuerwehrwache im von der Randale besonders betroffenen
Bezirk Neukölln] besucht, kämpft die Verkehrssenatorin und grüne
Spitzenkandatin Bettina Jarasch etwas später an der Frankfurter Allee gegen
den Lärm der vorbeirauschenden Autos und Laster an. Hier ist das letzte
Stück der vor allem zu Beginn der Coronapandemie entstandenen
Pop-Up-Radwege an dieser Straße verstetigt worden.
Ganz frisch glänzt der rote Belag entlang der vielspurigen Bundesstraße 1,
die an dieser Stelle mitten durch ein dicht bebautes Wohngebiet führt. „Ein
Stück mehr Verkehrssicherheit“ sei die neue Radspur, sagt Jarasch und
betont, dass dies nicht nur für Radler*innen gelte. Schließlich werde
die Gefahr eines Unfalls reduziert, den sich auch keine Autofahrer*in
wünsche.
Ein [5][gutes Jahr] ist Jarasch nun Verkehrssenatorin. [6][Ihr Wahlerfolg
am 12. Februar und der ihrer Partei], die erstmals in ihrer Hochburg Berlin
stärkste Partei werden und Jarasch so zur Regierenden Bürgermeisterin
machen möchte, dürfte wesentlich davon abhängen, ob Jarasch vermitteln
kann, dass unter ihrer Führung endlich die Verkehrswende vorankommt.
„Schritt für Schritt“ würden die Veränderungen umgesetzt, sagt Jarasch an
diesem Freitag, sprich es werden Straßen umgebaut, Kreuzungen sicherer
gemacht, bisherige Autoparkplätze fortan anders genutzt.
Weil die 54-Jährige aber weiß, dass die oft detaillierte Kritik von
Initiativen, Aktivist*innen oder einfach Anwohner*innen gerade hier
im links-grünen Friedrichshain-Kreuzberg oft auf dem Fuß folgt, fügt sie
hinzu: „Wir wollen schneller werden mit den Radwegen.“ Immerhin habe man im
vergangenen halben Jahr so viele Maßnahmen umgesetzt wie im ganzen Jahr
2021; Radwege mit rund 26 Kilometer Streckenlänge seien gebaut worden. Ein
Fortschritt, der darin begründet sei, dass sie ihre Verwaltung anders
organisiert habe. „Ich habe geschaut, was mit dem derzeitigen Personal
machbar ist.“ Und wie die Zusammenarbeit mit den Bezirken, die die
Veränderungen baulich umsetzen müssen, besser funktioniere.
Will sie aber die Ziele des ambitionierteren eigenen Radverkehrsplans bis
2030 erreichen, reicht das nicht aus, auch das ist Jarasch bewusst. Der
nächste Haushalt der rot-grün-roten Landesregierung werde da Schwerpunkte
setzen, kündigt sie an. Doch selbst das würde nicht alle Probleme lösen.
Die Verkehrswende umzusetzen ist aufwändige Feinarbeit mit vielen
Beteiligten und Betroffenen.
Ein halbes Jahr habe es gedauert, dieses überschaubare Stück Radstreifen an
der Frankfurter Allee umzusetzen, berichtet Jarasch. Das sei fix. Andere
Pop-Up-Radwege harren derweil ihrer Verstetigung, etwa der an der nahen
Petersburger Straße, ebenfalls im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dort
soll die Straße in der gesamten Breite umgestaltet werden samt
Innenstreifen, zudem würden dann neue Wasserrohre verlegt. Daher mache eine
kurzzeitige Umgestaltung allein des Radstreifens keinen Sinn, sagt Annika
Gerold, grüne Verkehrsstadträtin im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Doch
so dürfte bei vielen Radler*innen auf diesen Strecken das Gefühl
bleiben, es verbessere sich nichts.
Unzufrieden mit der Verkehrssenatorin ist auch [7][die Initiative, die sich
für Tempo 30 auf der Frankfurter Allee einsetzt]. Knapp zehn ihrer
Mitglieder sind ebenfalls zu dem Pressetermin mit Jarasch gekommen, auf
Schildern mahnen sie schnelle Verbesserungen an. Seit einem Jahr seien sie
aktiv, berichtet ein Mitglied der taz. Jarasch wirft er vor, die Initiative
zu ignorieren. Die widerspricht. Natürlich kenne sie das Anliegen, auch sei
ihre Verwaltung mit der Gruppe im Gespräch, auch sie möchte viel mehr
Tempo-30-Zonen.
## „Machen Sie weiter Druck“
Doch das einfach anordnen könne sie an dieser Straße nicht. Es handle sich
schließlich um eine Bundesstraße, da sei das derzeit nur für kleine
Teilstrecken möglich, etwa aus Lärmschutzgründen oder bei besonderer
Gefährdung. „Das Absurde ist: Da muss der Unfall aber erst passiert sein“,
sagt Jarasch. Sie hofft auf die von der Ampel-Regierung im Bund
angekündigte Veränderung des Straßenverkehrsrechts, die von der FDP
blockiert werde. „Wir löchern den Bund auf allen Ebenen“, berichtet die
Senatorin. Der Initiative rät sie derweil: „Machen Sie weiter Druck, wir
brauchen den auch.“ Das soll keineswegs hilflos klingen, kann aber so
ankommen.
Druck auf die Grünen macht derweil auch die SPD. Der größte
Koalitionspartner, der mit Franziska Giffey die Regierende Bürgermeisterin
stellt, hat [8][die Verkehrswende als Thema im Wahlkampf für sich entdeckt]
und will so den Grünen Stimmen abjagen. „29-Euro-Ticket für alle“, heißt…
auf den Plakaten. Die Sozialdemokraten hatten im vergangenen Herbst in
einem Überraschungscoup verkündet, nach dem Auslaufen des in Berlin
besonders beliebten bundesweiten 9-Euro-Tickets für den öffentlichen
Nahverkehr eine berlineigene Übergangslösung anzubieten – ohne dass dies
jedoch mit dem Verkehrsverbund, den Grünen oder Brandenburg abgesprochen
war.
Nun gibt es seit Oktober und bis zur Einführung des 49-Euro-Tickets durch
den Bund [9][ein 29-Euro-Ticket in Berlin – das die SPD gerne fortsetzen
möchte]. „Ich freue mich, dass die SPD etwas will, das ich umgesetzt habe“,
kommentiert Jarasch die plakative Forderung knapp und fordert damit
zumindest einen Teil der Urheberschaft für das – erneut sehr erfolgreiche –
Ticket ein. Doch verlängern wollen es die Grünen nicht: Sie setze sich für
ein 29-Euro-Ticket ein, mit dem auch in Brandenburg und darüber hinaus
gefahren werden kann, und zwar für jene, die sich das 49-Euro-Ticket nicht
leisten können, so die Senatorin. Überhaupt arbeite sie mit dem
Verkehrsverbund Berlin Brandenburg an einem komplett neuen Tarifsystem.
Diese Argumentation ist komplexer als das Gießkannenprinzip der SPD – aber
findet sie auch Gehör?
Nach einer knappen halben Stunde Termin schwingt sich die Verkehrssenatorin
auf ihr neues schwarzes Dienstrad – explizit kein E-Bike, wie sie betont –
und radelt weiter Richtung Alexanderplatz. Auf der Verlängerung des frisch
eingeweihten Radstreifens geht es an einigen holprigen und anderen recht
gefährlichen Stellen vorbei, obwohl die Karl-Marx-Allee hier fast unendlich
Platz bietet. Zu tun für die Verkehrswende, das zeigt sich selbst hier,
mitten in der Innenstadt, gibt es noch viel. Die Wahl aber ist schon in
fünf Wochen.
6 Jan 2023
## LINKS
[1] /Streetworker-zu-Silvesterrandalen-in-Berlin/!5903913
[2] /Berliner-Verwaltungsmisere/!5897042
[3] /Gruene-Kampagne-fuer-Wiederholungswahl/!5900614
[4] /Faeser-und-Giffey-in-Neukoelln/!5907138
[5] /Ein-Jahr-SPD-Gruene-und-Linke-in-Berlin/!5900737
[6] /Wahlkampf-der-Gruenen-in-Berlin/!5904237
[7] /Tempolimit-auf-der-Frankfurter-Allee/!5902618
[8] /Wahlkampf-der-SPD-in-Berlin/!5903580
[9] /Berliner-Abgeordnetenhaus/!5899358
## AUTOREN
Bert Schulz
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