# taz.de -- Erkrankungsrate in Deutschland: Wie zur schweren Grippewelle | |
> Jede*r Zehnte ist krank, und für die Kleinsten gibt es kaum noch | |
> Klinikbetten. Die Lage in den Kliniken ist Symptom jahrzehntelanger | |
> Sparpolitik. | |
Bild: Ein am RS-Virus erkranktes Kind in der Kinderstation des Klinikums Stuttg… | |
BERLIN taz | Die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen ist nochmals deutlich | |
gestiegen. In ihrem jüngsten Wochenbericht schätzt die beim | |
Robert-Koch-Institut angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Influenza, dass | |
aktuell in Deutschland über 8 Millionen Menschen erkrankt sind – also jeder | |
Zehnte. Die Erkrankungsrate liege „deutlich über dem Bereich der Vorjahre | |
zu dieser Zeit und habe damit das Niveau erreicht, das zum Höhepunkt der | |
schweren Grippewelle in der Saison 2017/18 beobachtet wurde“, heißt es in | |
dem [1][Bericht]. | |
Damals gab es die letzte große Grippewelle in Deutschland mit mutmaßlich | |
rund 25.000 Toten. Nur unter den älteren Menschen über 59 Jahren, die sich | |
vor allem mit Corona infizierten, sei die Erkrankungsrate stabil geblieben. | |
Besonders stark zugenommen habe sie unter jungen Erwachsenen und | |
Schulkindern. Bei Letzteren grassieren vor allem Influenzaviren. Weiter am | |
höchsten ist die Infektionsrate bei Kleinkindern unter vier Jahren, bei | |
denen sich vor allem das RS-Virus breitmacht. In Mecklenburg-Vorpommern war | |
in der vergangenen Woche fast jedes fünfte Kleinkind wegen einer | |
Atemwegserkrankung in ärztlicher Behandlung. | |
Die aktuelle Krankheitswelle bringt [2][sowohl die niedergelassenen | |
Kinderärzt:innen als auch die Kliniken] an ihre Grenzen. Die Deutsche | |
Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hat | |
110 Kinderkliniken in ganz Deutschland nach ihren Kapazitäten befragt. Zum | |
Stichtag 24. November hatten 43 kein Bett mehr auf der Normalstation frei. | |
Auf den Kinderintensivstationen gab es nur noch 83 freie Betten – nicht | |
einmal ein Bett pro Klinik. | |
Auch in vergleichsweise gut ausgestatteten Kliniken wie der Berliner | |
Charité erfolgten aktuell Absagen von verschiebbaren Behandlungen, Kinder | |
müssten in andere Kliniken verlegt werden, so ein Sprecher. Man wolle in | |
den kommenden Tagen gemeinsam mit allen Berliner Kliniken ein Netzwerk | |
einrichten, das vergleichbar ist mit dem Save-Netzwerk in der Hochphase der | |
Coronapandemie. Damals steuerte die Charité berlinweit die Belegung der | |
Intensivbetten und versorgte zudem die schwersten Fälle. | |
## Bundestag will Entlastung von Kinderkliniken beschließen | |
Doch was tun, wenn, wie jetzt schon oft, in der ganzen Stadt und auch im | |
Umland kein einziges Bett mehr frei ist? Die Divi-Umfrage hat ergeben, dass | |
jede zweite Klinik bundesweit Patient*innen ablehnen musste. In Berlin | |
werden Kinder inzwischen bis nach Niedersachsen verlegt. Und auch dieser | |
Transport kommt an seine Grenzen. | |
„Da zunehmend viele Kinder zum Teil über weite Entfernung transportiert | |
werden müssen, benötigen wir jetzt die Etablierung spezialisierter | |
Kinderintensivtransport-Systeme, um die Kinder sicher und von | |
Kinderexperten begleitet in ihre Zielklinik zu bekommen“, fordert | |
Divi-Generalsekretär Florian Hoffmann. Außerdem müssten die | |
Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken sofort verbessert und | |
telemedizinische Netzwerke aufgebaut werden. | |
Die aktuelle Situation in den Kinderkliniken ist ein Symptom | |
jahrzehntelanger Sparpolitik. Am Freitag soll im Bundestag im Rahmen des | |
Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes auch eine Entlastung der | |
Kinderkliniken beschlossen werden. Deren Leistungen sollen aus dem | |
umstrittenen Fallpauschalensystem herausgelöst und stattdessen mit einem | |
Festbetrag vergütet werden. Der orientierte sich an den Erlösen im | |
Vorpandemiejahr 2019 und soll zusätzlich für die kommenden zwei Jahre um | |
jeweils 300 Millionen Euro aufgestockt werden. | |
Kurzfristig empfiehlt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den | |
Krankenhäusern und Krankenkassen, Personal in die Kinderstationen zu | |
verlagern und Personaluntergrenzen nicht mehr einzuhalten. Die Möglichkeit | |
zur telefonischen Krankschreibung werde fortgesetzt, Eltern sollten | |
Vorsorgeuntersuchungen verschieben, um Kinderarztpraxen zu entlasten. | |
2 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://influenza.rki.de/Wochenberichte/2022_2023/2022-47.pdf | |
[2] /Erkaeltungswelle-in-Deutschland/!5895546 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
Gereon Asmuth | |
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