# taz.de -- Selbstversuch Paintball: Ballert weiter, Mutti wäscht! | |
> "Paintball" soll verboten werden. Ein Kriegsspiel, sagen die Kritiker. So | |
> ziehe man Amokschützen groß. Ist das so? Ein Selbstversuch. | |
Bild: Einfache Regeln: Das eine Team schießt auf das andere. Wer übrigbleibt,… | |
Da drüben hinter dem Baumstamm versteckt er sich. Mein Herz klopft, ich | |
kann kaum atmen hinter meiner Schutzmaske. Er sieht mich nicht. | |
Ich stürme hinter dem Holzstapel hervor und richte meine Waffe auf ihn. Ich | |
drücke ab - nichts. Noch mal - nichts. Fuck. Keine Kugeln mehr. Jetzt sieht | |
er mich. Er schießt, links und rechts fliegen die Geschosse an mir vorbei. | |
Ich renne los, stolpere durch den Matsch und rette mich in eine Holzhütte. | |
Die Kugeln prasseln gegen die Bretter. Tok. Tok. Tok. Warum tue ich mir das | |
an? | |
Ich öffne den Munitionspack an meinem Gürtel, will neue Kugeln rausholen. | |
Vor lauter Panik fällt mir die Hälfte in den Schlamm. Ich lade durch und | |
suche meinen Gegner. Wo ist er? | |
Plötzlich trifft mich eine Kugel am Arm, orange Farbe spritzt auf meinen | |
grünen Overall. "Scheiße, Hit", rufe ich und strecke meine Arme in die | |
Luft. "Ich bin getroffen." | |
Verdammt, das tut weh! | |
Als ich vom Feld schleiche, frage ich mich: Was macht eigentlich meine | |
Kollegin? | |
Hinter einem kleinen Wall aus Ästen kauere ich, seit das Spiel begonnen | |
hat, in einer Schlammpfütze. Mein Herz rast und der Brustpanzer sorgt | |
dafür, dass es nur noch schlimmer wird. Meine Finger verkrampfen sich um | |
den Abzug des Gewehrs. Ich soll die Gegner abschießen - aber ich sehe | |
keine. Schüsse fallen. Was soll ich machen? Am besten erst mal nicht | |
auffallen. So funktioniert doch Guerillakampf! Auf einmal sprintet mein | |
Kollege in eines der Holzhäuser und wird beschossen. Er schreit. Und ist | |
raus. | |
Ich bleibe in meinem Versteck und sehe drei Gegner auf mich zukommen. Ich | |
muss sie nur der Reihe nach abschießen. Zitternd hebe ich zum ersten Mal | |
meine Knarre und ziele. | |
Da winken mir meine Gegner zu. "Wir sind alle getroffen", ruft einer. Das | |
erste Gefecht ist vorbei, ohne dass ich auch nur einmal gefeuert hätte. "Du | |
weißt schon, dass du die anderen abschießen sollst, sagt einer | |
vorwurfsvoll. | |
Paintball für 129,90 | |
Der Kriegsspielplatz liegt in einer ehemaligen Kaserne der Nationalen | |
Volksarmee im thüringischen Tautenhain, in der Nähe des Kurorts Bad | |
Klosterlausnitz nordwestlich von Gera. "Paintball Jungle" steht in | |
krakeliger Handschrift auf einem Zettel am Kasernentor. | |
Zu DDR-Zeiten war hier die NVA-Raketenbrigade "Otto Schwab" stationiert, um | |
im Ernstfall die Feinde aus dem Westen zu bekämpfen - heute beschießen sich | |
hier erwachsene Männer aus Ost und West mit Farbe. Für 129,90 Euro gibt es | |
ein ganzes "Paintball-Wochenende" mit Übernachtung im nahe gelegenen | |
Waldhotel "Ziegenböcke" - fünf halbe Liter Bier pro Abend inklusive. Gut 60 | |
Männer sind heute hierhergekommen - und zwei Frauen. | |
Als wir in der Kaserne eintreffen, sehen wir sofort eine Gruppe von Männern | |
in Tarnkleidung und Bundeswehrklamotten. Einer trägt einen Pullover mit dem | |
Schriftzug "Isaf" - so heißt die Nato-Truppe in Afghanistan. Auf dem | |
T-Shirt eines anderen steht: "Hell is here". | |
Alles nur Leistungssportler? Wir überlegen, ob wir überhaupt aus dem Auto | |
aussteigen sollen. | |
Der Weg führt über grasbewachsene Betonplatten zu einem rostigen Hangar. An | |
einer Bar, über der ein Tarnnetz hängt, steht der Betreiber des | |
Paintball-Jungle, ein sympathischer Mittvierziger mit Ziegenbärtchen, | |
langen Haaren und Schiebermütze. Er nennt sich Griffin. | |
Auf Holzbänken hat sich eine Gruppe Männer breitgemacht. Gefechtspause. Es | |
sind Firmenkollegen, und offenbar haben sie später noch etwas vor. "Wir | |
gehen noch in den Titty-Twister", ruft einer. Erst ballern und dann in die | |
Table-Dance-Bar - ein hübscher Sonntagsausflug. | |
Griffin erklärt uns die verschiedenen Ausrüstungspakete. "Sniper" oder | |
"Standard"? Wir wählen die Variante "für alle, die mehr wollen". | |
Gesichtsschutz. Olivegrüner Overall. 500 Farbkugeln. Zwei Munitionstanks. | |
Und ein schwarzes Gewehr, den "Tippmann Custom 98." Die Betreiber selbst | |
sprechen nicht von Waffen, sondern von "Markierern". Frauen erhalten noch | |
einen Brustpanzer kostenlos dazu. "Ein blauer Fleck auf der Brustwarze kann | |
unangenehm sein", warnt Griffin. | |
Seine Lebensgefährtin erklärt uns die Regeln. Aber viel zu erklären gibt es | |
da nicht. Das eine Team schießt auf das andere. Wer übrig bleibt, gewinnt. | |
"Man kann auch Elimination spielen", sagt Griffin. Was das ist, wollen wir | |
wissen. "Da zählen nur Kopfschüsse." Von draußen hören wir Schreie und ein | |
lautes Rattern. | |
Wir wollen uns der Gruppe anschließen, die am harmlosesten wirkt, und | |
finden fünf Studenten aus Bayern. Einer trägt ein Zwischending aus | |
Palischal und Küchentuch um den Hals. Die Jungs sehen nicht nur harmlos | |
aus, sie sind es. Einer wird nach dem Gefecht orange Farbe auf seinem | |
weißen T-Shirt haben und sagen: "Mutti wäscht." | |
Wir ziehen die olivgrünen Overalls an, binden uns die Munitionspacks um die | |
Hüften und gehen mit den Bayern zum ersten Spielfeld, dem "Village". | |
Apocalypse Now: Hütten, eine Feuerstelle, ein Dorfbrunnen, Hühner, die mit | |
dem Kopf nach unten hängen - hier sind sie aus Gummi. | |
Wir liefern uns mehrere Gefechte mit den Bayern zum Warmwerden. Und um | |
Hemmungen abzubauen. Bis eine Gruppe von Leipzigern in schwarzen | |
Kapuzenpullis und Sporthosen auf uns zukommt. Einer wird "Funker" genannt, | |
der andere "Sniper" - Scharfschütze. Sie fordern uns heraus. | |
Als ich die Maske aufsetze, verspüre ich endlich den Adrenalinkick, von dem | |
die Jungs die ganze Zeit reden. Jetzt will ich auch jemanden abschießen, | |
nicht nur selber die Schmerzen der aufprallenden Kugel spüren. | |
Ich verschanze mich mit drei anderen am Fuß des abschüssigen Geländes. | |
"Zwei frontal, einer links. Wir lassen sie kommen", ruft einer. | |
Plötzlich ein Kugelhagel auf den Bayern vor mir. Er dreht sich um: | |
"Übernimm du!" Ich ballere los. Jemand schreit. Hab ich getroffen? Dann | |
fliegen mir die Kugeln um die Ohren. Der Bayer ruft nur: "Deckung". Ich | |
ducke mich hinter ein paar Grashalme. Ich atme durch, presse meinen Körper | |
auf den matschigen, mit Farbe verschmierten Boden. Neben mir plätschert ein | |
kleiner Bach. Die Sonne scheint durch die Bäume auf meinen Brustpanzer. Mir | |
wird heiß, ich schwitze. "Why?", frage ich mich. Dann trifft mich eine | |
Kugel am Hals. | |
Der Student neben mir gibt mir ein Handzeichen. Soll ich ihm Deckung geben? | |
Plötzlich stürmt er nach vorne. Ich schieße wild in den Wald hinein. Hinter | |
einer Baumwurzel fliegen Kugeln zu uns herüber. Wer schießt da? | |
Ich versuche mich hinter einer Birke zu verstecken, bis ich merke: Sie ist | |
viel zu dünn für mich. Ich werfe mich auf den Boden, über mir zischen die | |
Kugeln hinweg. Was jetzt? | |
Ich halte meine Waffe über mich in die Luft und schieße. Fünfmal, zehnmal, | |
zwanzigmal. Mein Atem stockt. Habe ich ihn getroffen? Kann ich aufstehen? | |
Ich richte langsam meinen Oberkörper auf - und die Kugeln jagen schon | |
wieder knapp an mir vorbei. Er ist keine zwanzig Meter von mir entfernt. | |
Ich ziele auf ihn, drücke ab. | |
Tok. Tok. Zwei Kugeln treffen mich, eine auf die Brust, eine an der Hand. | |
Verdammt, tut das weh! An einem Finger sehe ich etwas Blut zwischen der | |
orangenen Farbe. | |
Ich schaue nach meinem Gegner und sehe: Er hat auch eine Farbkugel | |
abbekommen - direkt im Gesicht, das Visier ist verschmiert. | |
"Und jetzt?", frage ich ihn. "Double-Kill", antwortet er. Wir sind beide | |
tot. Unentschieden. | |
12 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
Wolf Schmidt | |
## TAGS | |
Stadtland | |
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