| # taz.de -- Schönheitsideale bei Männern: Zwischen Leid und Eitelkeit | |
| > Unser Autor verurteilt einen Bekannten, weil der sich Botox spritzen | |
| > lassen hat. Und hadert selbst mit schleichend wachsenden Geheimratsecken. | |
| Bild: Ein Männermagazin rät, die Geheimratsecke durch einen Seitenscheitel in… | |
| Ein Bekannter hat sich Botox spritzen lassen. Und was soll ich sagen? Ich | |
| richte ihn. Ich lächle und stelle interessierte Nachfragen, wie man das bei | |
| entfernten Bekannten eben macht. Aber in der Richterstube gehen die Lampen | |
| an. Die Sitzung ist eröffnet. | |
| Der Bekannte war wohlgemerkt aus kosmetischen Gründen beim Botoxen, zum | |
| Fältchenglätten, das ist wichtig. Denn mit dem Nervengift lassen sich auch | |
| Schmerzleiden wie Migräne lindern. Und da zieht die Richterstube die | |
| Grenze, nicht wahr? Zwischen echtem Leid und der schnöden Eitelkeit. | |
| Mit der Eitelkeit ist das so eine Sache. [1][Ein gesundes Körperbild] | |
| wollte ich dieses Jahr nähren. Mich nehmen wie ich bin, für Fotos nicht | |
| mehr in Pose gehen, mich vor dem Spiegel nicht mehr verdrehen. Nichts mehr | |
| kaschieren. | |
| Und dann spielt mir ausgerechnet der Deutschlandfunk am frühen Morgen, wenn | |
| ich am verletzlichsten bin, eine Reportage über Haartransplantationen vor. | |
| Männer, die ins Mikro sagen, wie sie diesen Tag ersehnt haben. Danke, | |
| Radio. Gut möglich, dass diese Männer extreme Fälle frühen starken | |
| Haarausfalls sind, und ich habe ja nur eine wachsende Geheimratsecke. Aber | |
| ab wann meine Eitelkeit zu echtem Leid wird, hat die Reportage nicht | |
| gesagt. | |
| ## Männliche Privilegien gecheckt | |
| Womöglich leide ich ja unter „Besonderheiten wie einer sehr hohen Stirn“, | |
| so steht es in einem Native-Advertising-Artikel auf Süddeutsche.de. Native | |
| Advertising ist Englisch für Werbung, die aussieht wie ein journalistischer | |
| Artikel. Auch faz.net hat eine: „Etwa 80 Prozent der Männer und ein Drittel | |
| aller Frauen leiden Studien zufolge im Laufe ihres Lebens unter krankhaftem | |
| Haarverlust.“ Haben Sie das gehört? Achtzig Prozent leiden und sind krank. | |
| Darauf einen Schluck Minoxidil direkt aus der Flasche. | |
| Aber ich war ja dabei, den gebotoxten Bekannten zu richten. Hier das | |
| Plädoyer der Anklage: „Kosmetische Eingriffe haben Suchtpotenzial. Jede | |
| Retusche eines vermeintlichen Makels macht nur den nächsten sichtbar.“ Und | |
| das Plädoyer der Verteidigung? „Kosmetik ist so eine Sache“, murmelt der | |
| Freund salomonisch von der Couch, „auf gesellschaftlicher Ebene verwerflich | |
| und auf individueller verständlich.“ Na, schönen Dank auch. | |
| Ich finde ein Männermagazin, das mir rät, die Geheimratsecke durch einen | |
| Seitenscheitel in Szene zu setzen. Makel zu betonen, strahle | |
| Selbstbewusstsein aus, steht da, das sei sexy. Ich frage mich, ob so ein | |
| Ratschlag jemals in der Menschheitsgeschichte [2][an eine Frau gerichtet | |
| worden ist.] Ich weiß nun: Solange ich außen ins binär-männliche Raster | |
| falle und keine [3][allzu arge Dysphorie] gegen dieses Gender entwickle, | |
| brauche ich fast nix machen für die Sexyness. Wie beruhigend! Denn so halte | |
| ich meine guten Vorsätze ein und ich kann den Bekannten in Ruhe | |
| verurteilen. Denn der checkt ja offenbar seine männlichen Privilegien | |
| nicht. | |
| 10 Feb 2023 | |
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| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Dysphorie | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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