| # taz.de -- 110.-111. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Jetzt bleibt die Öffe… | |
| > Ab jetzt vernimmt der Senat per Video kongolesische Opfer der FDLR als | |
| > Zeugen. Zu ihrem Schutz ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, die Zeugen | |
| > bleiben anonym. | |
| Bild: Nichts für das Publikum in Stuttgart: Ostkongolesische Frauen zeigen Zei… | |
| Der Kriegsverbrecherprozess vor dem OLG Stuttgart gegen Ignace | |
| Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im | |
| Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
| Befreiung Ruandas), tritt in eine heikle Phase ein: Ab Montag 12. November | |
| sollen per Videolink drei kongolesische Opferzeugen vernommen werden. Sie | |
| können aus erster Hand über die der FDLR vorgeworfenen Angriffe auf | |
| kongolesische Zivilisten im Jahr 2009 aussagen. | |
| Es geht zunächst um die Vergewaltigung mehrerer Frauen am 15. Februar 2009 | |
| in direkter Folge eines FDLR-Angriffes auf das kongolesische Dorf Kipopo, | |
| bei dem laut Anklage mindestens 15 Zivilisten verbrannten; um einen | |
| Machetenangriff auf Bewohner eines nicht genannten Dorfes am 15. April | |
| 2009; und um eine Vergewaltigung in der Nähe des Dorfes Malemo im Juli | |
| 2009. Das sind drei von unzähligen schweren Kriegsverbrechen, die die FDLR | |
| laut Anklage beging, um sich für die gemeinsame kongolesisch-ruandische | |
| Armeeoperation "Umoja Wetu" gegen sie im Januar und Februar 2009 zu rächen. | |
| Die Miliz habe dabei, so die Anklage, an der Bevölkerung der bislang von | |
| ihnen beherrschten Gebiete die Strategie einer humanitären Katastrophe | |
| verfolgt und mit den zuvor angedrohten Vergeltungsmaßnahmen sowohl Trieb- | |
| und Rachegelüste ihrer Milizionäre befriedigen als auch die Gefügigkeit der | |
| lokalen Bevölkerung erzwingen wollen. Ob dies tatsächlich so war, wird nun | |
| erörtert werden, ebenso die Frage, ob die Angeklagten hierfür | |
| strafrechtlich verantwortlich sind. | |
| Die Vernehmung der Opferzeugen soll zunächst unter Ausschluss der | |
| Öffentlichkeit stattfinden, auch der Presse, wie der 5. Strafsenat verfügt | |
| hat. | |
| ## Gefährdung von Leib und Leben | |
| Der Streit darum sowie die Erörterung der Umstände der Videovernehmungen | |
| nahm an den Verhandlungstagen 5. und 7. November breiten Raum ein; | |
| ansonsten wurden weitere überwachte Telefongespräche der Angeklagten | |
| verlesen, teils im Zusammenhang mit dem Treffen zwischen Ignace | |
| Murwanashyaka und der Menschenrechtsaktivistin Anneke van Woudenberg von | |
| Human Rights Watch (HRW) im August 2009. Van Woudenberg war zuletzt in | |
| Stuttgart als Zeugin aufgetreten, und auch ihre Gesprächsnotizen, die sie | |
| dem Gericht zur Verfügung gestellt hat, wurden jetzt verlesen. | |
| Laut Senatsbeschluss wird der Ausschluss der Öffentlichkeit am 12. November | |
| mit der Gefährdung von Leib und Leben der Zeugen begründet. Verwiesen wird | |
| auf § 172 des Gerichtsverfassungsgesetzes: "Das Gericht kann für die | |
| Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn | |
| eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder | |
| einer anderen Person zu besorgen ist" sowie auf §171b, der den Ausschluss | |
| der Öffentlichkeit ermöglicht, "soweit Umstände aus dem persönlichen | |
| Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder durch eine | |
| rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen". | |
| Hintergrund dieser Bedenken ist in diesem Verfahren nicht nur der Umstand, | |
| dass Vergewaltigungsopfer über ihre Erlebnisse sprechen werden, sondern | |
| auch die Tatsache, dass die FDLR nach wie vor eine kämpfende Armee im Kongo | |
| ist und weiterhin in der Lage zu Racheakten und Einschüchterungen ist. Von | |
| daher ist jede auch nur denkbare Möglichkeit, dass die Identität der Zeugen | |
| in diesem Prozess irgendjemandem bekannt wird, ein Risiko. | |
| Der Senat will offenbar ganz sicher gehen: Nicht nur die Öffentlichkeit | |
| wurde umfassend ausgeschlossen, sondern die Zeugen werden an einem | |
| unbekannten Ort vernommen und sie müssen auch keine Angaben zur Person | |
| machen. Nach Auskunft des OLG gegenüber der taz sind die Personalien und | |
| Aufenthaltsorte der Zeugen nicht einmal dem Senat bekannt. | |
| ## Verteidigung beantragt Verwertungsverbot | |
| Im anonymisierten Anklagesatz sind zehn Opferzeugen mit Nummern versehen; | |
| am ersten Verhandlungstag jedoch, bei der öffentlichen Verlesung des | |
| Anklagesatzes am 4. Mai 2011, hatte die Verteidigung schon mehrere | |
| Klarnamen genannt. Wie immer sieht sie auch jetzt in jeder Anonymisierung | |
| eine Beschränkung ihrer Verteidigungsrechte. Murwanashyakas Verteidigerin | |
| Lang stellte am 7. November 2012 einen Antrag auf Verwertungsverbot der | |
| Zeugenaussagen, noch bevor sie überhaupt begonnen haben. | |
| Man sei nicht informiert, von wem die Zeugen betreut werden und wie, seit | |
| wann die Zeugen ermittelt wurden, welche möglichen Vorteile die Zeugen | |
| durch die betreuenden NGOs erhalten, wo die Vernehmung stattfindet, wer | |
| dabei präsent sein wird, wie die Technik aussehen wird, sagte sie zur | |
| Begründung. Der Senat habe keine Genehmigung der kongolesischen Regierung | |
| für diese Vernehmungen im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens, sondern | |
| betreibe eine völkerrechtswidrige eigenmächtige Beweiserhebung, so Lang | |
| weiter. | |
| Musonis Verteidigung kritisierte zudem den Ausschluss der Öffentlichkeit | |
| und forderte eine Abwägung zwischen dem Ausschluss der gesamten | |
| Öffentlichkeit und dem der freien Presse. Außerdem verlangte sie eine | |
| Nennung der Namen der NGOs, die die Zeugen im Kongo betreuen, deren | |
| Mitarbeiter und deren beruflichen Hintergrund sowie mögliche | |
| Vertraulichkeitsregelungen, die direkte Anwesenheit jeweils eines | |
| Vertreters der beiden Verteidigungen bei der Videovernehmung; dies sei | |
| "wichtig für die erforderliche Einschätzung der Zeugen". | |
| ## Technische und sprachliche Herausforderung | |
| Auch dies lehnte der Senat ab und verwies darauf, auch in der | |
| Videovernehmung sei eine konfrontative Befragung der Zeugen möglich. | |
| Angesichts der Art, wie an vergangenen Verhandlungstagen konfrontative | |
| Befragungen zuweilen verlaufen sind, können sich die Zeugen da auf einiges | |
| gefasst machen. | |
| Bei der Verhandlung in Stuttgart sind außerdem oft mutmaßliche | |
| Übersetzungsfehler moniert und zwischen den Angeklagten und dem ruandischen | |
| Dolmetscher umstritten geblieben; zusätzlich wird es nun auf Seiten der | |
| Zeugen einen Swahili-Dolmetscher geben, was die Möglichkeit von | |
| sprachlichen Missverständnissen beziehungsweise deren Unterstellung | |
| vergrößert. | |
| Bei Videovernehmungen aus Ruanda im Rahmen des vor dem OLG Frankfurt/Main | |
| laufenden Völkermordprozesses gegen einen ehemaligen ruandischen | |
| Bürgermeister gab es zudem zuweilen technische Probleme, mit denen auch in | |
| Stuttgart zu rechnen sein könnte. | |
| Offen bleibt auch, inwieweit die mögliche Traumatisierung der Opferzeugen | |
| bei der Vorbereitung und Durchführung der Befragung berücksichtigt wird. | |
| Nach Auskunft des OLG ist nicht bekannt, ob die aussagenden Zeugen eine | |
| psychologische Betreuung haben; sie hätten aber Rechtsanwälte als Beistand. | |
| 12 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| B. Schmolze | |
| D. Johnson | |
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