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# taz.de -- Debatten über Selbstbestimmungsgesetz: Wie eine gesprungene Platte
> Seit Jahren verspricht die Regierung ein Selbstbestimmungsgesetz. Jedes
> Mal, wenn es fast kommt, heißt es: „Aber was ist mit Frauensaunen?“
Bild: „Aber was ist mit Frauensaunen?“
Steht Ihnen die Silvesterdebatte schon bis hier? Mir auch. [1][Diskussionen
wie die um die jugendlichen Angreifer in Berlin] sind wie eine gesprungene
Platte. „Wir müssen dringend über Integration sprechen“, gefolgt von „H…
ist ganz anderes entscheidend als die Herkunft“; darauf kommt „Ihr
verschließt die Augen, sobald es um Ausländer geht“, dann „Tun wir gar
nicht“ und „Tut ihr wohl“. Dann fühlt sich eine Innenministerin bewegt,
klare Kante zu zeigen, ein paar Meinungsmacher*innen plustern sich auf
und am Ende haben weder angegriffene Rettungskräfte was davon, noch
„Integrationswillige“.
Sie schalten schon ab? Dann zu etwas völlig anderem. Seit Jahrzehnten fehlt
in Deutschland eine menschenwürdige Regelung des amtlichen Geschlechts.
Seit sechs Jahren ist sie vom Verfassungsgericht beauftragt. Seit zwei
Jahren verspricht die Regierung ein Selbstbestimmungsgesetz. Und jedes Mal,
wenn es fast kommt, springt die Platte. Dann heißt es von irgendwoher:
[2][„Aber was ist mit Frauensaunen?“]
Das Fallkonstrukt geht so: Jemand betreibt eine Frauensauna und behält sich
das Privileg vor, Leute, „die wie Männer aussehen“ an der Tür abzuweisen.
Nach Selbstbestimmungsgesetz, so die Mahnung, könnte eine abgewiesene trans
Frau ja mit ihrem Geschlechtseintrag wedeln und die Saunabetreiberin wegen
Diskriminierung vor Gericht zerren. [3][„Das müssen wir sauber regeln“,
sagt Justizminister Buschmann fachmännisch der Zeit.]
Das Saunabeispiel wurde schon so oft und mit so großer Dringlichkeit
wiederholt, dass ich es manchmal ehrlich gesagt selber fast glaube. Dazu
muss man aber wissen: Das hat mit der Reform des Geschlechtseintrags nichts
zu tun. Trans Frauen könnten sich jetzt schon in Saunen einklagen. Mir ist
nicht bekannt, dass sie das täten. Aber wenn es so wichtig ist, hier
juristisch auf Nummer sicher zu gehen und unverhältnismäßige Härte gegen
überforderte Saunabetreiber*innen zu verhindern, dann hätte man das
längst „sauber regeln“ können. Wohlgemerkt ohne dabei Genitalkontrolle zu
legalisieren.
## Und noch 'ne Ehrenrunde
Auch Hilfsleitfäden und Schulungen für Mitarbeiter*innen von Saunen
und Bädern könnten längst unterwegs sein, [4][Island macht’s v]or.
Stattdessen drehen wir eine Ehrenrunde auf der alten Platte. „Wir müssen
jetzt dringend über Schutzräume für cis Frauen sprechen“, höre ich schon.
„Ihr verschließt die Augen, sobald es um Transgender geht“, „Tun wir gar
nicht“, „Tut ihr wohl“.
Fortschritt zugunsten der Schwächeren wird nicht immer aktiv bekämpft. Oft
wird er passiv verschleppt. Die Beharrungskräfte des Status quo sind
frustrierend unoriginell, das macht sie so perfide. Die meisten
Politiker*innen finden weder trans Rechte noch Frauenräume dringlich,
es sei denn, man kann beides in Scheindebatten gegeneinander ausspielen.
Damit fahren sie gut, solange die Mehrheit findet, dass Antidiskriminierung
schon auch irgendwie Zeit hat, bis morgen.
12 Jan 2023
## LINKS
[1] /Debatte-ueber-Silvesternacht/!5905139
[2] /Verschiebung-des-Transsexuellengesetzes/!5770060
[3] /Verzoegerung-von-Selbstbestimmungsgesetz/!5904850
[4] https://gayiceland.is/2021/myths-and-fantasies-used-to-try-to-exclude-trans…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Kolumne Unisex
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Selbstbestimmung
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Gegenwartsliteratur
Alice Schwarzer
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