| # taz.de -- Streit um Massaker im Osten von Kongo: Viele Leichen und keine Gewi… | |
| > Kongos Regierung wirft den M23-Rebellen ein brutales Massaker vor und | |
| > meldet immer mehr Tote. Was ist in Kisheshe wirklich geschehen? | |
| Bild: Aktivisten im Kongo bei einer Mahnwache, 5. Dezember | |
| Kampala taz | Es ist womöglich das größte Massaker der letzten Jahre in der | |
| Demokratischen Republik Kongo. Die Regierung sprach am Montagabend von 272 | |
| Toten in dem kleinen Ort Kisheshe im Osten des Landes und beschuldigt die | |
| M23 (Bewegung des 23. März) der „Barbarei“. Von Samstag bis Montag | |
| herrschten drei Tage Staatstrauer, Kongos Justiz und die | |
| Menschenrechtsabteilung der UN-Mission Monusco ermitteln. | |
| Was genau in der Nacht auf den 30. November vorgefallen ist, bleibt unklar. | |
| „Wir haben drei bis sechs Leichen in demselben Loch begraben“, berichtete | |
| ein Einwohner von Kisheshe der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Ein | |
| anderer erzählte, er habe sechs Massengräber ausgehoben. Die M23 habe ihn | |
| dazu gezwungen, um die von ihr getöteten jungen Männer darin zu beerdigen. | |
| Ermittler nach Kisheshe zu entsenden, dürfte schwierig werden. Das Dorf | |
| liegt zwar nur 70 Kilometer Luftlinie von der Provinzhauptstadt Goma | |
| entfernt, jenseits des aktiven Nyamuragira-Vulkans. Doch es liegt direkt an | |
| der Front. | |
| Das Dorf inmitten der Savanne des Virunga-Nationalparks ist das | |
| Eintrittstor in das Gebiet der ruandischen Hutu-Miliz [1][FDLR | |
| (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)], die vor über zwanzig Jahren | |
| von nach Kongo geflohenen Tätern des Völkermords an den Tutsi in Ruanda | |
| gegründet wurde und hier seit Jahrzehnten das Sagen hat. | |
| In der kleinen Adventistenkirche, wo nun mutmaßlich über 60 Leichen | |
| gefunden wurden, [2][traf die taz 2012 FDLR-General Stany], nachweislich | |
| ein Täter des Völkermords. Der hohe FDLR-Kommandant erklärte damals, dass | |
| sein Hauptquartier nur drei Stunden Fußmarsch entfernt liege, an der Flanke | |
| des Vulkans. Er kommandiert heute die FDLR-Spezialeinheiten, die | |
| [3][Angriffe auf Ruanda planen und durchführen]. | |
| Diese nur rund 150 Mann starke Truppe gilt als Speerspitze des Krieges der | |
| Hutu-Miliz, deren Ziel ist, Ruanda von der einstigen Tutsi-Rebellenbewegung | |
| RPF (Ruandische Patriotische Front) unter Präsident Paul Kagame | |
| zurückzuerobern. Ruanda und die M23 behaupten, die FDLR-Spezialeinheiten | |
| würden gemeinsam mit Kongos Armee kämpfen. Ihr Frontkommandant, Oberst | |
| Ruhinda, sei jüngst bei Gefechten zwischen M23 und Kongos Armee in Kibumba | |
| verletzt worden, ein Ort direkt an der Grenze zu Ruanda. | |
| In Kisheshe selbst lebten bislang Kongolesen [4][unter FDLR-Herrschaft] | |
| sowie ruandische Hutu-Frauen und deren Kinder, alles Angehörige der FDLR. | |
| Die Hutu-Kämpfer nutzten ihre Angehörigen bereits in der Vergangenheit als | |
| menschliche Schutzschilde. Vor über einer Woche wurde der Ort von den | |
| M23-Rebellen eingenommen. Sie errichteten an der Brücken über den Fluss am | |
| Dorfeingang eine Verteidigungsposition gegen Kongos Armee, die jenseits des | |
| Flusses, wenige Kilometer entfernt, eine Stellung hält. | |
| Trotz Feuerpause drangen dann M23-Einheiten von Kisheshe aus tief ins | |
| FDLR-Gebiet ein. Die Hutu-Miliz hat schätzungsweise rund 500 Kämpfer in | |
| vier verschiedenen kongolesischen Gebieten. Bis vor wenigen Wochen | |
| kontrollierten sie noch den Grenzübergang Ishasha nach Uganda. Den hat die | |
| M23 mittlerweile erobert, und am Freitag erklärte sie, sie habe auch das | |
| Hauptquartier von [5][FDLR-Präsident Victor Byringiro] im | |
| Virunga-Nationalpark umzingelt, unweit von Kisheshe. Als nächstes würden | |
| sie die FDLR-Bastion Kibirizi stürmen, wo viele FDLR-Familien leben. | |
| ## Ein Massaker mit 50 Toten | |
| Nach Informationen der taz unternahmen M23-Truppen an der Brücke von | |
| Kisheshe in der Nacht zum 30. November eine Spezialoperation gegen die | |
| FDLR. Als sie am frühen Morgen zurückkehrten, seien sie von FDLR-Kämpfern | |
| und kongolesischen Hutu-Milizen in Kisheshe überrascht worden. Es kam zum | |
| heftigen Feuergefecht. | |
| Schon am gleichen Tag meldete Kongos Regierung im fernen Kinshasa ein | |
| Massaker mit 50 Toten. Sie erhöhte die Zahl zwei Tage später auf 120 und | |
| nun auf 272, verteilt auf mehrere Leichenfunde an mehreren Orten, unter | |
| Berufung auf lokale Bewohner und Milizen. | |
| Die M23 spricht [6][in einer Erklärung] von lediglich acht Zivilisten, die | |
| während der Schlacht durch „verirrte Kugeln“ umgekommen seien, darunter | |
| zwei Kinder und eine Frau. Bei den übrigen Toten handele es sich um Kämpfer | |
| verschiedener lokaler Milizen, die keine Uniformen tragen, so die M23. In | |
| Kisheshe seien „viele FDLR“ gestorben, sagen die Tutsi-Rebellen: „Wir hab… | |
| sie vernichtet, deshalb ist Kinshasa wütend“, so ein M23-Tweet. | |
| UN-Ermittler und westliche Geheimdienste verfügen über Beweise, dass | |
| eingebettet in die M23 auch Soldaten von Ruandas Armee in den Kongo | |
| vorgedrungen sind. Ruandas Armee wolle gezielt die FDLR-Führung im Kongo | |
| ausschalten. Solche verdeckten ruandischen Operationen sind nicht neu. 2019 | |
| wurde der oberste [7][FDLR-Militärführer Sylvestre Mudacumura] in seinem | |
| Hauptquartier unweit von Kisheshe gezielt mit einem Schuss in den Bauch | |
| liquidiert. | |
| Die FDLR bestätigt in einer Presseerklärung, dass ihre Einheiten und | |
| Familienangehörigen in Kisheshe angegriffen worden seien – aber nicht von | |
| der M23, sondern von Ruandas Armee. Ruandische Soldaten hätten | |
| kongolesische Zivilisten gezwungen, Kriegsbeute wegzutragen, und sie später | |
| enthauptet. Sie verlangen, mit Ruandas Regierung zu verhandeln. | |
| Ruanda lehnt jegliche Gespräche mit den Völkermord-Tätern in der | |
| FDLR-Führung kategorisch ab und bekämpft die Gruppe ausschließlich | |
| militärisch. Ruandas Präsident Paul Kagame betonte dies am Montag erneut in | |
| Gesprächen mit US-Außenminister Blinken im Vorfeld des US-Afrika-Gipfels in | |
| Washington. „Die Sicherheitsbedenken Ruandas müssen angegangen werden“, | |
| erklärte Ruandas Außenminister Vincent Biruta: „Wo andere sich vielleicht | |
| nicht dazu verpflichtet fühlen, tut Ruanda dies und wird dies auch | |
| weiterhin tun.“ | |
| Kongos Regierung instrumentalisiert das mutmaßliche Massaker nun politisch. | |
| Die M23 hat der Regierung vorgeworfen, Angriffe auf Tutsi im Kongo zu | |
| schüren, welcher die meisten M23-Kämpfer angehören. Zahlreiche Tutsi wurden | |
| in jüngster Zeit Opfer ethnischen Hasses. Die UN-Sonderbeauftragte für | |
| Völkermord, Alice Nderitu, hat im November Kongo besucht und danach [8][in | |
| einer Erklärung gewarnt], dass sich ein ähnlicher Völkermord gegen die | |
| Tutsi wie 1994 in Ruanda anbahnen könne. Die Warnung wurde just an jenem | |
| 30. November herausgegeben, als Kongos Regierung die Nachricht von Kisheshe | |
| veröffentlichte. | |
| Das Massaker von Kisheshe wurde zur Trendwende in den Friedensverhandlungen | |
| für Kongo, die vergangene Woche [9][auf Veranlassung der Ostafrikanischen | |
| Gemeinschaft (EAC)] in Kenias Hauptstadt Nairobi begannen. Kongos Regierung | |
| weigert sich, mit der M23 zu verhandeln – es seien „Terroristen“. Das | |
| Massaker in Kisheshe dient ihr nun als Beweis. | |
| Eine M23-Delegation war am Freitag nach Nairobi gereist und verlangte, | |
| Kongos Regierungsvertreter zu treffen. Daraufhin behauptete Kongos | |
| Regierungsdelegation, Übersetzungsgeräte seien von Ruanda manipuliert und | |
| würden jedes Wort direkt nach Kigali übertragen. Es kam auch zum Streit um | |
| Tagespauschalen für Konferenzmitglieder: Einige Milizvertreter sollen 300 | |
| Dollar pro Tag erhalten haben, andere gingen leer aus. Uhuru Kenyatta, | |
| Verhandlungsführer und Ex-Präsident von Kenia, war bei seiner Schlussrede | |
| am Montag verärgert: „Dieses Geld ist nicht für euch“, beschimpfte er die | |
| Milizionäre, „sondern um Frieden im Kongo zu schaffen.“ Daraufhin verließ… | |
| diese den Saal. | |
| 7 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://pole-institute.org/sites/default/files/pdf_publication/FDLR_2019.pdf | |
| [2] /Absurder-Krieg-im-Kongo/!5080846 | |
| [3] /FDLR-Angriffe-in-Ruanda/!5076888 | |
| [4] /210-219-Tag-FDLR-Kriegsverbrecherprozess/!5042603 | |
| [5] /Hutu-Miliz-FDLR-im-Kongo/!5309242 | |
| [6] https://twitter.com/bbisimwa/status/1599278443081871360 | |
| [7] /Ruandischer-Rebellenfuehrer-im-Kongo/!5624638 | |
| [8] https://www.globalr2p.org/resources/statement-by-alice-wairimu-nderitu-spec… | |
| [9] /Bewaehrungsprobe-fuer-die-EAC/!5894998 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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