# taz.de -- Krieg im Ostkongo: Klauen, kiffen, kämpfen | |
> An jeder Ecke steht eine andere Miliz, jede will die andere verjagen: Auf | |
> der Fernstraße nach Uganda zeigt sich die Dynamik von Ostkongos Krieg. | |
Bild: Flüchtlinge bei Ishasa an der kongolesisch-ugandischen Grenze. | |
ISHASHA taz | Mit einem schweren Bündel auf dem Rücken und einer | |
zusammengerollten Matratze auf dem Kopf schlurft Janine Rensaro über den | |
Grenzposten. Drei Monate hat die 20-jährige Kongolesin in einem Zelt aus | |
Bananenblättern in Uganda verbracht. Jetzt ist sie auf dem Weg in ihre | |
Heimat, die Grenzstadt Ishasha. | |
„Die Ugander sagen, wir müssen entweder in eines ihrer Flüchtlingslager 200 | |
Kilometer im Landesinnern oder nach Hause“, seufzt sie. Weil sie Haus und | |
Feld in Ishasha nicht im Stich lassen will, hat sie sich notgedrungen zur | |
Heimkehr entschieden: „Dabei können die Kämpfe jederzeit wieder losgehen.“ | |
Ishasha ist der neueste strategische Ort, den die ostkongolesischen | |
Rebellen der von Deserteuren aus der Armee gegründeten Miliz M23 (Bewegung | |
des 23. März) einnehmen wollen. Die Rebellen hatten im Juli einen | |
Landstrich entlang der Grenze zu Uganda und Ruanda erobert, sich in der | |
Stadt Rutshuru niedergelassen und mit dem Vormarsch auf die | |
Provinzhauptstadt Goma gedroht. Dann stoppten sie den Feldzug. | |
Seit zwei Wochen jedoch erobern sie wieder stetig neue Gebiete – zwar nicht | |
an der Frontlinie gegen die Regierung bei Goma, aber in anderen Regionen, | |
wo sie gegen irreguläre Milizen vorgehen. Anfang dieser Woche erklärten sie | |
die Kleinstadt Nyamilima für unter ihrer Kontrolle, auf halbem Weg auf der | |
Straße von Rutshuru nach Ishasha. | |
## Eine Staatsinstanz auf 130 Kilometern | |
Ishasha ist ein wichtiger Handelsknotenpunkt. Im Minutentakt rollen | |
Lastwagen aus Uganda am Schlagbaum vorbei, vollbeladen mit Zement und | |
anderen Importgütern, die vom kenianischen Hafen Mombasa in die | |
ostkongolesische Millionenstadt Goma transportiert werden. Der Zoll in | |
Ishasha ist die einzige Staatsinstanz bis kurz vor Goma, 130 Kilometer | |
südlich. Dazwischen aber herrschen Milizen. | |
„All diese Gruppen machen unser Geschäft sehr teuer“, klagt ein Fahrer. Der | |
ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) | |
müsse er 150 Dollar abdrücken, der lokalen Mayi-Mayi-Gruppe 50, der M23 | |
sogar 300. „Drei Mal im Monat fahre ich diese Strecke, ich verliere dabei | |
einen Haufen Geld“, seufzt er und klettert wieder auf seinen Fahrersitz. | |
Ishasha wirkt wie eine Geisterstadt. Die wenigen Einwohner, die noch | |
ausharren, lungern an der Grenzstation herum: „Wir können jede Sekunde nach | |
Uganda rennen, wenn die Kämpfe losgehen“, sagen sie. Einige hundert Meter | |
vom Schlagbaum entfernt hocken ein Dutzend Kämpfer im Schatten eines Baumes | |
und rauchen. Sie tragen zerlumpte Uniformen und alte Kalaschnikow, | |
Granatwerfer und Lanzen. | |
Es sind Kämpfer der neuesten Miliz dieser Gegend: die FPD (Patriotische | |
Kräfte für Demokratie). Sie kommen aus vielen verschiedenen Orten und | |
Ethnien Nord-Kivus und wollen gegen die Tutsi in der M23 kämpfen. „Wir | |
werden Ishasha gegen die M23 verteidigen“, grölt ein FPD-Kämpfer | |
sturzbetrunken. | |
## Zugedröhnt und aggressiv | |
Einige Kilometer weiter sitzen einige Hutu-Jugendliche am Wegrand, fast | |
noch Kinder. Über ihren zerrissenen T-Shirts tragen sie Maschinengewehre | |
und Granatwerfer, die fast so groß sind wie sie selbst. Sie kiffen, sind | |
zugedröhnt und aggressiv. | |
Nochmal vier Kilometer weiter patrouilliert die M23. Sie hat kurz vor | |
Ishasha kehrtgemacht und ist 20 Kilometer zurück in die Kleinstadt | |
Nyamilima marschiert. Am Dienstag hatte sie die lokalen Milizenchefs dort | |
zu einem Treffen auf dem Fußballplatz eingeladen. Doch es kam zu keiner | |
Einigung: „Wir sind gegen die M23“, bekräftigt ein Mayi-Mayi-Kommandeur am | |
Stadteingang. | |
Die Kämpfe forderten fünf Tote und elf Schwerverletzte, sagt Nyamilimas | |
Krankenhausdirektor John Muhindo. Bald will die M23 in Ishasha einrücken. | |
„Wir rechnen jeden Tag mit weiteren Schwerverletzten.“ | |
7 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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