# taz.de -- Wahlkampf der Grünen in Berlin: Auf zum Angriff | |
> Welche Chancen hat Bettina Jarasch, im zweiten Anlauf Regierende | |
> Bürgermeisterin zu werden? Sicher ist: Sie muss offensiver als 2021 | |
> agieren. | |
Bild: Zeit für Grün? Das wird sich am 12. Februar zeigen | |
Die Kampfansage war dezent formuliert, aber in ihrer Wucht doch deutlich. | |
„Ich würde dieses Bündnis gerne fortsetzen wollen“, antwortete Bettina | |
Jarasch [1][am Dienstag in der Pressekonferenz nach der Senatssitzung] auf | |
die Frage nach ihren politischen Präferenzen für die Zeit ab dem 12. | |
Februar. Um dann hinzuzufügen: „Gerne unter einer grünen Führung.“ | |
Das heißt: unter ihrer Führung. Denn Verkehrssenatorin Jarasch ist | |
[2][erneut Spitzenkandidatin der Grünen] und damit Herausforderin der | |
Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Die übrigens während | |
dieses Satzes neben Jarasch saß. | |
Die Aussage, so klar sie auf den ersten Blick scheint, wirft viele Fragen | |
auf. Zum Beispiel die nach der Stimmung im Senat: Wie sollen zwei erklärte | |
Gegnerinnen gemeinsam regieren? Giffey hat zuletzt durchblicken lassen, | |
dass sie ein bisschen weniger Konfrontation von den Grünen durchaus | |
wertschätzen würde. Schließlich, das betonen ja alle drei | |
Regierungsparteien regelmäßig, muss der Senat angesichts der vielen | |
Aufgaben in der Energiekrise konzentriert weiterarbeiten. | |
Dann ist da die Frage, wie das denn gehen könnte, wenn die Grünen stärkste | |
der drei Parteien würden. Hätte die SPD dann überhaupt noch ein Interesse | |
an der Fortsetzung der Koalition? Würde sie sich verweigern? Würde eine | |
geänderte Zusammensetzung langwierige Koalitionsverhandlungen nach sich | |
ziehen, was angesichts der Lage auch kaum vorstellbar ist? Und was würde | |
politisch aus Franziska Giffey? | |
Noch vor diesen Fragen – über die sich trefflich spekulieren lässt – steht | |
aber die wohl wichtigste: Hat Bettina Jarasch überhaupt eine Chance, Giffey | |
und die SPD zu überflügeln? | |
Am 26. September 2021, bei der heute nur noch als „Pannenwahl“ bekannten | |
Abstimmung, landeten die Grünen mit 18,9 Prozent genau 2,5 Prozentpunkte | |
hinter der SPD, die stärkste Partei wurde. Das war zwar bei weitem das | |
beste Ergebnis der Grünen in Berlin, aber angesichts mancher Umfragen, die | |
die SPD bei 15 und die Grünen bei 25 Prozent gesehen hatten, dennoch eine | |
Enttäuschung. Jarasch, so der Tenor vieler KommentatorInnen, hätte noch ein | |
paar Wochen gebraucht, um so bekannt zu sein, dass sie Giffey eingeholt | |
hätte. | |
## Ein Jahr im Amt | |
Am Mittwoch jährte sich die Amtszeit von Giffey und Jarasch zum ersten Mal, | |
und doch hat sich am unterschiedlichen Bekanntheitsgrad wenig geändert. | |
Franziska Giffey kennt inzwischen wohl jede Berliner*in; sie setzt sich | |
auch auf jedes für die Koalition wichtige Thema drauf. Das ist ihre Art von | |
Regieren. Jarasch hat das Jahr zwar genutzt, um ihre Verwaltung zu | |
professionalisieren. Aber nach außen ist davon noch wenig zu spüren. | |
Wie schon unter ihrer Vorgängerin, der glücklosen Verkehrssenatorin Regine | |
Günther (erst parteilos, dann doch noch Grüne), dauert die Umgestaltung | |
gefährlicher Straßen in Berlin zu lange – sogar Jarasch selbst. Das Drängen | |
und Drängeln der zahlreichen Berliner Aktivist*innen, die Verkehrswende | |
endlich und auch radikaler anzugehen, hört nicht auf. | |
Stattdessen hängt der grünen Verkehrssenatorin die von Günther unbeholfen | |
umgesetzte Verkehrsberuhigung in der Friedrichstraße nach. Den Erfolg des | |
Berliner 29-Euro-Tickets wiederum reklamiert die SPD (zu Recht) für sich. | |
Und im Bereich Klimaschutz, für den Jarasch ebenfalls zuständig ist, steht | |
im März ein Volksentscheid an, der eine Zuspitzung der Ziele einfordert, | |
die die Grünen und der Senat als zeitlich und finanziell nicht umsetzbar | |
ablehnen. | |
Nun ist Bekanntheit nicht gleich Beliebtheit. Niemand vermag so recht | |
einzuschätzen, ob es der Regierenden in ihrem ersten Jahr gelungen ist, | |
eine Landesmutter nach süddeutscher Art zu werden. Oder ob es den | |
Berliner*innen mit ihr ähnlich geht wie der SPD, die Giffey im Juli bei | |
der Wiederwahl als Parteichefin mit miserablen 60 Prozent bedachte. Die | |
Landesregierung in Berlin wird aber traditionell wenig geliebt – es wäre | |
also auch nichts Ungewöhnliches. | |
## In Umfragen fast gleichauf | |
Eine neue Umfrage vom 22. Dezember sieht die SPD erstmals seit einem halben | |
Jahr wieder auf Platz eins. Im Berlin-Trend des Meinungsforschungsinstituts | |
INSA kommen die Sozialdemokraten ebenso wie die CDU auf 21 Prozent. Dicht | |
dahinter folgen die Grünen mit 20 Prozent. Viel deutet darauf hin, dass die | |
Entscheidung erst auf den letzten Metern fällt. Allerdings kann bereits ab | |
dem 2. Januar per Brief gewählt werden, und erneut wird damit gerechnet, | |
dass bis zu 40 Prozent der Abstimmenden das tun. Auch hier bleibt also ein | |
enormer Unsicherheitsfaktor. | |
„Berlin mit neuer Kraft regieren“, lautet ein [3][Spruch auf den grünen | |
Wahlplakaten], die Anfang der Woche vorgestellt wurden. Prägnant ist | |
anders. Aber immerhin sind die Poster diesmal in Farbe und nicht mehr in | |
Grüntönen abgesoffenen wie 2021. Defensiv sein, das hat Bettina Jarasch | |
damals schmerzlich lernen müssen, ist die falsche Taktik. Sie muss | |
angreifen. Auch auf offener Bühne. Franziska Giffey wird das nicht freuen. | |
Andererseits dürfte sie damit gerechnet haben: Giffey ist mit ihrem Bonus | |
als Amtsinhaberin in der Poleposition, Jarasch muss sie fordern – und auch | |
auf Fehler Giffeys hoffen. | |
26 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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