# taz.de -- 107. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Mehrere Schüsse in die Vag… | |
> In dem Kriegsverbrecherprozess gegen die Führer der ruandischen | |
> FDLR-Miliz kommt erstmals das Schicksal der Vergewaltigungsopfer zur | |
> Sprache. | |
Bild: Brutaler Konflikt: Ein FDLR-Kämpfer im ostkongolesischen Kriegsgebiet 20… | |
STUTTGART taz | „Die kongolesischen Frauen sind die mutigsten der Welt“, | |
sagt Anneke van Woudenberg. Je länger die Kongo-Expertin der | |
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor dem Oberlandesgericht | |
Stuttgart im Prozess gegen die beiden Führer der ruandischen Hutu-Miliz | |
FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), Ignace Murwanashyaka und | |
Straton Musoni, aussagt, desto mehr rückt das Leid der Frauen in den | |
FDLR-Gebieten im Ostkongo in den Mittelpunkt. | |
Zum ersten Mal sind sexuelle Kriegsverbrechen jetzt zentraler Gegenstand | |
der Verhandlung geworden, nach fast anderthalb Jahren. Van Woudenberg hat | |
unzählige Zeugenaussagen darüber gesammelt. Sie schätzt die Zahl der | |
Vergewaltigungen in Kongos Kriegen auf mehrere Millionen – begangen von | |
allen Kriegsparteien, von der FDLR bis zu Kongos Armee. | |
Die 43-Jährige müsste abgestumpft sein, aber sie ist es nicht. Aber „es | |
gibt immer Zeugenaussagen, die einen verfolgen“, sagt sie am zweiten Tag | |
ihrer Befragung am 17. Oktober. Zum Bespiel Karasi/Ciriba, wo die FDLR die | |
Bevölkerung im Mai 2009 per Brief warnte, nicht mit Kongos Armee | |
zusammenzuarbeiten, und ihren Warnungen Taten folgen ließ – durch die | |
Vergewaltigung einer 14-Jährigen auf dem Weg zum Markt. | |
„Das 14-jährige Mädchen hat morgens eine Gruppe von FDLRlern getroffen und | |
wurde von fünf Kämpfern vergewaltigt. Sie erinnerte sich an einen Namen, | |
sie kannte ihn vom Dorf und vom Markt. Sie hatte wochenlang innere | |
Blutungen, sie musste laut ihrer Mutter medizinisch versorgt werden, sie | |
litt unter Fisteln, und eine Operation war notwendig. Aber die Mutter hatte | |
kein Geld dafür. Ich sagte ihr, dass es in Bukavu ein Krankenhaus gibt mit | |
kostenfreier Versorgung, ich weiß aber nicht, ob das Mädchen dorthin ging. | |
Der Vater wollte, dass sie das Haus verlässt, da sie Schande über die | |
Familie gebracht hat.“ | |
## Demütigungen der Bevölkerung | |
Es wird sehr still im Gerichtssaal, wenn van Woudenberg solche Geschichten | |
erzählt. „Es ist schwer zu vergessen“, erklärt die HRW-Expertin. Es ist | |
nicht nur die Vergewaltigung, die die kongolesischen Opfer trifft: „Sie | |
sind gebrochene Leute.“ Sie erzählt von Demütigungen der Bevölkerung durch | |
die FDLR, von Prügel und Vergewaltigungen vor versammelter | |
Dorfgemeinschaft. | |
„Ein Augenzeuge hatte sich auf einem Baum versteckt“, erinnert sie sich an | |
einen Fall im Dorf Busheke. „Die Vergewaltigung fand direkt unter diesem | |
Baum statt. Der Zeuge war ein junger Mann und sehr verliebt in dieses | |
Mädchen. Er konnte nicht glauben, wie sehr sich das Mädchen wehrte. Die | |
FDLR war deswegen besonders brutal, fünf bis sechs Kämpfer vergewaltigten | |
sie, sie wurde so sehr geschlagen, dass ihr die Zähne aus dem Mund fielen. | |
Sie wurde getötet, indem ihr mehrfach in die Vagina geschossen wurde. Der | |
junge Mann war so traumatisiert, er blieb zwei Tage auf dem Baum, bis | |
jemand kam, der das Mädchen beerdigte.“ | |
Die HRW-Expertin betont: „Wir vergessen oft, dass das wirkliche Geschichten | |
sind. Die Menschen hatten Freunde, Familie. Der Mann wird nie wieder | |
derselbe werden. Er war sehr emotional. Normalerweise versuchen Männer, | |
tapfer zu sein, aber dieser weinte und zitterte, er sah immer wieder, wie | |
ihre Zähne aus dem Gesicht fielen, er fragte: ’Warum? Warum?‘ Ich konnte | |
ihm keine Antwort geben.“ | |
„Das geht an keinem spurlos vorüber“, sagt van Woudenberg. „Meine Kolleg… | |
und ich waren emotional ausgedörrt. Die Verbrechen sind extrem, das bleibt | |
für ewig. Wir haben auch extreme Brutalität bei anderen bewaffneten Gruppen | |
dokumentiert, aber medizinisches Personal betonte, dass Vergewaltigungen | |
bei der FDLR brutaler sind.“ | |
## „Schweigen ist keine Option“ | |
Woher die Frauen den Mut nehmen, davon zu erzählen, fragt ein Richter. „Es | |
geschieht etwas Außergewöhnliches im Kongo“, erklärt van Woudenberg. „Es | |
wurden so viele vergewaltigt, dass Schweigen keine Option ist. In den | |
letzten sieben bis acht Jahren entstand eine Frauenbewegung, die Frauen | |
treffen sich, um zu sprechen, zu demonstrieren, zu schreien, etwas zu tun. | |
Die Frauen werden mutiger.“ | |
Die HRW-Frau lässt keinen Zweifel daran, dass die Verbrechen von | |
FDLR-Kommandeuren angeordnet wurden, die wiederum „regelmäßigen Kontakt via | |
Satellitentelefon“ mit dem in Stuttgart angeklagten FDLR-Präsidenten | |
Murwanashyaka gehabt hätten. FDLR-Kämpfer, die 2009 von HRW dazu im Kongo | |
befragt wurden, hätten stets auf ihren Präsidenten verwiesen, sich von ihm | |
eine Genehmigung zum Treffen geholt oder es mangels Genehmigung verweigert. | |
Ein Kommandeur habe ihr gesagt, „alle Kontakte zu Human Rights Watch und | |
alle Anweisungen gingen über Murwanashyaka“, berichtet van Woudenberg. „Wir | |
kontaktierten Sprecher der FDLR. Sie konnten uns keine Antwort geben. Wir | |
sollten uns an Murwanashyaka wenden.“ | |
22 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
B. Schmolze | |
D. Johnson | |
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