# taz.de -- Drohende Abschiebung nach Tadschikistan: Doppelte Bestrafung | |
> Abdullohi Shamsiddin droht Folter in seiner Heimat Tadschikistan. Weil er | |
> vorbestraft ist, soll er trotzdem dorthin abgeschoben werden. | |
Bild: Abschiebegefängnis in Büren: Hier wird Shamsiddin festgehalten, bald so… | |
Hinweis: Dieser Text enthält Schilderungen von Gewalt und Selbstverletzung. | |
BOCHUM taz | Im Protokoll des Amtsgerichts Dortmund, das Abdullohi | |
Shamsiddin in das Abschiebegefängnis im nordrhein-westfälischen Büren | |
bringt, ist die Angst des 32-Jährigen nachzulesen. „Ich will ja ausreisen“, | |
beschwört der Tadschike, der 2009 in die Bundesrepublik gekommen ist, die | |
Richterin: „Ich reise noch heute aus, wenn Sie mich lassen. Ich gehe in | |
jedes andere Land. Nur nicht Tadschikistan“, fleht der Vater zweier Kinder. | |
Denn in der Diktatur des autokratischen Präsidenten Emomalij Rahmon drohten | |
ihm Folter und Haft. | |
Die Furcht Shamsiddins ist verständlich: Er ist Mitglied der ehemals | |
größten, seit 2015 verbotenen Oppositionspartei. Im Staatsfernsehen wurden | |
Funktionäre [1][der als nicht extrem geltenden „Islamischen Partei der | |
Wiedergeburt Tadschikistans“ (IRPT)] bereits als vermeintliche Terroristen | |
mit deutlich sichtbaren Spuren von Misshandlungen vorgeführt. Und | |
Shamsiddin, der mehr als zehn Jahre in Dortmund gelebt hat, war nach | |
Parteiangaben nicht nur Assistent des Parteichefs Muhiddin Kabiri. Auch | |
sein Vater gilt als hochrangiger IRPT-Kader. Nicht ohne Grund leben | |
Shamsiddins Eltern deshalb als anerkannte Flüchtlinge in Aachen. | |
Was Oppositionellen in Tadschikistan droht, [2][macht der Fall von Hizbullo | |
Shovalizoda klar], den Österreich 2020 abgeschoben hat – und der prompt zu | |
20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Zwar hat Österreichs Oberster | |
Gerichtshof die Abschiebung im Nachhinein für illegal erklärt. Doch das | |
nützt dem politischen Gegner des Autokraten Rahmon jetzt nicht mehr viel. | |
Im Fall Shamsiddins bestehen die Dortmunder Ausländerbehörde und das | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dennoch auf Abschiebung. | |
Am 11. Dezember wurde Shamsiddin weit vor Morgengrauen aus seiner Wohnung | |
in der Dortmunder Sternstraße geholt und nach München gebracht. Noch am | |
selben Tag sollte er dort in ein Flugzeug mit Ziel der tadschikischen | |
Hauptstadt Duschanbe gesetzt werden. Seine Abschiebung zunächst verhindern | |
konnte er nur, indem er hart mit dem Kopf gegen eine Wand schlug – und sich | |
so selbst die Nase brach. Denn bei Selbstverletzungen wird eine Abschiebung | |
erst einmal ausgesetzt. | |
## Harte Vorwürfe | |
Begründet wird die harte Haltung der Behörden mit falschen | |
Identitätsangaben, die Shamsiddin in zwei zuvor abgelehnten Asylanträgen | |
gemacht hat: Bis Februar lebte er in Deutschland unter dem Namen Abdullah | |
Farhod. Dazu kommen Vorstrafen. 2012 wurde er wegen Vergewaltigung zu einer | |
Jugendstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. | |
Und 2014 arbeitete der Tadschike als Sozialbetreuer in [3][der | |
Flüchtlingsunterkunft Burbach] im Siegerland, [4][als dort Wachleute | |
Migrant:innen einsperrten und misshandelten]. Weil er nicht einschritt, | |
wurde er wie mehr als ein Dutzend andere Angeklagte wegen | |
Freiheitsberaubung zu einer – wenn auch milden – Geldstrafe verurteilt. | |
Zahlen musste er 50 Tagessätze von 30 Euro. | |
Allerdings: Nach Gesprächen mit Shamsiddin und seinen | |
Unterstützer:innen scheinen sich die abstoßend wirkenden Vorwürfe zu | |
relativieren. Eine falsche Identität habe er angegeben, weil er sich auch | |
in Deutschland vor der Verfolgung des tadschikischen Regimes gefürchtet | |
habe. Außerdem habe er seine Familie, besonders seinen Vater und seine | |
Mutter, die noch nicht geflohen waren, schützen wollen, sagt er am Telefon | |
im abgelegenen, von Wald umgebenen Abschiebeknast im ostwestfälischen | |
Büren. | |
Auch den Vergewaltigungsvorwurf weist er zurück. Anfang des vergangenen | |
Jahrzehnts habe er eine Beziehung zu einer Frau gehabt, von der er nicht | |
einmal gewusst habe, dass sie verheiratet war, sagt Shamsiddin. Nachdem das | |
Verhältnis aufgeflogen sei, habe sie mit dem Vergewaltigungsvorwurf ihre | |
Ehe retten wollen. „Ich war erst kurz in Deutschland und habe das ganze | |
Verfahren nicht verstanden“, sagt er. „Ich dachte, ich sei als Zeuge | |
geladen.“ Nicht einmal einen Anwalt habe er gehabt. | |
## Letzte Hoffnung: Verwaltungsgericht Gelsenkirchen | |
„Ich halte Abdullohi Shamsiddin für absolut glaubwürdig“, erklärt die | |
Fotografin Cornelia Suhan. Im Bosnien-Krieg der Neunziger ist die heute | |
66-Jährige mit systematischen Vergewaltigungen konfrontiert worden – und | |
kämpft seitdem mit der [5][Organisation Vive Žene] für Frauen und Mädchen, | |
die sexualisierte Gewalt erfahren mussten. | |
Doch Suhan ist auch Kopf eines Netzwerks, das gegen die drohende | |
Abschiebung Shamsiddins kämpft: Nicht nur Nachbar:innen und Bekannte | |
schildern den Mann, der seit mehr als acht Jahren straffrei in Deutschland | |
lebt, als freundlich und hilfsbereit. Sie haben vor der Dortmunder | |
Ausländerbehörde für ihn demonstriert. Auch sein ehemaliger Chef, bei dem | |
Shamsiddin mehr als vier Jahre arbeitete und zuletzt mehr als 2.000 Euro | |
netto verdiente, bezeichnet ihn als einen seiner wertvollsten Mitarbeiter. | |
Das BAMF dagegen hält Shamsiddin offenbar für unglaubwürdig. Ein dritter | |
Asylantrag, den der Tadschike aus dem Abschiebeknast heraus gestellt hat, | |
wurde innerhalb von 48 Stunden ohne Anhörung abgelehnt. Für „Personen mit | |
Vorstrafen“ sei das typisch, sagt Sebastian Rose von der Organisation | |
Abschiebungsreporting NRW dazu. Sie stünden „in einem besonderen Fokus“ und | |
sollen, wie im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung | |
festgeschrieben, „möglichst schnell abgeschoben werden“. | |
Shamsiddin drohe damit eine „Doppelbestrafung“, sagt Rose. „Straftaten, d… | |
schon lange vergolten sind, werden aufenthaltsrechtlich erneut gegen | |
Geflüchtete verwendet“, kritisiert er. „Für uns ist klar: Deutschland darf | |
niemanden in ein Land abschieben, in dem aus politischen Gründen Haft oder | |
Folter droht.“ | |
Im Abschiebeknast kann Shamsiddin selbst jetzt nur noch auf das | |
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hoffen, bei dem sein Anwalt ein | |
Abschiebeverbot beantragt hat. „In Tadschikistan“, sagt Shamsiddin | |
niedergeschlagen am Telefon, „werde ich direkt aus dem Flugzeug verhaftet – | |
und verschwinde für 20 Jahre im Gefängnis.“ | |
29 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/ausland/tadschikistan-is-anschlag-auf-touris… | |
[2] https://www.rferl.org/a/austria-s-supreme-court-invalidates-extradition-of-… | |
[3] /Fluechtlingsheim-Burbach/!5031867 | |
[4] /Misshandelte-Fluechtlinge-in-Burbach/!5564199 | |
[5] https://www.vive-zene.de | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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