# taz.de -- Kita-Abholstreik: Noch mehr Druck für die Eltern | |
> Einige Eltern gehen in Kita-Abholstreik, weil Kommunen keine | |
> Ganztagsbetreuung gewährleisten. Doch ihre Kinder können deswegen den | |
> Kitaplatz verlieren. | |
Bild: Wegen Personalmangel einfach mal die Öffnungszeiten der Kita kürzen | |
Chapeau an alle, die diese Woche das Wort „Kampf“ in den | |
[1][Frauenkampf-tag] geschmuggelt haben. [2][„Frauentag“] ist | |
unverfänglich, klingt nach Muttertag, nach Blümchen und Konfekt. In einer | |
Klokabine quäkt mir aus Lautsprechern ins Ohr, ich solle die „Rabatte zum | |
Frauentag“ nicht verpassen. | |
Dabei ist Frauenpolitik immer ein Kampf. Aber wer will schon kämpfen? Seit | |
Jahresanfang ist es in Deutschland zu [3][sogenannten Kita-Abholstreiks | |
gekommen]. Die Geschichte geht so: Eine Kommune hat nicht genug Fachkräfte | |
für eine ganztägige Betreuung von Kleinkindern. Die Öffnungszeiten der | |
Kitas werden verkürzt, berufstätige Eltern fühlen sich vor den Kopf | |
gestoßen. Sie treten darauf in den „Abholstreik“, kommen also zur späteren | |
Uhrzeit. In dem Wissen, dass natürlich keine Erzieher*in das Kind im | |
Gebäude einschließt und geht. Nun ist die Kommune am Zug und führt | |
Sanktionen ein. Zum Beispiel, dass ein Kind aus der Kita fliegen kann, wenn | |
so etwas öfter passiert. So ist es kürzlich in Baden-Württemberg gekommen. | |
Das ist ein Kampf, den niemand kämpfen will. Gemeinden, Eltern, | |
Erzieherinnen und Kinder gegeneinander in Angriffsstellung? Warum ist das | |
kein größerer Skandal als Marie-Agnes Strack-Zimmermanns Büttenrede? | |
## Und was machen die Arbeitgeber? | |
Das Verhalten aller Beteiligten ist verständlich. Irgendwer muss ja | |
streiken. Denn Kinderbetreuung und andere Sorgearbeit wird von der Politik | |
deshalb so stiefväterlich behandelt, weil sie immer irgendwer am Ende | |
himmelhoch seufzend erledigt. Aber die Konsequenzen der Abholstreiks | |
tragen die Betroffenen. Die Kinder sowieso, die Erzieher*innen auch, | |
denn die machen weiter Überstunden und erziehen sich kaputt. Ergo kriegen | |
die Kommunen keine neuen Fachkräfte. Die Rausschmiss-Drohung wiederum setzt | |
die Eltern unter Druck. Auch diejenigen, die ihre Kinder zwar pünktlich | |
abholen wollen, es aber immer nur gerade so rechtzeitig schaffen. Sie | |
wissen ja, dass der Chef*in immer dann noch drei Sachen einfallen, wenn | |
man schon die Jacke anhat. | |
Ach ja, Chef*in – komisch, dass die Arbeitgeber*innen in dieser | |
Abholstreik-Geschichte kaum vorkommen. Die Eltern spielen schließlich nicht | |
acht Stunden Bridge. Menschen, die am wenigsten kämpfen sollten, sind | |
gezwungen zu kämpfen – und das auch noch gegeneinander. Und warum? Weil die | |
Chance, nach dem Coronaschock das System Fürsorge neu zu denken, ungenutzt | |
blieb. Das ist kein „Frauenproblem“. Wenn man bedenkt, wie schnell wir | |
altern und wie viel und lange wir in Zukunft lohnarbeiten sollen, sind wir | |
alle davon abhängig, dass die Sorgearbeit läuft. Wenn Kitas und | |
Pflegezentren nicht bald mindestens dieselbe Stellung im Diskurs bekommen | |
wie die Autoindustrie, dann hoffe ich, dass niemand ein Problem mit | |
kinderbespaßenden Robotern hat. Wer nicht anders kann, kämpft für das | |
Jetzt. Der Rest muss sich hinsetzen und über die Zukunft nachdenken. | |
9 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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