# taz.de -- Festival für kosmische Klänge: Die Zukunft trägt gern Weiß | |
> Beim „Cosmic Awakening“ im Haus der Kulturen der Welt scheute man keine | |
> Visionen. Als Festival der utopischen Klänge hörte man sich in der | |
> Zukunft um. | |
Bild: Auf einem eigenen musikalischen Planeten unterwegs: Kuunatic | |
Natürlich gilt, dass die Zukunft einen sowieso irgendwann einholen wird. | |
Aber eine Frage ist es doch wert, in welchem Gewand man ihr die Aufwartung | |
machen will? | |
In diesem Zusammenhang waren in den vergangenen Tagen im Berliner Haus der | |
Kulturen der Welt (HKW) immer wieder Menschen mit Schärpen oder | |
Glitzerhüten zu sehen, mit denen sie sich schnell eine Weltraumoptik | |
verpassten. Wie für einen Kindergeburtstag. Also herzlich alberne Kostüme – | |
und irgendwie schon wieder mächtig Pop, mit der Lust an | |
Verkleidungsspielen, der schnell hingeworfenen Behauptung und dem tongue in | |
cheek, mit dem im Pop gern noch die gewichtigsten Fragen wie die nach der | |
Zukunft verhandelt werden. | |
Im HKW traf man sich also zum „Cosmic Awakening“-Festival, bei dem an | |
mehreren Tagen geschaut werden sollte, wie sich Zukunftsvisionen in Musik | |
verwandeln. Ein Festival der utopischen Klänge, das der demnächst | |
scheidende Kurator Detlef Diederichsen als Schlussrunde eingerichtet hat, | |
nachdem man sich in den vergangenen Jahren bereits an „doofer“, „böser“ | |
oder „unmenschlicher“ Musik abgearbeitet hatte. | |
Zum kosmischen Erwachen stellte beim gleich mal restlos ausverkauften | |
Eröffnungskonzert der [1][Technomusiker Pantha du Prince] seinen „Garden | |
Gaia“ vor, mit Wallegewändern, Chor und später viel Getrommel. Zuerst aber | |
driftete man mit Säuselmusik in die Chill-Out-Zone, bevor es zupackender | |
doch noch in den Club ging, der ja als Ort der Entgrenzung die im Moment | |
gelebte Utopie sein will. Jedenfalls tanzten viele mit ihren erhobenen | |
Armen so, als gäbe es in diesem Mutter-Erde-Garten eine Sonne anzubeten. | |
## Cyborgs und Pionierinnen elektronischer Musik | |
Das große Versprechen von Pop: einen Fluchtwagen bereitzustellen mit der | |
Musik, um mal wegzukommen von den Bedrängnissen, mit denen man so zu tun | |
hat und von denen man wirklich nicht gestört werden will während eines | |
guten Popsongs. Und wenn man statt Fluchtauto in einem Raumtransporter | |
sitzt, dauert es mit den [2][musikalischen Trips von Space Rock] und | |
anverwandten Psychedelikern halt etwas länger als beim klassischen | |
Dreiminutenpop. | |
Ihren ganz eigenen Planeten erkundeten dabei die drei Musikerinnen von | |
Kuunatic mit einem über Fernost gebrochenem Krautrock, schamanenhaftem | |
Singen und hübschen kleinen Space-Effekten, was alles – wie bei den anderen | |
Musikern, die sich in diesen Gegenden bereits umgeschaut haben – in | |
Richtung Trance weitergetrieben wurde. Sehr charmant, das. Auch weiße | |
Wallegewänder gab es wieder bei dem japanischen Trio zu sehen. | |
Von Cyborgs war zu hören bei dem Festival und von den Pionierinnen | |
elektronischer Musik. In Videoschnipseln konnte man nachvollziehen, wie | |
deren eigentlich avantgardistisches Piepsen und Pluckern einem in | |
Science-Fiction-Filmen und TV-Werbung vertraut gemacht wurde. Und auf den | |
Toiletten hörte man Musik von Sun Ra, dem Jazz-Visionär, der immer | |
behauptete, vom Saturn gekommen zu sein. Sein Slogan war „Space is the | |
place“ – mit der Dialektik zwischen [3][seiner so freiheitsgierigen Musik] | |
einerseits und der fast schon sklavischen Disziplin, mit der der Meister | |
andererseits seine Musiker triezte. | |
Dieser Widerspruch eben: dass man auf der Erde (den dahergebrachten | |
Verhältnissen, den Zwängen …) festgetackert ist. Dass man das aber auch | |
gern mal hinter sich lassen würde. Und das mit Musik. Zum Abschluss des | |
Festivals lud die britische Künstlerin Klein zu einem audiovisuellen | |
Vortrag. Auf der Leinwand sah man Kinder auf einem Spielplatz oder | |
häusliche Szenen, man sah Bilder von Soldaten. Man hörte eine Musik, die, | |
wenn man im Fernsehen die Untertitel anknipst, als „geheimnisvoll“ oder | |
„bedrohlich“ beschrieben wird. Die Zukunft. Sie muss einen nicht immer nur | |
froh machen. | |
17 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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