# taz.de -- Neue Kapitel für das Mobilitätsgesetz: Nicht das (Lasten-)Rad neu… | |
> Der Senat hat die fehlenden Kapitel des Mobilitätsgesetzes – | |
> Wirtschaftsverkehr und „Neue Mobilität“ – vorgelegt. Viel wird sich | |
> dadurch nicht ändern. | |
Bild: Vertrautes Bild: Wirtschaftsverkehr macht die Straße dicht | |
Das Chaos auf Berlins Straßen hat vielfältige Gründe. Einer ist mit | |
Sicherheit die Zahl der Autos, die immer weiter steigt, allen Anstrengungen | |
zur Einleitung der Verkehrswende zum Trotz. Genauso problematisch, und | |
nicht erst seit gestern, ist das wachsende und erstaunlich unregulierte | |
Aufkommen an Transport- und Lieferverkehr. Die wachsende und verdichtete | |
Stadt braucht ständig Nachschub an Waren, und in der Ära des | |
Internethandels wollen immer mehr Haushalte die gewünschten Produkte an der | |
Wohnungstür in Empfang nehmen. | |
Auf den Straßen führt das zu Schwärmen von Lieferwagen, die in Ermangelung | |
von Stellplätzen auf den Fahrbahnen parken. Das behindert nicht nur den | |
Fluss der Pkws, sondern gefährdet direkt oder indirekt auch Radfahrende und | |
andere Verkehrsteilnehmer. Auch große Lastwagen, die die unzähligen | |
innerstädtischen Supermärkte, Einkaufszentren oder Baustellen versorgen, | |
verstopfen die Straßen und stellen ganz besonders beim Abbiegen ein viel zu | |
oft tödliches Risiko dar. | |
Aber jetzt wird alles besser – oder? [1][Viereinhalb Jahre nach | |
Verabschiedung] des (unvollständigen) Mobilitätsgesetzes liegt endlich der | |
Teil zum Wirtschaftsverkehr vor, für den von Anfang an ein Platzhalter | |
vorgesehen war. Soll heißen, der rot-grün-rote Senat hat sich auf eine | |
Fassung geeinigt, die nun noch das Parlament durchlaufen muss. Ein | |
Prozedere, das vermutlich nicht vor dessen Wiederwahl abgeschlossen sein | |
wird. | |
Schaut man in den Entwurf hinein, stellt sich schnell die Frage: Warum um | |
alles in der Welt hat das so lange gedauert? Die Ziele, die da formuliert | |
werden – „stadtverträgliche Liefer- und Ladeprozesse“, Vorrang für | |
Lieferzonen vor Parkraum für private Pkw, ein Netz an Umschlagplätzen, mehr | |
Güter auf Schiene und Schiffe – sind nicht neu. Vieles „soll“, wenig „… | |
getan werden. Und was die Umsetzung angeht, sieht das Gesetz eine Menge | |
sekundärer Prüf- und Planungsprozesse vor. | |
## Das kann dauern | |
So soll die Senatsverwaltung für Mobilität sich erst mal mit den Ressorts | |
Stadtentwicklung und Wirtschaft und den Bezirken zusammensetzen und ein | |
„Verkehrsflächensicherungskonzept für den Wirtschaftsverkehr“ entwickeln. | |
Dass das dauert, versteht sich in Berlin von selbst, nicht zuletzt, weil | |
hier wieder über Parteigrenzen hinweg verhandelt werden muss. | |
Weiter geht’s mit einem „Leitfaden für die Bedarfsermittlung von Liefer- | |
und Ladeverkehrsflächen“, den die Mobilitätsverwaltung mit den Bezirken und | |
anderen Stakeholdern erarbeiten soll – puh. Wie auch immer, das meiste | |
steht ohnehin schon ungleich ausführlicher und konkreter im | |
Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr („StEP MoVe“) und dem | |
Integrierten Wirtschaftsverkehrskonzept, das erst 2021 komplett | |
überarbeitet wurde. | |
Beim zweiten und insgesamt letzten Abschnitt, der nun vorliegt und sich | |
„Entwicklung Neuer Mobilität“ nennt, sieht es ähnlich aus. Alle Ziele, die | |
hier subsumiert werden, sind bekannt und durch die Bank zu begrüßen, sie | |
sind aber auch nicht neu, und vieles wird – dort, wo die politischen | |
Rahmenbedingungen stimmen – schon umgesetzt. | |
## Gibt's doch schon | |
Maßnahmen, die die Verkehrsflüsse steuern und den fließenden wie ruhenden | |
motorisierten Individualverkehr reduzieren? Ist genau das, was schon heute | |
durch Kiezblöcke mit ihren Durchfahrsperren („Modalfiltern“) oder die | |
Einrichtung von Fahrrad-Abstellflächen auf ehemaligen Kfz-Parkplätzen an | |
Kreuzungen bewirkt wird, was im Bezirk Mitte derzeit massiv umgesetzt wird. | |
Wo ein Wille ist, ist auch ein (Rad-)Weg. | |
Beim Thema [2][Parkraumbewirtschaftung] fällt der Entwurf sogar hinter die | |
Möglichkeit zurück, die Ausweitung der Zonen mit Zielzahlen zu verbinden. | |
Zur Erinnerung: Schon 2016 schrieb Rot-Rot-Grün in den Koalitionsvertrag, | |
man werde das kostenpflichtige Parken bis zum Ende der Legislatur im | |
gesamten S-Bahn-Ring ausrollen – das ist noch längst nicht erreicht. | |
Interessant: die Erwähnung neuer Konzepte wie „Quartiersgaragen“. Aber auch | |
die sollen … genau: erst mal geprüft werden. | |
Es ist gut und richtig, dass alle diese Ziele nun gesetzlich abgesichert | |
werden, es mag auch die Legitimität mancher Einzelmaßnahmen noch einmal | |
erhöhen. Gut ist auch, dass Grüne und SPD sich endlich zusammengerauft | |
haben – [3][der letzte Versuch war vor der Wahl im September 2021 | |
gescheitert]. Nun haben die Sozialdemokraten die Reduktion von Parkplätzen | |
geschluckt und dafür an anderer Stelle das Wort „preisfrei“ | |
hineinredigiert, was mutmaßlich eine Citymaut ausschließt, wie sie die | |
Grünen favorisieren. | |
Wer aber erwartet hatte, dass hier das (Lasten-)Rad neu erfunden würde, hat | |
sich gründlich getäuscht. Das Chaos auf den Straßen wird sich so nicht | |
morgen auflösen, und übermorgen vermutlich auch nicht. | |
24 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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