# taz.de -- Präventivgewahrsam für Klimaaktivisten: Sprangers Träume | |
> Berliner Innensenatorin Iris Spranger will längeren Gewahrsam für | |
> Klimaaktivist:innen. Die Koalitionspartnern lehnen das entschieden ab. | |
Bild: Hat den Wahlkampf schon begonnen: Iris Spranger | |
BERLIN taz | Die Berliner SPD hat ihren Law-and-Order-Wahlkampf begonnen. | |
[1][Innensenatorin Iris Spranger (SPD)] möchte Klimademonstrant:innen | |
zur Verhinderung möglicher zukünftiger rechtswidriger Protestaktionen | |
länger als die bislang maximal möglichen 48 Stunden in Gewahrsam nehmen. | |
„Ich hoffe, dass wir mit der Justiz und dem Abgeordnetenhaus darüber reden | |
können, dass wir eventuell den Gewahrsam verlängern“, sagte sie am Dienstag | |
dem Inforadio. | |
In Berlins Polizeigesetz, dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz | |
(Asog), ist zum präventiven Gewahrsam geregelt, dass Personen „spätestens | |
bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen“ auf freien Fuß zu setzen sind – | |
eine unmittelbare richterliche Prüfung geht damit einher. Eine dem | |
Gewahrsam folgende Inhaftierung für die begangenen Straftaten erfolgt | |
nicht, „da die Identität der Beschuldigten ohne Weiteres feststellbar ist | |
und keine Haftgründe vorliegen“, wie es in der Antwort der Justizverwaltung | |
auf eine Kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Björn Matthias Jotzo heißt. | |
Spranger aber schwebt nun vor, „das entsprechende Gesetz zu ändern“, also | |
den sogenannten Präventiv- oder Unterbindungsgewahrsam zu verlängern, der | |
darauf zielt, angenommene zukünftige Straftaten zu verhindern. Gleichwohl | |
versucht sich die Innensenatorin als gemäßigt darzustellen, wenn sie über | |
die Möglichkeiten des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes sagt: „Aber 30 | |
Tage finde ich verfassungsrechtlich eher bedenklich.“ | |
In Bayern wurde Ende Oktober gegen 33 Klimaaktivist:innen, die Straßen | |
blockiert hatten, Gewahrsam von bis zu 30 Tagen angeordnet. Das hatte eine | |
bundesweite Debatte über die Verhältnismäßigkeit dessen ausgelöst. In | |
Berlin dagegen war erst mit einer Novelle des Asog 2021 die Maximaldauer | |
von vier auf zwei Tage reduziert worden. Vor Spranger hatte | |
Polizeipräsidentin Barbara Slowik gefordert, dies rückgängig zu machen. | |
„Wir sind das Bundesland mit der kürzesten Gewahrsamsdauer“, sagte sie zur | |
Welt. | |
Auch die Polizeigewerkschaft GdP sprach davon, dass vier, fünf Tage „den | |
präventiven Handlungsrahmen spürbar erweitern“ würden. GdP-Landeschef | |
Stephan Weh sagte zudem: „Wichtig wäre es, dass der aktuelle, aber auch ein | |
zukünftiger Rahmen nach Asog dann auch mal entsprechend genutzt wird.“ Laut | |
Slowik wurden in der aktuellen Protestwelle seit Anfang Oktober 37 | |
Aktivist:innen einem Richter oder einer Richterin vorgeführt. In sieben | |
Fällen sei der Gewahrsam für maximal zwei Tage beschlossen worden, in den | |
anderen abgelehnt. | |
## Ablehnung der Koalitionspartner | |
Aus der Linken kam die Ablehnung auf den Vorstoß mit aller Schärfe. | |
Rechtspolitiker Sebastian Schlüsselburg sagte der taz: „Darüber brauchen | |
wir gar nicht reden. Diese Gesetzesänderung wird es nicht geben.“ Spranger | |
warf er vor, ihren Vorstoß mit dem konkreten Anlass der Klimaproteste zu | |
verbinden, und sagte: „Sonderrecht gibt es nicht.“ Eine „Einschränkung d… | |
Grund- und Freiheitsrechte für alle“ lehne er ab. | |
Der innenpolitische Sprecher der Grünen reagierte ebenso rigoros. Auf | |
Twitter schrieb Vasili Franco: „Es wird in Berlin keine Verschärfung des | |
Präventivgewahrsams geben. Freiheitsentzug ist das schärfste Schwert des | |
Strafrechts, das gilt erst recht für eine Haft auf Verdacht. Ein | |
Sonderstrafrecht für Klimaaktivisten ist rechtsstaatlich mit uns nicht zu | |
machen.“ | |
Unterdessen lässt sich seit Tagen ein verändertes Vorgehen der Polizei bei | |
den Blockaden der [2][Letzten Generation] beobachten. Statt die | |
Aktivist:innen von der Straße zu tragen, werden inzwischen vermehrt | |
Schmerzgriffe angewendet. Viral ging ein [3][Video] einer Blockade vom | |
vergangenen Mittwoch, das ein Gespräch eines Polizisten mit einer | |
Aktivistin zeigt. Darin kündigt er an, einen „Handbeugehebel“ anzusetzen, | |
der „unfassbare Schmerzen auslösen“ werde. Das mildere Mittel, das bisher | |
routinemäßig zum Tragen kam, ist Wegtragen. | |
Auch der innenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schrader, spricht von | |
einem Eindruck, dass die Polizei „deutlich rücksichtsloser vorgeht“, und | |
nennt dies „bedenklich“. Laut eines Rechtsaufsatzes in der [4][Legal | |
Tribune Online] verletze die Anwendung von Schmerzgriffen den | |
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der im Gesetz über die Anwendung | |
unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt geregelt ist. | |
Demnach sei die Maßnahme zu treffen, die den Einzelnen am wenigsten | |
beeinträchtigt. Schmerzhafte Gewalt sei erst dann möglich, wenn Widerstand | |
geleistet wird oder zu erwarten sei. | |
15 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /100-Tage-ohne-Innensenatorin/!5844950 | |
[2] /Letzte-Generation/!t5833405 | |
[3] https://twitter.com/DanniPilger/status/1591100728877395970?s=20&t=I1yeY… | |
[4] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/klima-aktivisten-gewaltandrohung-s… | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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