# taz.de -- Korruptionsskandal im EU-Parlament: Viele offene Fragen in Brüssel | |
> Der Korruptionsskandal im Europaparlament wirft die Frage auf, ob er ein | |
> Einzelfall ist. Auch bei anderen Vorgängen gibt es Ungereimtheiten. | |
Bild: Abgesetzte EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili mit katarischem Minist… | |
BRÜSSEL taz | Der Korruptionsskandal im Europaparlament beschäftigt nun | |
auch die EU-Kommission. Die Vorwürfe gegen [1][die Vizepräsidentin des | |
Parlaments, Eva Kaili], seien „sehr schwerwiegend“, sagte Kommissionschefin | |
Ursula von der Leyen am Montag. Die EU brauche „die höchsten Standards“ bei | |
Unabhängigkeit und Integrität. Zur Überlegung steht ein Ethikrat zur | |
Überwachung von EU-Institutionen. | |
Kaili wird beschuldigt, [2][Geld von Katar entgegengenommen zu haben], um | |
damit offenbar EU-Entscheidungen zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. | |
Doch nicht nur die 44-jährige, mittlerweile inhaftierte Griechin hat sich | |
wohlwollend über Katar geäußert. Auch von der Leyen pries das Emirat. Nach | |
einem Telefonat im Januar nannte sie Emir Tamim bin Hamad al-Thani einen | |
„verlässlichen Partner“. | |
Eine verdächtige Nähe wird auch einem von der Leyens prominenten | |
Stellvertretern nachgesagt. Kommissionsvize Margaritis Schinas hatte Katar | |
gemeinsam mit Kaili zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft im November | |
besucht und Regierungsmitglieder getroffen. [3][In einem Tweet schrieb er], | |
Katar habe „beträchtliche und greifbare Fortschritte bei den | |
Arbeitsreformen erzielt“. | |
Das klingt nach Lobhudelei – war aber kein Einzelfall. So hat sich die | |
EU-Kommission auch im Streit über eine Visaliberalisierung für Katar | |
eingesetzt. Die Erleichterung sollte ursprünglich am Montag im | |
Europaparlament diskutiert werden. Wegen des Korruptionsskandals wurde sie | |
jedoch in letzter Minute von der Tagesordnung gestrichen. Dennoch bleibt | |
die Frage, ob der „Fall Kaili“ ein Einzelfall ist – oder ob mehr | |
dahintersteckt, wie der Karlsruher EU-Abgeordnete René Repasi vermutet. Der | |
SPD-Politiker spricht von der „Spitze des Eisbergs“. | |
## Kommission weicht Nachfragen aus | |
Fraglich ist auch, ob die Transparenz- und Antikorruptionsmaßnahmen so gut | |
funktionieren, wie dies in Brüssel gern behauptet wird. „Wir haben sehr | |
klare Regeln für alle Kommissare und schauen uns das an“, sagte von der | |
Leyen auf die Frage nach möglichen Interessenkonflikten ihres | |
Stellvertreters Schinas. Zuvor hatten Journalisten lautstark protestiert – | |
sie wollte Nachfragen ausweichen. | |
Ausgesprochen zugeknöpft gibt sich die CDU-Politikerin auch bei Fragen | |
[4][zu anderen Affären]. So hat die Europäische Staatsanwaltschaft Eppo | |
Mitte Oktober Ermittlungen eingeleitet, die sich um die Beschaffung von | |
Corona-Impfstoffen in der EU drehen. Zuständig war von der Leyen; sie soll | |
einen milliardenschweren Vertrag mit dem US-Hersteller Pfizer eingefädelt | |
haben – per SMS. | |
Doch die EU-Kommission lässt sich nicht in die Karten schauen. Die SMS | |
würden nicht aufbewahrt, der Vertrag mit Pfizer sei vertraulich, heißt es | |
in der Brüsseler Behörde. Auf Nachfrage der taz, was aus den | |
Eppo-Ermittlungen geworden sei, hieß es in der Kommission, man wisse von | |
nichts. Bisher ist nicht einmal klar, ob Eppo gegen von der Leyen | |
ermittelt. | |
Unter den Teppich gekehrt wird auch die Frage, warum der für Außenpolitik | |
zuständige EU-Kommissar Josep Borrell eine Pension kassiert. Der Spanier | |
erhält das Altersgeld zusätzlich zu seinem Monatsgehalt von mehr als 20.000 | |
Euro – aus der völlig überschuldeten Pensionskasse des Europaparlaments. | |
Weder Borrell noch das Parlament scheinen an Aufklärung interessiert. | |
Umso eiliger haben es die EU-Politiker, den „Fall Kaili“ hinter sich zu | |
lassen. Bei einer Krisensitzung in Straßburg wollte das Europaparlament am | |
Montagabend die Vizepräsidentin aller Ämter entheben – vorläufig | |
suspendiert wurde sie bereits am Samstag. Das Parlament will sie nun | |
endgültig fallen lassen – dabei wurde bisher nicht einmal Anklage erhoben. | |
Doch zur Ruhe kommt die EU-Politik noch lange nicht: Am Nachmittag | |
informierte die belgische Bundesstaatsanwaltschaft, dass die Polizei | |
Räumlichkeiten des EU-Parlaments in Brüssel durchsucht hat. | |
12 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Kaili-zwischen-Sparzwang-und-Korruption/!5898855 | |
[2] /Geld-aus-Katar-Kaili-unter-Verdacht/!5898856 | |
[3] https://twitter.com/MargSchinas/status/1594293358033264641 | |
[4] /Korruptionsverdacht-im-EU-Parlament/!5898838 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Korruption | |
von der Leyen | |
Ursula von der Leyen | |
Europäische Union | |
Europäische Kommission | |
EU-Kommission | |
Katar | |
Griechenland | |
Fußball-WM 2022 Katar | |
Schwerpunkt Korruption | |
EU-Parlament | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit um Infos über Impfstoffdeal: „New York Times“ verklagt EU | |
Kommissionschefin Ursula von der Leyen gerät unter Druck. Sie hält Details | |
über den Milliarden-Deal mit dem Corona-Impfstoffhersteller Pfizer geheim. | |
Korruptionsskandal in der EU: Europas fragwürdige Liebe zu Katar | |
Nicht nur Vizeparlamentsvorsitzende Kaili setzte sich für Katar ein. | |
Plötzlich gelten alle als verdächtig, die sich mit dem Emirat eingelassen | |
haben. | |
Korruptionsskandal im Europaparlament: Abgesetzt mit nur einer Gegenstimme | |
Das Plenum des EU-Parlaments hat die Vizepräsidentin Kaili wegen | |
Korruptionsvorwürfen abgesetzt. Die teilte mit, sie halte sich für | |
unschuldig. | |
Korruption in Katar: Geölt, geschmiert, gewonnen | |
Wie Katar sich im Weltsport festsetzt und mit viel Geld dafür sorgt, dass | |
Verbände gefügig sind. Und welche Rolle die Justiz spielen sollte. | |
Korruptionsskandal im EU-Parlament: Kaili soll Steuern hinterzogen haben | |
Seit Sonntag sitzt die suspendierte Vizepräsidentin des EU-Parlaments im | |
Gefängnis. Offenbar ermitteln auch griechische Behörden gegen sie. | |
Korruptionsverdacht im EU-Parlament: Eigentor in Brüssel | |
Die Korruptionsvorwürfe dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. Strengere | |
Transparenzregeln sind nötig – um gegen Orbán glaubwürdig zu bleiben. |