| # taz.de -- Absurder Krieg im Kongo: „Mein Oberst, Sie sind verhaftet“ | |
| > Im Kongo kämpfen so viele Gruppen, dass die Lage unübersichtlich ist. Wer | |
| > gegen wen schießt, ist nicht immer klar, und manche Gegner informieren | |
| > sich gegenseitig. | |
| Bild: FARDC Elitesoldaten im Kongo. | |
| MASISI BERGE taz | Es schüttet aus allen Kübeln. Auf der Hauptstraße der | |
| ostkongolesischen Kleinstadt Kitchanga beobachten klitschnasse Einwohner | |
| die Soldaten, die einen Lastwagen aus den matschigen Pfützen zu hieven | |
| versuchen. „Los, macht schon!“, brüllt der Kommandeur. Er hat es eilig. | |
| Sein Lkw ist voll mit Munition für die Soldaten, die 50 Kilometer nördlich | |
| kämpfen. Gegen wen? Der Kommandeur winkt ab: „Wir haben schon lange den | |
| Überblick verloren.“ | |
| Die Regenwolken verziehen sich. Aus der Wolkendecke tauchen endlose grüne | |
| Hügel auf. Lehmhütten mit Strohdächern klammern sich an steile Hänge. Unten | |
| beackern Frauen mit Spitzhacken Maisfelder, oben grasen Kühe auf den Almen. | |
| Es ist Markttag in Kachuga, 40 Kilometer weiter. Leute karren auf | |
| Holzrollern schwere Säcke heran: Maismehl, Bohnen, Maniokwurzeln. Aus einem | |
| Lastwagen laden Männer Holzkohle ab. Dahinter ragt das Kanonenrohr eines | |
| UN-Panzerfahrzeugs hervor. Ein südafrikanischer Soldat in blauer | |
| schusssicherer Weste seufzt: „Die Situation weiter nördlich ist | |
| verwirrend.“ Dann klettert er ins Führerhaus, um das Fahrzeug an den | |
| Wegrand zu manövrieren. Ein Konvoi von Ärzte ohne Grenzen aus dem Norden | |
| will durch. „Wir evakuieren, dort wird geschossen“, sagt eine Ärztin. Wer | |
| gegen wen? Auch sie zuckt mit den Schultern. | |
| Also nachsehen. Es geht bergauf. Schlamm spritzt. Barfuß stapfen Frauen und | |
| Kinder mit schweren Bündeln auf dem Kopf durch knöcheltiefen Matsch, | |
| Schweißperlen auf der Stirn. „Wir sind schon seit Tagen auf der Flucht“, | |
| klagen sie. Hinter der nächsten Wegbiegung lungern drei junge Männer mit | |
| Kalaschnikow. „Wir sind von der FDLR, wir beschützen unsere Flüchtlinge“, | |
| erklären sie und zeigen nach oben. Die FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
| Befreiung Ruandas) ist die ruandische Hutu-Miliz im Kongo. | |
| Hoch oben reihen sich Flüchtlingszelte aus Bambus wie eine Perlenschnur an | |
| den Hang. Zerflatterte weiße Plastikplanen dienen als Dächer. Vier Jahre | |
| lang war dies ein Lager für vertriebene Kongolesen. Jetzt haben stattdessen | |
| FDLR-Kämpfer hier Frauen und Kinder einquartiert. FDLR-Sprecher Laforge | |
| Fils Bazaye hockt in einem Zelt, in Jogginganzug und Gummistiefeln. „Da | |
| drüben kämpft eine lokale Hutu-Gruppe gegen die Armee“, erklärt er. Und was | |
| bedeutet das für ihn? „Ach, wir haben mit denen da drüben keine Probleme“, | |
| lächelt er. „Wer auch immer gewinnt, wird uns nicht angreifen“. | |
| ## „Willkommen auf meiner Insel“ | |
| Alle paar Kilometer jenseits von Kalembe blockieren Steine oder ein dickes | |
| Seil die schmale Piste. Mal sind es FDLR-Kämpfer, dann die lokale Miliz | |
| APCLS (Patriotische Allianz für einen Freien und Souveränen Kongo), mal | |
| Soldaten der Armee, die jeweils 15 Dollar Wegzoll verlangen. | |
| Plötzlich marschieren einige Dutzend Soldaten in neuen Uniformen und im | |
| Gleichschritt die Straße entlang. Ein Geländewagen mit einem gewaltigen | |
| Maschinengewehr auf dem Dach und zwölf schwerbewaffneten Leibwächtern auf | |
| dem Pickup hält an. Oberst Kennedy Mamadu steigt aus: ein großer | |
| schlaksiger Offizier mit breitem Grinsen, iPad unterm Arm, iPhone am Ohr. | |
| „Willkommen auf meiner Insel“, lacht er und macht ein Zeichen, seinem Truck | |
| zu folgen. | |
| Oberst Mamadu rast die matschige Straße entlang. Die Landschaft wird flach, | |
| nur noch wenige Bäume bieten in der Savanne Schutz vor der Mittagssonne. | |
| Elefanten traben in der Ferne durch das hüfthohe Gras. | |
| Plötzlich: Vollbremsung. Mamadu reißt die Fahrertür auf, schält seine | |
| langen dünnen Beine hinter dem Lenkrad hervor, stürzt sich ins Gebüsch und | |
| schreit. Hinter der Hecke hocken zwei Frauen, ihre Kleinkinder saugen an | |
| der Brust. Neben ihnen zerlegen zwei Soldaten ihre Panzerfäuste. „Was | |
| machen die Frauen hier?“, schreit der Oberst seine Männer an. „Das ist eine | |
| Frontlinie! Meine Damen, gehen Sie nach Hause!“ | |
| ## „Wir informieren uns immer gegenseitig“ | |
| Seit drei Monaten harren die Truppen hier aus, ohne Urlaub, ohne | |
| Telefonnetz, ohne Sold. „Die Frauen laufen oft tagelang, um ihre Männer zu | |
| suchen und nach Geld anzubetteln, aber das ist gefährlich“, seufzt Mamadu. | |
| Immerhin hat seine Einheit Schützengräben aus der roten Erde ausgehoben. | |
| Alle hundert Meter überdecken Bananenblätter die neben Matratzen | |
| aufgebockten Maschinengewehre. Hinten ragen verfallene Backsteinmauern | |
| hervor. „Unsere Kommandozentrale“, lacht Mamadu. | |
| Offiziere auf Plastikstühlen trinken Bier. Ein Dutzend Handys liegen auf | |
| einem Plastiktisch. Oberst Mamadus iPhone klingelt. Er schaltet auf laut: | |
| „Bei uns ist alles ruhig, wie ist es auf eurer Seite?“, fragt eine Stimme. | |
| Mamadu antwortet: „Bei uns auch alles ruhig. Ruf mich an, wenn ihr was | |
| plant.“ Dann legt er auf und grinst: „Das war einer meiner ehemaligen | |
| Offiziere, der zur M23 übergelaufen ist. Wir informieren uns immer | |
| gegenseitig.“ | |
| Seit einem informellen Waffenstillstand Ende Juli liegen sich Ostkongos | |
| M23-Rebellen, geführt von Tutsi-Deserteuren, und die Regierungsarmee hier | |
| gegenüber. „Unsere Frontstellungen sind so nah, dass wir miteinander reden | |
| können – viele teilen sogar die Essensrationen“, erklärt Mamadu. Wieder | |
| klingelt ein Telefon. Ein Hauptmann nimmt ab, diskutiert. Hinterher | |
| berichtet er: „Das war mein großer Bruder auf der anderen Seite, sie | |
| verlegen eine Stellung nach Norden.“ Mamadu nickt und zückt sein Funkgerät: | |
| „Delta Alpha – verlegt die Stellung nach Norden, so wie die M23 auf eurer | |
| Position“, kommandiert er. Dann runzelt er die Stirn: „Ja, das ist ein | |
| verrückter Bruderkrieg.“ | |
| ## „Ihr Kongolesen seid wirklich lustig“ | |
| Wenige Kilometer weiter spielen hunderte kreischende Kinder in blau-weißen | |
| Uniformen im Schulhof des Dorfes Kisheshe. Sie machen große Augen, als | |
| plötzlich knapp 30 Schwerbewaffnete vorbeimarschieren. Im Gleichschritt | |
| begleitet die Eskorte ihren Kommandeur: Oberst Stany, Vizekommandeur des | |
| FDLR-Sektors Nord-Kivu. | |
| Der große kräftige Mann mit Nickelbrille und grünem Barett schlägt die | |
| Hacken seiner Gummistiefel zusammen und salutiert vor der taz auf Deutsch: | |
| „Guten Tag!“ FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und dessen Vize Straton | |
| Musoni leben schon lange in Deutschland. Jetzt stehen sie in Stuttgart vor | |
| Gericht. FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura studierte an der | |
| Militärführungsakademie in Hamburg. „Wir haben eine große Affinität zur | |
| deutschen Sprache“, schmunzelt Oberst Stany. | |
| Er betritt eine Hütte, legt seine lederne Aktentasche auf den Tisch und | |
| beginnt die Lage zu erklären. Früher habe die Armee seine Truppen bekämpft, | |
| aber „jetzt lassen sie uns in Ruhe, weil sie mit der M23 beschäftigt sind. | |
| Wir ruhen uns jetzt etwas aus.“ Plötzlich zückt seine Leibgarde draußen | |
| nervös die Waffen. Vorsichtig lugt Stany aus der Tür. Seine Leibwächter | |
| sind umzingelt von Regierungssoldaten. Sie mustern sich misstrauisch. Ein | |
| Armeehauptmann tritt auf Stany zu, schlägt die Hacken zusammen und | |
| salutiert: „Guten Tag, mein Oberst, Sie sind verhaftet!“ | |
| Stany reagiert mit Gelächter. „Ihr Kongolesen seid wirklich lustig“, sagt | |
| er und hebt seinen Zeigefinger. „Ruf mal deinen Vorgesetzten an. Wir haben | |
| hier eine neutrale Zone vereinbart“. Der Hauptmann zückt verunsichert sein | |
| Funkgerät, geht auf Abstand. Als die Antwort aus dem Gerät dröhnt, verzieht | |
| er das Gesicht und winkt seinen Truppen zum Rückzug. „Ach, die Lage ist | |
| wirklich kompliziert“, sagt Oberst Stany und marschiert samt Leibgarde | |
| davon. | |
| 27 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
| ## TAGS | |
| FDLR | |
| Kongo | |
| Krieg | |
| Rebellen | |
| Militär | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Kongo | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| Kongo | |
| Kongo | |
| Kongo | |
| M23 | |
| Ruanda | |
| Kongo | |
| Kongo | |
| Kongo | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Streit um Massaker im Osten von Kongo: Viele Leichen und keine Gewissheit | |
| Kongos Regierung wirft den M23-Rebellen ein brutales Massaker vor und | |
| meldet immer mehr Tote. Was ist in Kisheshe wirklich geschehen? | |
| Demobilisierungsskandal im Kongo: Waffen gestreckt – und verhungert | |
| Dutzende Ex-Rebellen im Kongo sind im staatlichen Demobilisierungslager | |
| gestorben. Das ist kein Anreiz für Milizionäre, sich zu ergeben. | |
| 11.-19. Tag FDLR-Unterstützerprozess: Post aus dem afrikanischen Weltkrieg | |
| Der Angeklagte U. hatte eine Mitgliederliste der Exilpartei RDR und stand | |
| selbst drauf. Und er bekam Post von seinem im Kongo kämpfenden Großneffen. | |
| FDLR im Kongo: Ruandische Hutu-Miliz vs. UNO | |
| Nach dem Sieg gegen die M23-Rebellen tritt die UN-Eingreifbrigade im | |
| Ostkongo erneut in Aktion – gegen die berüchtigte FDLR-Miliz. | |
| Neue Massaker im Kongo: Zivilisten wieder einmal ohne Schutz | |
| Schlachten zwischen Regierungstruppen und einer Miliz im Ostkongo haben | |
| vermutlich Hunderte Tote gefordert. UN-Soldaten blieben untätig. | |
| Schwere Kämpfe im Ostkongo: Rebellen rücken auf Goma vor | |
| Kongos Regierungsarmee weicht nahe der Provinzhauptstadt Goma vor den | |
| Rebellen der M23 zurück. Die UN-Blauhelmmission greift in die Kämpfe ein. | |
| Grenzkonflikt Ruanda-Kongo: Ein toter Soldat | |
| Soldaten von der Front überschreiten die Grenze nach Ruanda – zum | |
| Einkaufen, sagt die kongolesische Seite; hochgerüstet, sagt die ruandische. | |
| Einer wird erschossen. | |
| Debatte Konflikt im Kongo: Spiel mit dem Feuer | |
| Die Bemühungen zur Befriedung des Kongo konzentrieren sich darauf, Druck | |
| auf Ruanda auszuüben. Das ist kontraproduktiv – und gefährlich. | |
| Prozess in Ruanda gegen Hutu-Politikerin: Vergleichsweise milde acht Jahre Haft | |
| Die ruandische Hutu-Oppositionspolitikerin Ingabire muss ins Gefängnis. Die | |
| meisten Anklagepunkte weist das Gericht aber ab. Ihre Partei FDU reagiert | |
| trotzig. | |
| Kongos Rebellen im Tourismusgeschäft: Gorillatour zum Guerilla-Preis | |
| Die M23-Rebellen im Osten des Landes entdecken eine lukrative | |
| Einnahmequelle: den Tourismus zu den einzigartigen Berggorillas. | |
| 106. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Murwanashyaka ist der Chef | |
| Beim Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess belastet Human Rights Watch den | |
| FDLR-Milizpräsident Ignace Murwanashyaka schwer. | |
| Krieg im Ostkongo: Klauen, kiffen, kämpfen | |
| An jeder Ecke steht eine andere Miliz, jede will die andere verjagen: Auf | |
| der Fernstraße nach Uganda zeigt sich die Dynamik von Ostkongos Krieg. | |
| Bürgerwehr in Ostkongo: Totenschädel und Rebellion | |
| Die Menschen im Osten Kongos sind die brutalen Überfälle der Hutu-Rebellen | |
| leid: Sie verteidigen sich selbst. Eine neue Miliz entsteht. | |
| Debatte Kongo: Lieber Krisen-Kobler! | |
| Der nächste Chef der weltgrößten UN-Mission wird ein Deutscher. Das wird | |
| spannend. Denn die UNO fährt ihr Kongo-Mandat gerade gegen die Wand. |