# taz.de -- Prozess in Ruanda gegen Hutu-Politikerin: Vergleichsweise milde ach… | |
> Die ruandische Hutu-Oppositionspolitikerin Ingabire muss ins Gefängnis. | |
> Die meisten Anklagepunkte weist das Gericht aber ab. Ihre Partei FDU | |
> reagiert trotzig. | |
Bild: Hutu-Politikerin Victore Ingabire muss für die Leugnung des Genozids in … | |
BERLIN taz | Der Gerichtssaal des High Court von Kigali war voll. Per | |
Lautsprecher wurden Zuhörer draußen informiert, als am Dienstagnachmittag | |
das Urteil gegen Ruandas bekannteste Oppositionelle verkündet wurde: Acht | |
Jahre Haft gibt es für Victoire Ingabire, Führerin der nichtregistrierten | |
Oppositionspartei FDU (Vereinigte Demokratische Front). Die 44-Jährige | |
wurde von Richterin Alice Rulisa der Genozidleugnung sowie „Verschwörung | |
zur Schwächung der Staatsmacht durch Terror und Krieg“ für schuldig | |
befunden. | |
Das Urteil stieß bei Menschenrechtsorganisationen auf Kritik, war aber | |
vergleichsweise milde. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft | |
gefordert. Nur zwei der sechs Anklagepunkte wurden aufrechterhalten. | |
Ingabire wurde weder wegen „Genozidideologie“ noch wegen Zusammenarbeit mit | |
bewaffneten Gruppen für schuldig befunden – Vorwürfe, auf die viel längere | |
Haftstrafen stehen. | |
Ingabire lebte von 1994 bis 2010 im Exil in den Niederlanden. Sie führte | |
bis 2000 die niederländische Sektion der Hutu-Exilpartei RDR | |
(Republikanische Versammlung für Demokratie in Ruanda), die 1994 von | |
geflohenen Tätern des Völkermords an Ruandas Tutsi gegründet worden war. | |
## Kriegsverbrecherprozess in Deutschland | |
Ihr Pendant in Deutschland damals war der heute in Stuttgart wegen | |
Kriegsverbrechen angeklagte Ignace Murwanashyaka. Er wurde im Jahr 2000 | |
Präsident der seitdem im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR | |
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas); Ingabire wurde Präsidentin | |
der RDR und versuchte danach, eine zivile Opposition gegen Ruandas | |
Regierung aufzubauen. | |
Die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Exiloppositionellen blieb | |
immer fließend, und das wurde Ingabire zum Verhängnis, als sie Anfang 2010 | |
nach Ruanda zurückkehrte, um für die neue Partei FDU bei den | |
Präsidentschaftswahlen anzutreten. Die FDU wurde nicht zugelassen, Ingabire | |
durfte nicht kandidieren und kam wegen umstrittener Äußerungen zu Ruandas | |
Völkermord unter Hausarrest. Im August 2010 gewann Staatschef Paul Kagame | |
Ruandas Wahlen mit 93 Prozent und im Oktober 2010 wurde Ingabire unter | |
Terrorverdacht verhaftet. | |
Während des Prozesses sagten inhaftierte ehemalige FDLR-Kämpfer aus, | |
Ingabire habe sie aufgefordert, eine bewaffnete Gruppe aufzubauen, die für | |
eine Reihe von Anschlägen in Ruanda 2010 verantwortlich sei. Als Beweise | |
wurden Mailwechsel und Geldüberweisungsbelege angeführt. Zur Entlastung bot | |
die Verteidigung den ehemaligen FDLR-Sprecher Edmond Ngarambe an; dieser | |
erklärte, die Belastungszeugen seien unter Druck gesetzt worden. | |
All dies fand in öffentlicher Verhandlung statt. Der Vorwurf der | |
Zusammenarbeit Ingabires mit der FDLR wurde vom Gericht zurückgewiesen. | |
Aber vier mitangeklagte ehemalige FDLR-Kämpfer wurden wegen „Verschwörung | |
gegen die Staatsmacht“ und „Komplizität mit Terrorismus“ zu zweieinhalb … | |
viereinhalb Jahren verurteilt. | |
Kurios: Da Victoire Ingabire von ihren acht Jahren bereits zwei in | |
Untersuchungshaft abgesessen hat und der Schuldspruch ihr die Möglichkeit | |
der Entlassung nach einem Viertel der Strafe gibt, könnte sie jetzt sofort | |
freikommen, wenn sie den Schuldspruch anerkennt, berichten ruandische | |
Medien. | |
Aber in einer in Belgien veröffentlichten Erklärung bestärkte Ingabires | |
Partei FDU am Dienstagabend alle Verdächtigungen, wonach sie doch zum | |
bewaffneten Kampf tendiert. Die Verurteilung sei „ein Weckruf zum | |
Widerstand“, heißt es. Ruandas Regierung habe gezeigt, dass sie jede | |
friedliche Infragestellung ablehne. „Dieser Tag bedeutet eine | |
grundsätzliche Veränderung im Kampf zur Befreiung unseres Landes.“ | |
31 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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