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# taz.de -- Der Schlick soll weg: Sisyphos auf der Elbe
> Baggergut aus der Elbe im Meer zu versenken, wird den Hamburger Hafen
> nicht retten. Umweltschützer befürchten, es verschlimmert vielmehr die
> Lage.
Bild: Seinen Hafenschlick darf Hamburg weiterhin in der Nordsee verklappen: Sau…
Hamburg taz | Es war eine Einigung auf den letzten Drücker: Kurz vor
Weihnachten haben Hamburg und seine Nachbarn vereinbart, dass die
Hansestadt erst mal weiterhin [1][Elbschlick in der Nordsee] verklappen
darf. Die Minister und Staatssekretäre feierten das als Erfolg, weil damit
die Zufahrt zum Hamburger Hafen mit vertretbarem Aufwand frei gehalten
werden könne.
Doch jetzt hat der Umweltverband Rettet die Elbe die zentrale These zur
Unterhaltung der Elbfahrrinne infrage gestellt: dass es reichen könnte,
eine gewisse Menge Schlick und Sand dauerhaft aus der Elbe zu holen, um den
Fluss nach der neunten Fahrrinnenanpassung zu stabilisieren. Der
Umweltverband geht noch weiter: Er spricht von „Sedimentraub“, der [2][das
System Elbe aus dem Gleichgewicht zu bringen drohe].
Mit der Einigung werde die „irrsinnige Kreislaufbaggerei“ beendet, die in
den vergangenen Monaten betrieben worden sei, hatte der
schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) nach
Abschluss der Verhandlungen gesagt.
„Kreislaufbaggerei“ bedeutet, dass störende Sedimente, auf Hamburger Gebiet
der Elbe entnommen und stromabwärts wieder in den Fluss gekippt werden,
wenn Ablagerungsstellen anderswo nicht zur Verfügung stehen; die Flut
schwemmt sie wieder zurück, sodass sie aufs Neue in den Schaufeln und
Saugrohren landen – eine Sisyphusarbeit.
## Tschentschers Thesen
Wird dieses Sediment ein für allemal entnommen und außerhalb der Reichweite
der Elbe deponiert, müsste der Sedimenteintrag stark zurückgehen – so die
These, die auch von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vertreten wird.
Die Baggerschiffe hätten weniger zu tun, die Kosten würden sinken – Problem
gelöst. Rettet die Elbe bezweifelt das: Es setze sich eben nicht nur
zurückschwappendes Baggergut auf der Flusssohle ab, sondern auch frisch
erodiertes Material.
Letzteres ist insofern unstrittig, als auch die Wasserstraßen- und
Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes davon ausgeht, dass die vor einem
Jahr abgeschlossene jüngste Elbvertiefung zumindest vorübergehend die
Erosion im Flussbett verstärkt hat. Die Wasserbauer sprechen von einem
„morphologischen Nachlauf“, den der Strom braucht, um seine neue Gestalt
anzunehmen.
Für verstärkte Verschlickung im vergangenen Jahr gibt die WSV aber weitere
Gründe an. „Zusätzlich gab es im Vergleich zum langjährigen Mittel in
diesem Frühjahr etwa dreimal so viele Sturmfluten mit ungewöhnlich hohem
Sedimenteintrag“, teilt sie mit. Und dazu komme noch, dass besonders wenig
Wasser vom Oberlauf gekommen sei und dessen Spüleffekt entsprechend
schwach ausfiel.
Die WSV spricht von einer „extremen und außergewöhnlichen Situation“,
weshalb sie sich genötigt sah, zum 1. Dezember den zulässigen
Schiffstiefgang vorübergehend wieder zu verringern. Sprich: Die
Elbvertiefung kann vorerst bis November 2023 nicht voll ausgenutzt werden.
## Auch die Obstbauern leiden schon
[3][Rettet die Elbe vermutet, dass es dabei nicht bleiben wird]. Denn bei
dem Versuch, die Solltiefe der Fahrrinne herzustellen, werde so viel Sand
und Schlick aus dem Strom geholt, dass sich die Lage weiter verschärfen
werde. „Es wird Material in Mengen entnommen, die der Größenordnung einer
Elbvertiefung entsprechen“, sagt Klaus Baumgardt von Rettet die Elbe.
Für die Elbvertiefung 1999 seien 14 Millionen Kubikmeter Sediment dem
Ästuar entnommen, worden, bei der jetzigen Vertiefung 35 Millionen
Kubikmeter. Um die neue Wassertiefe zu unterhalten, ließen die
Hafenverwaltung HPA und die WSV von 2001 bis 2019 rund 368 Millionen
Kubikmeter baggern, wovon 230 Millionen in die Nordsee entsorgt worden
seien, rechnet Rettet die Elbe vor.
„Selbst wenn WSV und HPA die planfestgestellte Solltiefe einhalten, wird
das Flussbett binnen zwei Jahren per Saldo erneut vertieft“,
prognostizieren die Umweltschützer. Statt das Material in der Nordsee oder
an Land unterzubringen, schlagen sie vor, Übertiefen damit zu füllen, also
unbeabsichtigte Auskolkungen, die kein Schiff braucht.
Nicht nur für den Versuch, die Schifffahrtsstraße für Deutschlands größten
Hafen offen zu halten, wäre eine weitere Aushöhlung der Fahrrinne fatal.
Schon jetzt verlanden die Nebenflüsse der Elbe mit ihren Sportboothäfen.
Die Brackwasserzone verschiebt sich Richtung Hamburg mit negativen Folgen
für die Obstbauern, die ihre Bäume bewässern müssen. Der Fluss trübt sich
weiter ein, sodass die Lebensbedingungen für Fische und Sauerstoff
produzierende Algen schlechter werden.
Dass gegen die wachsende Wucht der Flut etwas getan werden muss, ist auch
der WSV und der HPA klar. Doch dem eingedeichten und mit künstlichen Inseln
versehenen Fluss wieder mehr Raum zu geben, erweist sich als mühselig. Als
eine erste Maßnahme ist ein kleiner Seitenarm hinterm Deich wieder der Tide
geöffnet worden.
Das [4][Forum Tideelbe, in dem Vertreter der Länder und der
Zivilgesellschaft mehrere Jahre lang über die Probleme der Unterelbe
diskutiert haben], hat 2020 zwei [5][Vorschläge auf den Tisch gelegt], die
weiter geprüft werden sollen. Der eine, eine Öffnung der Haseldorfer
Binnenelbe, sollte schon die Airbus-Werkserweiterung in die Elbe hinein
ausgleichen und wurde gerichtlich gestoppt.
Den anderen, eine Öffnung der Alten Süderelbe, haben die Umweltverbände
jahrzehntelang gefordert. Dagegen agitiert eine Bürgerinitiative unter
Verweis auf den Deich- und den Naturschutz.
8 Jan 2023
## LINKS
[1] /Die-Zukunft-des-Hamburger-Hafens/!5891833
[2] /Gefaehrliche-Flussvertiefung/!5068859
[3] /Ausbaggern-der-Elbe/!5481445
[4] https://www.forum-tideelbe.de/ergebnisse
[5] /Wie-umgehen-mit-der-Elbvertiefung/!5716047
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Umweltbehörde Hamburg
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