| # taz.de -- Diskussion zu Holocaust und Nakba: Zoff um Goethe-Event in Israel | |
| > Das Goethe-Institut in Tel Aviv hatte für den 9.11. zu einer | |
| > Podiumsdiskussion geladen. Nach empörten Protesten wird die Veranstaltung | |
| > vertagt. | |
| Bild: „So oder so ist es eine Unverschämtheit“, sagt Israels Botschafter R… | |
| Berlin/Tel Aviv taz | Konstruktiv werde das Buch zur Debatte beitragen. | |
| Zumindest war dies die Hoffnung des Rezensenten in der Frankfurter | |
| Rundschau. In einer begeisterten Besprechung des Buches „Den Schmerz der | |
| Anderen begreifen“ [1][schrieb Micha Brumlik] im Sommer: Dem Buch der | |
| [2][Autorin Charlotte Wiedemann] könne es gelingen, die festgefahrenen | |
| Fronten in der Diskussion über das Verhältnis von kolonialen Gräueltaten | |
| und nationalsozialistischem Judenmord und die Singularität der Shoah wieder | |
| aufzulockern. | |
| Das ist bislang offenbar nicht gelungen. „Inakzeptabel und respektlos!“ – | |
| mit diesen Worten hat Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, nun eine | |
| Podiumsdiskussion zu dem Buch skandalisiert, die das Goethe-Institut mit | |
| der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv ursprünglich für diesen Mittwoch, | |
| den 9. November, geplant hatte – den Jahrestag der Reichspogromnacht. | |
| Nach einem breiten Aufschrei haben die Veranstalter die Diskussion nun auf | |
| Sonntag verlegt. Auch der Untertitel der Veranstaltung, der wohl der | |
| eigentliche Stein des Anstoßes gewesen sein dürfte – „Holocaust, Nakba und | |
| deutsche Erinnerungskultur“ –, verschwand am Dienstag von der [3][Webseite | |
| des Goethe-Instituts]. | |
| „Am Gedenktag an die Novemberpogrome 1938 haben das Goethe-Institut und die | |
| Rosa-Luxemburg-Stiftung beschlossen, die Erinnerung an den Holocaust zu | |
| verharmlosen. Und das ausgerechnet in Israel“, [4][kritisierte Botschafter | |
| Prosor] auf Twitter. | |
| Das Außenministerium in Jerusalem äußerte am Dienstag „Erschütterung und | |
| Abscheu angesichts der dreisten Trivialisierung des Holocaust“ und | |
| unterstellte eine „zynische und manipulative Absicht, eine Verbindung | |
| (zwischen Holocaust und Nakba, d. Red.) herzustellen, deren ganzes Ziel die | |
| Diffamierung Israels ist“. Auf die Verschiebung folgte eine weitere | |
| Mitteilung: Die Veranstaltung sei allgemein eine „Schande“ und dürfe „an | |
| keinem Datum“ stattfinden. | |
| ## Amos Goldberg: Niemand will vergleichen | |
| Mit dem Wort Nakba (Katastrophe) bezeichnen Palästinenser*innen und | |
| andere Araber*innen die mit der Staatsgründung Israels 1948 verbundene | |
| Flucht und Vertreibung von großen Teilen der arabischen Bevölkerung aus dem | |
| damaligen Mandatsgebiet Palästina. Dabei kam es teilweise auch zu Massakern | |
| an Zivilist*innen. | |
| Für hunderttausende Menschen bedeutete die Gründung eines mehrheitlich | |
| jüdischen Staates, auf die mehrere arabische Staaten mit einem | |
| Angriffskrieg reagierten, den dauerhaften Verlust ihrer Heimat. Nach | |
| aktuellem Stand der Forschung verließen zwischen 1947 und 1949 zwischen | |
| 700.000 bis 750.000 Menschen das heutige israelische Staatsgebiet. | |
| Bei der Veranstaltung solle es nicht um einen Vergleich mit dem Holocaust | |
| gehen, kommentierte einer der Diskutant*innen am Mittwoch [5][gegenüber | |
| Haaretz]. Vielmehr sei die Frage, „wie es möglich ist, katastrophale | |
| Erinnerungen an Ereignisse zu verarbeiten, die sich in einer Situation des | |
| Konflikts, der Besatzung und der Apartheid stark voneinander unterscheiden, | |
| und wie die Arbeit der gemeinsamen Erinnerung uns vielleicht auch einer | |
| politischen Lösung näher bringen könnte“, so Amos Goldberg von der Fakult�… | |
| für jüdische Geschichte und zeitgenössisches Judentum an der Hebräischen | |
| Universität in Jerusalem. | |
| ## Botschafter: „So oder so ist es eine Unverschämtheit“ | |
| Im zunehmend rechtslastigen und teils offen antipalästinensischen Diskurs | |
| in Israel wird der Begriff Nakba mitunter als „antiisraelisch“, teils auch | |
| als antisemitisch gebrandmarkt, was die Erinnerung an die Flucht und | |
| Vertreibung von Araber*innen aus Palästina delegitimiert. Auch in | |
| Deutschland sind derartige Stimmen seit Jahren zu vernehmen. | |
| Wiedemanns Buch war bereits im August Gegenstand einer Debatte. Volker | |
| Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, warf der Autorin | |
| vor, „die Shoah im Namen einer angeblich antirassistischen, also guten | |
| Geschichtsrevision zu relativieren“. Er [6][räumte jedoch ein], das Buch | |
| nicht gelesen zu haben, sondern sich auf lediglich einen auf Twitter | |
| veröffentlichten Satz zu beziehen. | |
| Botschafter Prosor teilte auf Nachfrage der taz, was seine inhaltliche | |
| Kritik am Buch sei, am Mittwoch lediglich mit: „So tragisch ein | |
| historisches Ereignis aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden mag, | |
| es kann nicht mit dem Holocaust verglichen werden. Ganz unabhängig davon | |
| drückt das gewählte Datum entweder die Ignoranz zweier deutscher | |
| Institutionen oder ihre zynische Berechnung aus. So oder so ist es eine | |
| Unverschämtheit.“ | |
| Wiedemann, die auch für die taz schreibt, spürt in ihrem Buch in Form von | |
| Reportagen und Essays der Frage nach, wie eine deutsche Erinnerungskultur | |
| den Holocaust im Zentrum behalten kann, sich aber gleichzeitig entwickeln | |
| und für die Erinnerung an andere Menschheitsverbrechen öffnen kann, etwa an | |
| die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika vor 1914. | |
| So geht es in dem Buch etwa auch um Perspektiven Schwarzer Soldaten im | |
| Zweiten Weltkrieg oder um osteuropäische Erinnerungskulturen und das ihnen | |
| inhärente Spannungsverhältnis zwischen Erinnern an den Stalinismus und an | |
| den Holocaust. | |
| Nur in wenigen Kapiteln thematisiert die Autorin unmittelbar den | |
| Nahostkonflikt. Sie stellt fest, dass im Geschichtsbild sowohl in Israel | |
| als auch unter Palästinenser*innen der Schmerz der jeweils anderen | |
| Seite geleugnet wird. Es folgen Überlegungen über Palästinenser*innen | |
| in Deutschland und die Feststellung, dass die Existenz von 200.000 | |
| Palästinastämmigen in Deutschland auch die Nakba zu einem Teil einer | |
| gemeinsamen deutschen Geschichte macht. | |
| ## Demo-Aufruf in Tel Aviv | |
| Die rechtsnationalistische israelische NGO [7][Im Tirtzu rief] für | |
| Mittwochabend zu einer Demonstration in Tel Aviv auf. „Steht mit uns auf | |
| gegen die diffamierende antiisraelische Veranstaltung im Herzen Tel Avivs“, | |
| hieß es auf Facebook. Im Tirtzu hat sich seit ihrer Gründung 2006 laut | |
| Selbstbeschreibung die „Erneuerung der zionistischen Ideologie“ auf die | |
| Fahnen geschrieben. Kritiker*innen werfen der NGO vor, faschistoide | |
| Züge zu haben und eine „Gedankenpolizei“ schaffen zu wollen. | |
| Im Tirtzu fährt aggressive Kampagnen gegen linke NGOs und Akademiker*innen. | |
| Eine ihrer Kampagnen richtet sich auch gegen das Narrativ der Nakba. Eine | |
| Broschüre trägt etwa den Titel Nakba Harta (Nakba-Blödsinn). Die Nakba wird | |
| darin als „Lüge“ und „politischer Mythos“ bezeichnet, „die uns wie e… | |
| Tsunami zu ertränken droht“. | |
| 9 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/charlotte-wiedemann-den-schmerz-der-a… | |
| [2] /Charlotte-Wiedemann/!a1607/ | |
| [3] https://www.goethe.de/ins/il/de/ver.cfm?event_id=24278029 | |
| [4] https://twitter.com/Ron_Prosor/status/1589624035541143554?s=20 | |
| [5] https://www.haaretz.com/israel-news/2022-11-08/ty-article/.premium/german-b… | |
| [6] https://twitter.com/Volker_Beck/status/1563207545858052097?s=20&t=n_fQN… | |
| [7] https://twitter.com/ImTirtzu/status/1589918014857969666?s=20 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
| Judith Poppe | |
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