| # taz.de -- Flüchtlingsheim Burbach: Das ewige Provisorium | |
| > Die Misshandlungen der Flüchtlinge in Burbach haben aufgeschreckt. Die | |
| > Unterkunft ist in einem katastrophalen Zustand. | |
| Bild: us wenigen Tagen wurden mehrere Monate: Familie Alhaboul in der Unterkunf… | |
| BURBACH taz | An Stube 312 prangt noch das Namensschild der Soldaten, die | |
| einst hier wohnten. Heute leben Blerina und Ilir Cerma mit ihrer | |
| sechsjährigen Tochter und Ilirs Schwester in dem kargen Zimmer. Seit zwei | |
| Monaten sind sie in der alten Siegerlandkaserne untergebracht. | |
| [1][Von dem Misshandlungsskandal], der hier stattgefunden hat, haben die | |
| Flüchtlinge aus Albanien gehört. Dazu äußern wollen sie sich aber nicht. | |
| Der Kampf ums tägliche Überleben beschäftigt die Romafamilie schon genug. | |
| „Ich habe schon so viel Gewalt in meinem Leben gesehen“, sagt Blerina | |
| Cerma, die ein bisschen Englisch spricht. | |
| In der Einrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen in Burbach haben | |
| Wachmänner Flüchtlinge misshandelt und gedemütigt, sich dabei selbst | |
| fotografiert und gefilmt – Bilder, die an das irakische Foltergefängnis Abu | |
| Ghraib erinnern und doch aus einer deutschen Flüchtlingsunterkunft | |
| stammten. Der Sicherheitsdienst wurde inzwischen ausgetauscht. Die | |
| Verhältnisse sind nach wie vor trostlos. | |
| Das Zimmer, in dem die Cermas leben, ist spärlich ausgestattet. Ein Tisch, | |
| vier Betten. Einen Schrank gibt es nicht. Die Wände sind mit Krakeleien | |
| beschmiert. Ihre wenigen Habseligkeiten haben sie in Tüten verstaut. Auf | |
| der einen Fensterbank stehen Shampoo, Zahnbürsten, Deo. Auf der anderen | |
| Orangen, Gurken, Bananen, Salat. Ilir Cerma und seine Tochter haben | |
| Probleme mit dem in der Kantine ausgegebenen Essen. Von ihrem wenigen | |
| Taschengeld, das sie bekommen, kaufen die Cermas eigene Lebensmittel. | |
| ## Verdreckt und vermüllt | |
| Wenn sie ihr Zimmer verlassen, ziehen sie die Klinke von der Tür. Es gibt | |
| keine andere Möglichkeit, die Privatsphäre zu schützen. Ihre Nachbarn | |
| halten es ebenso. Die Türen haben keine Schlösser. Aus den Dusch- und | |
| Toilettenräumen, die auf dem Flur liegen, kommt ein unerträglicher Gestank. | |
| Beide Räume sind verdreckt und vermüllt. Zwei der vier Klos sind defekt. | |
| Der Hausmeister sei bereits alarmiert worden, sagt Einrichtungsleiter | |
| Ricardo Sichert. Außerdem sei erst am Morgen gereinigt worden, versichert | |
| er. | |
| Sichert ist sich bewusst, dass hier einiges im Argen liegt. Der von der | |
| Betreiberfirma European Homecare mit der Leitung der Notunterkunft betraute | |
| 34-Jährige ist kein kühler Verwalter des Elends. Er wirkt sympathisch, | |
| zeigt Empathie. | |
| Dass es ausgerechnet in seiner Einrichtung zu den Misshandlungen kommen | |
| konnte, schockiert ihn sichtlich. „Ich wusste nichts von der Gewalt“, sagt | |
| Sichert. Es klingt glaubwürdig. Er würde gerne mehr für die Bewohner tun. | |
| Aber seine Möglichkeiten sind begrenzt. | |
| Vor neun Jahren verließen die letzten Soldaten die Kaserne, im September | |
| vergangenen Jahres zogen die ersten Flüchtlinge ein. Es sollte ein kurzes | |
| Intermezzo für vier Monate sein, geplant für bis zu 500 Asylsuchende. | |
| Inzwischen leben hier mehr als 700 Menschen aus rund 20 Nationen. Sichert | |
| würde gerne einen Kinderspielplatz einrichten. | |
| ## Bürokratie gegen gutes Leben | |
| Aber er kann nicht einfach im Baumarkt eine Schaukel holen. „Der Spielplatz | |
| müsste den Sicherheitsvorschriften entsprechen und vom TÜV abgenommen | |
| werden“, sagt er. Zu viel Aufwand für eine Einrichtung, die immer nur | |
| befristet genehmigt wird. Zumal für ein profitorientiertes Unternehmen wie | |
| European Homecare. | |
| Die nächste Genehmigung läuft im Januar aus. Die Bezirksregierung | |
| verlängert die Genehmigungen meistens am letzten Tag, sagt Sichert. Die | |
| Folge: Renovierungsbedürftige Anlagen werden nicht saniert, Fensterrahmen | |
| und Wände, die es nötig hätten, nicht gestrichen. | |
| Vier Sozialbetreuer sind für über 700 Leute im Einsatz, insgesamt arbeiten | |
| hier 24 Personen plus Security. Sichert sucht dringend weitere Mitarbeiter. | |
| Wenn er in seinem hellblauen European-Homecare-Poloshirt über das Gelände | |
| geht, wird er immer wieder von Bewohnern angesprochen. Er antwortet ruhig | |
| und geduldig. Mitarbeiter übersetzen, wenn er nicht weiterkommt. | |
| Sozialbetreuer Sami Naoui aus Tunesien zum Beispiel. | |
| Er spricht neben Deutsch auch noch Arabisch und Französisch, scheint sich | |
| aber in jeder Sprache verständigen zu können. Auch mit Edina Pandzic. Sie | |
| wohnt wie die Cermas im Haus vier. Als sie Naoui sieht, winkt sie freudig. | |
| Er beginnt mit den Händen zu gestikulieren. Edina Pandzic ist taubstumm, | |
| die Romni ist mit ihrem ebenfalls taubstummen Mann aus Serbien geflohen. | |
| ## Einrichtung unter Quarantäne | |
| Auf dem umzäunten und nur über eine bewachte Schleuse zugänglichen Gelände | |
| stehen große mehrstöckige Häuser, dazwischen haben Bewohner Wäsche zum | |
| Trocknen aufgehängt. Auf dem Platz vor und zwischen den Häusern stehen | |
| viele in Gruppen und unterhalten sich, auf den wenigen Bänken sitzen die | |
| Älteren. | |
| Eine von ihnen ist Mounouar Alhaboul, die mit ihrer Familie in Damaskus | |
| zwischen die Fronten geraten ist. Mit ihrem Mann, der 85-jährigen | |
| Schwiegermutter und ihren zwei Töchtern samt Enkeln wurde sie nach Burbach | |
| gebracht. Eigentlich sollten sie nur fünf bis zehn Tage bleiben, so wie | |
| alle anderen auch. | |
| Doch inzwischen sind sie schon zwei Monate hier. Erst kamen die Masern in | |
| die Notunterkunft, dann die Windpocken. Die Einrichtung stand unter | |
| Quarantäne. Was die Lage für viele schier unerträglich machte. Auch die | |
| 62-jährige Alhaboul leidet sehr. Sie will ihre Söhne in Essen wiedersehen. | |
| Am Montag besichtigte Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) die Einrichtung, | |
| am Mittwoch Oppositionsführer Armin Laschet (CDU). Der Christdemokrat ist | |
| einer der wenigen, der die zuständige Aufsichtsbehörde ins Visier nimmt, | |
| die Bezirksregierung Arnsberg. Sie ist eine von fünf Bezirksregierungen in | |
| NRW und für die Kontrolle aller Flüchtlingsunterkünfte des Landes | |
| zuständig. „Die Frage ist, ob eine einzige Bezirksregierung damit nicht | |
| überfordert ist“, kritisierte Laschet. | |
| ## Permanent überbelegt | |
| Eine Frage ist das nicht mehr. Die Bezirksregierung scheint unfähig zu | |
| begreifen, dass sie für die Menschen in den Unterkünften verantwortlich | |
| ist. Man habe sich nichts vorzuwerfen, erklärte der Arnsberger | |
| Regierungspräsident Gerd Bollermann (SPD) nach Bekanntwerden der | |
| Misshandlungen. Die einzige Idee, die die Bürokraten in Arnsberg haben: die | |
| Sicherheitsüberprüfung für die Security erhöhen. | |
| In Burbach wird die Bezirksregierung von einem Mann repräsentiert, der im | |
| Verwaltungsgebäude im Erdgeschoss ganz hinten in seinem Büro sitzt. Die Tür | |
| ist abgeschlossen. Auf Klopfen reagiert er zunächst nicht. Erst als | |
| Einrichtungsleiter Sichert kommt, öffnet er. „Bei mir hat sich noch nie | |
| jemand wegen einer dreckigen Toilette beschwert“, sagt der Mann, der seinen | |
| Namen nicht nennen will. | |
| Die Flüchtlinge kämen doch immer nur, wenn sie Geld haben wollten, „wofür | |
| auch immer“. Er wirkt, als kenne er die Diskussion um die Vorgänge in der | |
| Einrichtung nicht. Für Kontrollen hat er selbst keine Zeit, betont er. | |
| Schließlich habe er genug damit zu tun, Unterkünfte für die Leute in den | |
| Kommunen zu finden. „Ich arbeite bis zu zwölf Stunden am Tag, aber darüber | |
| schreibt keiner“, beschwert er sich. | |
| Den Burbacher Bürgermeister Christoph Ewers (CDU) ärgern die Zustände in | |
| der Kaserne. „Es gibt keine Strategie für die Einrichtung“, kritisiert er. | |
| „Sie wurde in wenigen Tagen hochgezogen und seitdem ist sie ein | |
| Provisorium.“ Den Christdemokraten stört die permanente Überbelegung, | |
| deshalb war er auch im Innenministerium und hat einen Betreiberwechsel | |
| angeregt. | |
| ## Ein weiteres Bett fürs Zimmer | |
| Ewers macht die Profitorientierung von [2][European Homecare] misstrauisch. | |
| „Das Unternehmen bekommt Pauschalen pro Bett“, sagt er. Aber die Fixkosten | |
| für Miete und Personal steigen nicht im gleichen Maße wie die Zahl der | |
| aufgenommenen Flüchtlinge. | |
| „Die Versuchung ist groß, nicht gegen Überbelegung zu protestieren.“ | |
| Stattdessen wird eben ein Bett mehr ins Zimmer geschoben, fürchtet er und | |
| zeigt Alternativen auf: „Das Deutsche Rote Kreuz und die anderen | |
| Wohlfahrtsverbände haben ehrenamtliche Strukturen vor Ort, die sich bei der | |
| Betreuung der Flüchtlinge einbringen.“ | |
| 4 Oct 2014 | |
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| [1] /Misshandelte-Fluechtlinge-in-NRW/!146875/ | |
| [2] /Misshandlung-von-Asylbewerbern/!146968/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
| Pascal Beucker | |
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