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# taz.de -- Wiederholungswahl in Berlin: Zack, zack, Wahlkampf!
> Die Wiederholung der Wahl in Berlin ist ein Stresstest für die Helfer. Es
> ist Winter, die Zeit bis zum 12. Februar ist knapp.
Bild: Berlin im Wahlkampfmodus: Bettina Jarasch will es wieder wissen
Berlin hat schon wieder die Wahl. Weil es bei der letzten im September 2021
derart viele Pannen gab, entschied das Landesverfassungsgericht im November
2022 auf eine Wiederholung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den
Bezirksverordnetenversammlungen. Am 12. Februar finden sie statt.
Für Wahlkampfhelfer*innen heißt das nun wieder Freizeit opfern, die
Universität vernachlässigen und stundenlang am Wahlstand stehen, statt mit
den Enkeln zu spielen – und das alles wieder freiwillig wie schon damals im
sommerlichen Wahlkampf 2021. Franziska Giffey von der SPD wurde dann
Regierende Bürgermeisterin, die Regierung bildet in den vergangenen
eineinhalb Jahren eine Koalition aus Rot-Grün-Rot. Jetzt geht es darum, ob
das auch so bleiben wird nach einem Wahlkampf unter besonderen Bedingungen.
Es ist ein Wahlkampf im Winter. Und einer im Schnelldurchlauf. Dauert sonst
ein Wahlkampf mehrere Monate, ist die heiße Phase jetzt auf einen Monat
komprimiert.
Die Grünen hoffen darauf, dass ihre [1][Kandidatin Bettina Jarasch] dieses
Mal punktet und [2][Giffey als Regierende] ablöst. Für die CDU hofft
[3][Kai Wegner auf mehr Stimmen]. Die Direktkandidaten aus den einzelnen
Bezirken müssen bangen, ob sie wieder in das Abgeordnetenhaus gewählt
werden.
## Eine Wahl und viele Helfer*innen
Die Wahlkampfmaschine anzuwerfen schaffen die Kandidat*innen aber nicht
allein. Die Wahl wird von zahlreichen Helfer*innen getragen. Seit Wochen
treffen sich engagierte Mitglieder der verschiedenen Parteien und
Freiwillige, um beim Wahlkampf zu helfen. Es sind hauptsächlich junge
Menschen und Rentner*innen, die in ihrem Leben flexibler sind.
An einem kalten Januarnachmittag haben sich eine Handvoll junger Menschen
vor dem Büro von Taylan Kurt in Moabit versammelt. Kurt ist Direktkandidat
der Grünen für das Abgeordnetenhaus. Sein Büroleiter Bryan Schwabe und
Grünen-Referentin Janine Räthke haben im Bezirksbüro an dem Tag ihre
eigentlichen Aufgaben bereits erledigt, Feierabend haben sie aber noch
nicht. Sie stemmen den Wahlkampf unentgeltlich in ihrer freien Zeit, an der
Wiederholungswahl hängt für sie auch ein Job.
Sie wollen heute Flyer in Briefkästen verteilen. Mithilfe von nummerierten
Häuserblocks auf Zetteln wird das „Stecken“ organisiert, jede*r darf sich
eine Nummer aussuchen.
„Die meiste Zeit verbringt man mit dem Warten vor der Tür, bis jemand
aufmacht“, erzählt Bryan Schwabe. Heute steckt er auf der belebten
Turmstraße, einer Hauptverkehrsachse in Moabit. Gegen die frostigen
Temperaturen trägt er Winterjacke und Schal. Einen Kontrast dazu stellen
die leichten Sneaker dar, mit denen er die Treppen der Häuser hocheilt, um
die Flyer in die Briefkästen zu verteilen. Der Türsummer ertönt, und mit
zügigen Schritten nimmt er die Stufen.
Auch bei der SPD in Berlin-Spandau gehört „Stecken“ dazu. Allerdings
konzentriert man sich auf Gebiete, in denen die SPD schon stark ist, verrät
Uwe Ziesak, Fraktionsvorsitzender der Bezirksverordnetenversammlung in
Spandau. Heute hat er sich mit mit seinen Parteikollegen Heiko Volkmer und
Claude Konrad vor einem Discounter in der Heerstraße mit einem Infostand
positioniert. Es ist Vormittag, eine Zeit, in der meist nur Rentner wie sie
die Wahlstände übernehmen können. „Letztes Mal hat uns zum Beispiel ein
Universitätsprofessor beim Wahlkampf geholfen, jetzt ist Vorlesungszeit, da
kann er nicht freinehmen“, erzählt Claude Konrad. Die Männer stecken den
Vorbeilaufenden Wahlzeitungen und Lebkuchen zu. Ein winterlicher Gruß, wie
auch die Taschentücher mit dem SPD-Logo.
Im Neuköllner Parteibüro der Linken sind die Zeichen des Wahlkampfs auf
einem großen Tisch ausgebreitet. Voll ist er mit Flyern und Zeitschriften,
dazwischen stehen leere Teller und Tassen mit Kaffee. An diesem
Samstagnachmittag sind rund 30 Menschen unterschiedlichen Alters im Büro
versammelt. Letzte Anweisungen für den Haustürwahlkampf werden besprochen,
dann geht es los. Daniel Kipka in wetterfester Jacke und Wanderstiefeln ist
für die Linken in Neukölln dieses Jahr schon zum sechsten Mal unterwegs.
„Es sind zwar insgesamt etwas weniger Mitglieder, aber die Leute haben
trotzdem Bock“, sagt er.
## Ein Einsatz für die Demokratie
Begeistert sei sie nicht gewesen, als die Entscheidung vom
Verfassungsgericht fiel, die Wahl zu wiederholen, meint Janine Räthke, die
für die Grünen in Moabit unterwegs ist, um Wahlwerbung in die Briefkästen
zu stecken. „Alles andere wäre aber traurig für die Demokratie gewesen,
deshalb tragen wir sie alle selbstverständlich mit.“
Ihr Parteikollege Bryan Schwabe stimmt ihr zu. So kämpfen sie für den Sitz
von Taylan Kurt im Landesparlament und hoffen, dass es wieder so gut läuft
wie beim letzten Mal. Und die Wahlhelferrentner der SPD in Spandau geben
sich gelassen. „Ach, da passiert nichts. Und selbst wenn Giffey verliert,
dann fangen wir eben wieder von vorne an, es ist wie immer Spiel, Spaß und
Spannung.“
Dass der Wahlkampf aber im Winter stattfindet, das macht den
Helfer*innen dann doch zu schaffen. „Die Tage sind kürzer, man ist
ständig krank“, meint Malte Spielmann, der für die Grünen am Rathaus
Neukölln Flyer verteilt. Eine Hand steckt in einem Handschuh, die andere
muss er frei lassen, um die Flyer greifen zu können. „Manchmal“, sagt er,
„muss ich meine Sätze variieren, weil mit kalten Lippen langes Sprechen
nicht so gut möglich ist.“
An den Infoständen ist den potenziellen Wähler*innen der Unmut über die
frostigen Temperaturen anzumerken. Am morgendlichen Stand der Grünen mit
dem Direktkandidaten André Schulze vor dem Neuköllner Rathaus gehen die
meisten dick eingepackt, mit hochgezogenen Schultern eilig vorbei.
„Kriegstreiber seid ihr“, ruft eine Frau in Parka mit Fellkragen, als sie
am Stand kurz innehält. Reden will sie aber nicht und die Partei wählen
schon gar nicht.
Oft bekommen die Wahlhelfer*innen Dinge ab, die in der Bundespolitik
nach Ansicht der Berliner*innen schieflaufen. Häufig wird über das
Verhalten der Parteien im Ukrainekrieg geschimpft oder über die
Energiekrise. Es geht um Scholz und Baerbock statt um die Kandidat*innen,
die im Februar in Berlin zur Wahl stehen.
Dabei gibt es viele Themen, die die Berliner*innen auch in den letzten
eineinhalb Jahren umgetrieben haben. Was zum Beispiel mit dem
Enteignungsvolksentscheid passiert. Am Wahltag 2021 hatten sich die
Bürger*innen mehrheitlich dafür ausgesprochen, gewinnorientierte
Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen. Oder Fragen zur
Verkehrswende in der Stadt, bei denen es ja auch manchen an den Geldbeutel
geht. Im neuen Jahr ist Parken teurer geworden in der Berlin.
## Im direkten Kontakt mit den Bürger*innen
Probleme in der Stadt sind aber schon Thema. Als direkter und manchmal auch
einziger Kontakt der Bürger*innen zur Politik werden die
Wahlkampfhelfer*innen oft zu Seelsorger*innen. Sie hören sich an, was
bei der Schule nebenan schiefläuft, wer keine Post bekommt oder wo die
Stromrechnung Sorgen bereitet. Oft werden Helfer*innen auch zu
allgemeinen Themen der Wahl befragt, wann sie stattfindet oder wo man
wählen kann. Der Frust über eine erneute Wahl nach bereits eineinhalb
Jahren statt den üblichen fünf hält sich jedoch in Grenzen. Tony Pohl, der
den Haustürwahlkampf der Linken in Neukölln koordiniert, beobachtet
jedenfalls „viel Pragmatismus unter den Wählerinnen“.
Ein Pragmatismus, der auch bei den Wahlkampfhelfer*innen zu erkennen
ist. Letztendlich ist es die Hoffnung auf Stimmenfang, die sie bei der
Wiederholungswahl antreibt. Die Grüne Janine Räthke lässt beim
Briefkastenstecken kein Hinterhaus aus. “Ich denke dann immer, vielleicht
ist es diese eine Person, die uns dann wählt, bei der ich einen Flyer in
den Briefkasten geworfen habe.“
Die letzte Tür bei den Linken in Neukölln bei der Aktion an diesem Samstag
ist die eines Mannes im Rollstuhl, der nur mit fremder Hilfe das Haus
verlassen kann. „Solche Personen erreichen wir nur durch den
Haustürwahlkampf“, sagt Antigoni Ntonti, die für die Linke zur
Bezirksverordnetenversammlung kandidiert.
Als vor Weihnachten die ersten Kandidat*innen und
Unterstützer*innen an Infoständen in der Stadt zu sehen waren, war
vielen in der Stadt noch gar nicht bewusst, dass die Wahl überhaupt
wiederholt wird. Schließlich durften erst ab 1. Januar die Wahlplakate
aufgehängt werden.
Damit beginnt traditionell die heiße Phase des Wahlkampfs. Bis zum 12.
Februar bleibt nicht mehr viel Zeit, die Wähler*innen von sich und der
Partei zu überzeugen. Die Wahlkampfhelfer*innen ziehen noch einmal an,
in den nächsten Wochen sind täglich Aktionen geplant, es wird weiter
plakatiert, es wird gesteckt und Flyer werden verteilt.
Eigentlich ist es so wie jedes Mal. Nur halt mit ein bisschen frostigeren
Füßen.
22 Jan 2023
## LINKS
[1] /Wirtschaftspolitik-in-Berlin/!5905099
[2] /taz-Talks-zur-Berlin-Wahl-1/!5908718
[3] /Wahlwiederholung-am-12-Februar/!5906628
## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclère
Leah Schmezer
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