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# taz.de -- Lasertag als Party: Unendlich viele Leben zu verspielen
> Es macht schon Spaß, mal ein paar Runden mit Laser-Phasern rumzuballern.
> Selbst seinen Pazifismus muss man nicht gleich über den Haufen werfen.
Bild: Getroffen vom grünen Licht, Laser-Phasern macht Spaß
Es ist kurz vor zehn. Samstagmorgen auf der Reeperbahn. Der Weihnachtsmarkt
auf dem Spielbudenplatz ruht hinter Absperrgittern. Ein Mitarbeiter fegt
den Müll der vergangenen Nacht zusammen. Es riecht nach Rindenmulch, Senf
und Glühwein. Unbeeindruckt wirft sich die Sonne in Bier- und Urinpfützen,
eine ausgeschlafene Kleinfamilie radelt in Ausflugslaune über den Gehweg.
Ich bin unterwegs zu einer Geburtstagsfeier – mit einem Dutzend
Halbwüchsiger im Lasertag St. Pauli. [1][Nach zwei Jahren Partypause], nach
zwei Jahren „wir holen das nach, versprochen“.
Beim Lasertag treten zwei Teams in einem dunklen, verwinkelten Raum, einer
sogenannten Arena, gegeneinander an. Mit ungefährlichen
Infrarotsignalgebern, „Phasern“, ausgestattet, punkten die Teams bei jedem
„tag“, bei jeder Markierung. Gezielt wird auf die mit Sensoren versehenen
LED-Westen des Gegenspielers, der dann für einige Sekunden deaktiviert ist.
Weitere Punkte gibt es dazu, wenn man die „Base“ des gegnerischen Teams
trifft. Teamplay und Geschicklichkeit seien gefordert, heißt es.
Und doch frage ich mich, ob sich das Spiel mit der kriegs- und
krisenreichen Gegenwart und mit meiner pazifistischen Grundhaltung
vereinbaren lässt. Als ich Teenager war, in den späten 80er Jahren, war ich
vor allem für den Frieden. Mein Zimmer hatte ich mit eindeutigen
Botschaften und selbst gemalten Tauben zu einem Ort meines zwar privaten,
aber elementaren Protests gemacht. Jetzt bin ich mit einem meiner
Teenagersöhne und seinen Gästen im Lasertag St. Pauli verabredet, das mit
dem „3.0 Zone Lasertag System“ und „3-fach gebündelten, stark sichtbaren
Laserstrahlen“ nicht weniger verspricht als eine „U 16 Lasertag Mega
Party.“
Im zweiten Stock des Klubhauses St. Pauli begrüßt uns eine
Darth-Vader-Armee in Tapetenformat und ein irgendwie unpassender und doch
angenehmer Raumduft nach synthetischer Blütenfrische. Ein Aromadiffuser
dampft am Empfangstresen vor sich hin. Den habe sie gegen die fremden
Schweißgerüche immer in Betrieb, lächelt die tiefenentspannte Dame am
Empfang. Mit einem Blick erfasst sie die Anzahl der Gäste, schaltet das
Erklärvideo ein und rückt eine Kiste Limonade ran.
## Erst Deckung, dann Angriff
Wir bilden Teams, heißen „Hellfire“, „Blade“ oder „Olympia“ und ha…
unendlich viele Leben. Erst Deckung, dann Angriff, lautet die Strategie
meiner Gruppe.
Mit den Westen fest am Körper und dem Phaser in Händen betreten wir von
zwei Seiten die dunkle Spielfläche. Bassrhythmen dröhnen unheilvoll, grüne
Laserstrahlen kreuzen sich im Nebel. Am Ende eines Gangs leuchtet eine
Weste. Ich ducke mich, bin dennoch „getagged“ und kurz deaktiviert. Ich
drehe mich um, ziele und markiere einen Gegner. „Well done“, raunt mir eine
tiefe Computerstimme zu.
Bald wähne ich mich in einem Computerspiel, mit Hindernissen und
Sackgassen, bald in einem immersiven Theaterstück mit Special Effects, die
sich sogar mit meinem Jugendzimmerpazifismus vertragen. Tatsächlich
überwiegen Teamfaktor und [2][Sci-Fi-Ästhetik], harte Bezüge zur Realität
werden hier nicht ansatzweise versucht.
Nach jeder Runde geht es raus in die Lobby, wo wir die Scores vergleichen
und Limo trinken. Wir besprechen neue Taktiken und spielen noch zwei
friedliche Runden, bis die nächste Gruppe auftaucht. Jungs, Mützen und ein
Vater mit sperriger Tortentransportbox. Alle rufen laut durcheinander. Die
freundliche Dame am Tresen lächelt. Gleich wird sie das Erklärvideo
einschalten und die Getränkekiste ranschieben. Gut gelaunt gehen wir nach
draußen. Die Sonne scheint und über die Reeperbahn streifen erste
Touristengruppen. Es ist kurz nach zwölf.
27 Nov 2022
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## AUTOREN
Katrin Ullmann
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