Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pilotprojekt in Irland: Testlauf für Grundeinkommen
> Irland zahlt ausgewählten Künstlern bedingungslos ein Gehalt. So sollen
> auch jene berücksichtigt werden, die nicht bereits Unterstützung
> erhalten.
Bild: Die Künste sollen aufblühen: Lichtinstallation im Zoologischen Garten v…
Brechen goldene Zeiten für die Künste in Irland an? Zumindest erhalten
2.000 Kunstschaffende für die nächsten drei Jahre von der Regierung ein
Grundeinkommen von 325 Euro pro Woche. Die Summe basiert auf einer
32-Stunden-Woche und dem Mindestlohn von 10,20 Euro pro Stunde. Das Geld
muss versteuert werden, es wird nun rückwirkend seit Ende August
ausgezahlt. Insgesamt stehen 25 Millionen Euro für das Programm zur
Verfügung.
Es ist ein Pilotprojekt, deshalb wird der Versuch wissenschaftlich
begleitet. Es gehe nicht um die Quantität der Arbeiten, sondern man müsse
in gesellschaftlichen Dimensionen denken, sagt Angela Dorgan, die
Geschäftsführerin der Musik-Fördergesellschaft First Music Contact.
Man will herausfinden, ob und wie [1][ein solches Grundeinkommen] der
Gesellschaft nützt und wie sich die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler
verändert. „Ich will, dass sich die Künste von den verheerenden
Auswirkungen der Pandemie nicht nur erholen, sondern auch aufblühen“, sagt
auch die für das Projekt verantwortliche Kulturministerin Catherine Martin
von den Grünen in einer Pressekonferenz.
Von den 9.000 Bewerbern für das Pilotprojekt wurden 8.200 als qualifiziert
eingestuft. Davon wurden schließlich 2.000 ausgelost: 707 visuelle
Künstler, 584 Musiker, 204 Filmschaffende, 184 Schriftsteller, 173
Schauspieler, 32 Tänzer und Choreografen, 13 Zirkuskünstler sowie 10
Architekten. Die Auswahl geschah vermögensunabhängig.
## Trotzdem noch auf Nebeneinkünfte angewiesen
Ihre Nebentätigkeiten müssen die Teilnehmer zwar nicht einschränken, aber
sie fließen in die Bewertung am Ende der Testphase ein. Viele werden auch
weiterhin auf Nebeneinkünfte angewiesen sein. Mehr als ein Drittel von
ihnen lebt in Dublin. In der irischen Hauptstadt reicht das Grundeinkommen
kaum für die Miete, eine Wohnung von 70 Quadratmetern ist nicht unter 2.000
Euro im Monat zu haben.
Das Projekt soll nach einer dreijährigen Testphase evaluiert werden. 1.000
Kunstschaffende, die eigentlich berechtigt waren, aber nicht berücksichtigt
wurden, dienen als Kontrollgruppe, um das Projekt und den Effekt der
Bezahlung besser bewerten zu können. Wenn das Ergebnis zufriedenstellend
ist, sollen weitere Künstlerinnen und Künstler vom Grundeinkommen
profitieren.
„Ich bin neugierig, was wir von diesem Pilotprojekt lernen werden“, sagt
Irlands Premierminister Leo Varadkar (Fine Gael) in der Irish Times. „Unser
Land ist weltberühmt für seine kreative Industrie, und deshalb ist es
unerlässlich, dass wir das richtige Umfeld schaffen, damit die Künstler
sich entwickeln und sich auf ihre Arbeit konzentrieren können.“
Robert Ballagh, einer der bekanntesten irischen Künstler, der unter anderem
das Bühnenbild für [2][die irische Stepptanzshow „Riverdance“] und die
letzten irischen Geldscheine vor Einführung des Euro entworfen hat, hält
dagegen nicht viel von dem Projekt. „Es ist eine Farce“, sagt er der taz.
„Eine Lotterie aus Schuldbewusstsein, weil Künstler von den
Kompensationszahlungen während der Coronapandemie ausgeschlossen waren.“
## Tourismus wichtiger als Kunst im Lockdown
Man hatte sich damals auf den Tourismusbereich konzentriert, weil der zu
den wichtigsten Industriezweigen Irlands zählt. Darüber hinaus seien die
Zahlungen zeitlich begrenzt, moniert Ballagh.
Die Idee für das Projekt wurde [3][während des Lockdowns] geboren. Vielen
war klar geworden, wie arm die Gesellschaft ohne Kunst sei und wie schwer
es viele Kunstschaffende haben, sagt Kulturministerin Catherine Martin.
Nach dem Lockdown gibt es nun andere Probleme, die Energiekrise treibt die
Eintrittspreise hoch. Eine Untersuchung des Theatre Forum hat ergeben, dass
die Kultureinrichtungen 20 Prozent weniger Besucher verzeichnen als vor der
Pandemie.
Das hänge natürlich mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten zusammen, sagt
Maureen Kennelly, Direktorin des Arts Council, der unabhängigen irischen
Regierungsbehörde zur Entwicklung der Künste. „Deshalb müssen die lokalen
Kulturzentren künftig eine größere Rolle spielen.“
Als Beispiel nennt sie das Gemeinschaftsprojekt des Arts Council mit der
Dubliner Hafengesellschaft, durch das ein Campus für Künstler in der alten
Getreidemühle der Firma Odlum geschaffen wurde. „Von solchen fantasievollen
Projekten und Partnerschaften wird die ganze Gesellschaft profitieren“,
meint sie. Auf 15 Stockwerken mit insgesamt 5.000 Quadratmetern sind
Ateliers, Probebühnen, schalldichte Tonstudios, Übungsräume und Räume für
Workshops und Konferenzen entstanden.
„Wie wichtig irische Kultur, irische Kunst und irische Produktionen in
unserem Land und auf der internationalen Bühne sind, darf nicht
unterschätzt werden“, sagt Catherine Martin. „Seit Generationen haben
irische Künstler Menschen in der ganzen Welt inspiriert: [4][Seamus
Heaney], [5][James Joyce], Louis Le Brocquy, Jack Butler Yeats, U2, Saoirse
Ronan oder Michael Fassbender, um nur einige zu nennen.“
## Teil der irischen Kultur
Clare Duignan, Vorsitzende der Arts and Culture Recovery Taskforce, die vom
Kulturministerium während der Pandemie im September 2020 einberufen worden
ist, berichtet: „Das Pilotprojekt war die wichtigste Empfehlung der
Taskforce, darin waren sich die Mitglieder ohne Ausnahme einig.“
John Byrne, ein in Dublin lebender Künstler aus Belfast, stimmt ihr zu. „Es
ist ein fantastisches Projekt“, sagt der 63-Jährige der taz. „Ich habe mich
aber nicht beworben, weil ich Mitglied in Aosdána bin und dafür 20.000 Euro
im Jahr erhalte.“ Aosdána wurde 1981 gegründet und unterstützt Künstler,
die einen außergewöhnlichen Beitrag zur kreativen Kunst in Irland geleistet
haben. Die Mitgliedschaft ist auf 250 Menschen begrenzt, man kann sich
nicht bewerben, sondern muss vorgeschlagen und hinzugewählt werden.
Das hat der Organisation den Vorwurf der Vetternwirtschaft eingebracht.
Allerdings kommen nicht nur äußerst erfolgreiche Künstler in den Genuss der
„Cnuas“, wie die Finanzspritze heißt, sondern auch bekannte, aber
finanziell nicht auf Rosen gebettete Leute wie Byrne. Manche Kritiker
verlangen deshalb, Aosdána abzuschaffen und das mickrige Budget von 0,1
Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Kultur aufzustocken, damit auch
jüngere und weniger erfolgreiche Künstler etwas davon haben.
Denen soll nun das Projekt zugutekommen – jedenfalls einigen von ihnen.
„Kunst erfasst unsere Vergangenheit, gestaltet unsere Gegenwart und malt
unsere Zukunft aus“, sagt Martin. „Dieses Irischsein, geprägt durch unsere
Künste, tragen wir mit uns, wo immer wir in der Welt sind, und es ist das,
was uns erkennbar als irisch identifiziert.“
11 Jan 2023
## LINKS
[1] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!t5037330
[2] /Kulturgeschichte-des-Tanzes/!5056427
[3] /Zweiter-Lockdown-in-Irland/!5722714
[4] /Nachruf-auf-Saemus-Heaney/!5060116
[5] /Literaturzeitschrift-Feuerstuhl/!5697562
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Bedingungsloses Grundeinkommen
Künstlerinnen
Schwerpunkt Armut
Kunst
Kunst
Irland
Künste
Pilotprojekt
Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Kolumne Subtext
Karl Marx
Kultur in Berlin
Kultur in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pilotprojekt Grundeinkommen: Geld bedeutet Selbstbestimmung
Drei Jahre lang erhielten 122 Personen Geld, einfach so. Zwei von ihnen
ziehen jetzt ein erstes Fazit. Doch das Konzept wird zunehmend kritisiert.
Verfassungsgericht urteilt: Kein Grundeinkommen für Hamburg
In Hamburg darf ein Volksbegehren für ein bedingungsloses Grundeinkommen
erstmal nicht durchgeführt werden. Das lässt sich aber korrigieren.
Bezahlung künstlerischer Arbeit: Muss man sich leisten können
In der künstlerischen Arbeit arbeiten viele kostenlos. Unsere Kolumnistin
erfährt derzeit, wie es auch anders sein kann und wünscht sich das für
alle.
Abseits von Lohnarbeit: Gesellschaft der befreiten Zeit
Müßiggang im Lauf der Zeit: Gregor Ritschel plädiert im Buch „Freie Zeit“
für einen Mentalitätswandel weg von der Lohnarbeit.
Kultur in Berlin unter Corona: Ein Neustart ist schwierig
Zwei Jahre Corona in Berlin: Trotz schneller Hilfen ist nicht absehbar, wie
viel der bunten Subkultur nach Corona noch übrig ist.
Fotos der Berliner Kulturszene: Verlassene Landschaften
Die Berliner Fotografin Denise „Nietze“ Schmidt fängt in einem
Text-/Bildband ein, was die Pandemie für die Kulturszene bedeutet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.