# taz.de -- Soziologe über Letzte Generation: „Protest muss nachvollziehbar … | |
> Um ihre Ziele zu erreichen, muss die Letzte Generation ihre Aktionsformen | |
> ändern, sagt der Protestforscher Simon Teune. Er schlägt ein Monitoring | |
> vor. | |
Bild: Straßensperre als Protest: Aktion der Letzten Generation im Mai in Bayern | |
taz: Herr Teune, ist der Protest der Letzten Generation effektiv? | |
Simon Teune: Wenn Kosten und Ertrag in Bezug gesetzt werden, dann kann man | |
für die Letzte Generation sagen, dass sie sehr effektiv sind. Sie erzeugen | |
mit sehr wenig Personalaufwand große gesellschaftliche Reaktionen. Für die | |
Erreichung spezifischer Ziele fällt die Bilanz anders aus. Die Letzte | |
Generation baut einen eher abstrakten Handlungsdruck auf. | |
Können Sie das erklären? | |
Konkret bedeutet es, dass die Autobahnblockade nicht dazu führt, dass die | |
FDP ihre Haltung zu Tempo 100 überdenkt. Es ist bei den allermeisten | |
Protesten so, dass die Übersetzung in politische Entscheidungen indirekt | |
stattfindet. Die Letzte Generation geht davon aus, dass es eine direkte | |
Wirkung gibt. Da wäre ich skeptisch. | |
Man hat den Eindruck, dass nur die direkten Auswirkungen der Proteste | |
besprochen werden. Besteht dabei nicht die Gefahr, dass der Fokus auf den | |
Klimaschutz verloren geht? | |
Ja, die gesellschaftliche Debatte zu den Protesten ist ziemlich schräg. | |
Wenn die Frage gestellt wird: „Wie weit darf Protest gehen?“, wird der | |
zweite Teil: „Um was zu erreichen?“, gar nicht mehr gestellt. Angesichts | |
der Tatsache, dass der Eskalationsgrad der Proteste überschaubar ist, ist | |
das ein problematischer Umgang. Wir reden über Autofahrer:innen und | |
besudelte Gemälde und nicht über die Frage, wie eine sinnvolle Klimapolitik | |
aussehen könnte. Das ist nicht das Problem der Letzten Generation, sondern | |
eher Ausdruck des gesellschaftlichen Umgangs mit der Klimakrise insgesamt. | |
Das heißt, dass die Letzte Generation wie ein Abbild der gesellschaftlichen | |
Haltung zu verstehen ist? | |
Genau so würde ich das sehen. Man kann an der Diskussion über die Letzte | |
Generation ablesen, wo wir im Kontext der Klimakrise stehen, was für uns | |
die Prioritäten sind und was es für politische Angebote gibt. Das ist | |
ziemlich ernüchternd. | |
Wie bewerten Sie den [1][Vorstoß der Union], die Proteste mit Haftstrafen | |
belegen zu wollen? | |
Bei solchen Vorstößen geht es darum, sich als jemand zu inszenieren, der | |
sich kümmert. Real hat das erst mal keine Konsequenzen. Es gibt bereits in | |
einigen Bundesländern durch die dortigen Polizeiaufgabengesetze eine | |
Zuspitzung der Repression, die besonders Klimaaktivist*innen zu | |
spüren bekommen. Die dreizehn Wissenschaftler:innen, die sich in München | |
bei BMW angeklebt haben, könnten bis zu 30 Tage ohne Richterspruch im | |
Gefängnis landen. | |
Wo ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Grenze der Zumutung von | |
Protest? | |
Es gibt Forschung dazu, ab welchem Punkt die Menschen Protest nicht mehr | |
als legitim ansehen. Und das ist ziemlich eindeutig Gewalt gegen Menschen. | |
Ziviler Ungehorsam führt nicht dazu, dass sich die Menschen von einer | |
Bewegung abwenden. | |
Distanziert sich die Letzte Generation von Gewalt? | |
Gewaltlosigkeit ist ein Grundsatz der Letzten Generation. Und auch da gibt | |
es Lernprozesse. Zum Beispiel in Form von Rettungsgassen. Das ist etwas, | |
das, soweit ich weiß, am Anfang noch nicht mitgedacht wurde.* | |
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Protests der Gruppe? | |
Das Potenzial von zivilem Ungehorsam wurde zunächst nicht ausgeschöpft, | |
weil es ungerichtet war. Am Anfang wurde die Autobahn blockiert, um auf | |
Lebensmittelverschwendung hinzuweisen. Das war für viele Leute nicht | |
nachvollziehbar. Diese Nachvollziehbarkeit ist allerdings eine | |
Voraussetzung für effektiven zivilen Ungehorsam. Mittlerweile verbinden die | |
Aktivist*innen eine Autobahnblockade mit Forderungen an die | |
Verkehrspolitik. | |
Wenn man gefährliche Infrastruktur blockiert, eine Militärbasis oder einen | |
Atommülltransport, dann ist das unmittelbar nachvollziehbar. Die | |
Autobahnblockaden verstehen immer noch nicht alle. Nach meiner Wahrnehmung | |
besteht die aktuelle Strategie darin, verschiedene Protestformen | |
auszuprobieren und zu gucken, was funktioniert. Das Ankleben an die Rahmen | |
von Kunstwerken hat keine große Welle gemacht, der Kartoffelbrei auf dem | |
Monet aber sehr wohl. | |
Hängt sich die Gesellschaft zu sehr daran auf, wie schlimm die | |
[2][„Kartoffelbrei-Attentate“] auf Kunstwerke in Museen sind? Oder | |
beobachten Sie, dass die Letzte Generation auch eine gemeinsame Entwicklung | |
fördert? | |
Ich hoffe doch sehr, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist. Man kann | |
an der Berichterstattung über die Klimakrise sehen, dass die erste Phase | |
der Klimabewegung, wo es darum ging, Bewusstsein für die akute Bedrohung | |
und die Notwendigkeit von einer wirkungsvollen Klimapolitik zu schaffen, | |
durchaus Niederschlag gefunden hat. | |
Ich fände ein Monitoring gut: Was sind geplante und mögliche Maßnahmen? Was | |
spricht dafür, was spricht dagegen? Was ist der Effekt auf Emissionen durch | |
spezifische Maßnahmen? Diese Fragen sollten nicht für einzelne | |
Politikfelder, sondern übergreifend diskutiert werden. | |
*Nachtrag: Rettungsgassen seien von Anfang an [3][im Blockadekonzept der | |
Letzten Generation berücksichtigt worden]. Herr Teune betont, dass er | |
Straßenblockaden nicht als Gewalt verstehe. | |
14 Nov 2022 | |
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[1] /Union-vs-Letzte-Generation/!5890404 | |
[2] /Letzte-Generation-bewirft-Monet-Bild/!5886956 | |
[3] https://www.flickr.com/photos/stefan-mueller-climate/albums/721777202970474… | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
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