# taz.de -- Werkschau der Psychrocker Hawkwind: Bis die Wirkung nachlässt | |
> Das Boxset „This Is Your Captain Speaking“ widmet sich dem stoischen und | |
> ausufernd psychedelischen Schaffen der britischen Space-Rock-Pioniere | |
> Hawkwind. | |
Bild: Lemmy (3. von links mit Fuckfinger) und die Hawkwind-Schmöker | |
Hawkwind waren vor allem live ein Ereignis. In der Tradition von Velvet | |
Underground und den frühen Pink Floyd brachten sie eine psychedelische | |
Mixed-Media-Show von kuriosem Schauwert auf die Bühne. Mit opulenter | |
Lightshow, Installationen ihres Cover-Künstlers Barney Bubbles, | |
Revueeinlagen etwa von der körperbemalten Ausdruckstänzerin Stacia und mit | |
einem richtigen Dichter. | |
Meistens war das Robert Calvert; war dieser „unwell“, sprang auch der | |
Scifi-Autor Michael Moorcock ein –, dessen pathetische Psychopredigten | |
Konzerte von Hawkwind zum „Space Ritual“ machen sollten, einer Art | |
Science-Fiction-Messe. | |
Hawkwind waren Kunstkacke im Quadrat und einer der Gründe, warum es später | |
Punk geben musste. Einerseits. Andererseits bestanden sie aber genau nicht | |
aus Konservatoriumsstrebern, die den Graben zwischen E und U überbrücken | |
wollten und sich in drögen Klassikexegesen ergingen, sondern aus | |
Dilettanten, die gern Trips einwarfen und dann zusammen improvisierten, bis | |
die Wirkung nachließ. | |
Von wirklichen Art-Rockern wurden Hawkwind als „Zwei-Akkorde-Band“ | |
geschmäht. Dave Brock, ihr Gitarrist, der auch am Moog-Synthesizer | |
herumschraubte, behielt noch den klarsten Kopf. Von ihm stammen viele | |
Kompositionen der Anfangstage, die jetzt in dem Boxset „This Is Your | |
Captain Speaking … Your Captain Is Dead“ dokumentiert sind. | |
## Geräusche erzeugen | |
Der Saxofonist Nik Turner bekannte, dass sie damals wenig von Musik | |
verstanden. „Ich konnte nicht Saxofon spielen und kann es heute noch nicht. | |
Aber ich konnte damit eine Menge Geräusche erzeugen, und das reichte.“ Das | |
Fundament ihrer Songs bestand aus schlichtem, oft beeindruckend stoischem, | |
ja stumpfem Boogie. Nicht von ungefähr konnte ihr seit 1972 mitpolternder | |
Bassist Ian „Lemmy“ Kilmister seinen letzten Hawkwind-Song „Motörhead“… | |
man ihn 1975 ausgerechnet wegen Drogenbesitzes aus der Band warf, ohne | |
Weiteres zum Erkennungsstück seines neu gegründeten | |
Drei-Mann-Abbruchunternehmens ummodeln. | |
In gewisser Weise leuchtete diese strukturelle Simplizität auch den Punks | |
ein. Mit der Zunge in der Backe haben die Sex Pistols später „Silver | |
Machine“ gecovert, den immer wieder neu aufgelegten Überhit der Band. | |
Hawkwind waren Spät-Hippies durch und durch. Sie lebten zusammen in einem | |
besetzten Haus. Ähnlich wie die Kommune von Grateful Dead praktizierten sie | |
ein offenes Gruppenkonzept mit ständigen Besetzungswechseln und versuchten | |
noch einmal den Acid Rock zu beerben, als er eigentlich längst obsolet war. | |
## LSD im Regen | |
Aber die notorische Westküsten-Groovyness ging den Londonern ab, nicht | |
zuletzt der naive Optimismus, mit ein bisschen LSD-Bewusstseinserweiterung | |
die Welt retten zu können. Sie kamen aus dem regnerischen England, und | |
entsprechend düster und dystopisch klang ihr durch Echo, Hall und diverse | |
Phasenmodulationseffekte und massiven Synthesizereinsatz zum Blubbern, | |
Flirren und Jaulen gebrachter Space Rock, den sie dann auch gleich zum | |
eigenen Genre erklärten. | |
Das erinnerte eher an Soundtracks zu Horror-B-Movies von Roger Corman. Und | |
spätestens als sich der schwer depressive Calvert um die Ausgestaltung des | |
lyrischen Kosmos kümmerte, herrschte auch textlich ein anderer Ton. In | |
seinem „Hawkwind Log“, aus dem er zwischen den Stücken deklamierte, ist die | |
Erde bereits 1987 ausgebrannt. Mit der Single „Urban Guerilla“ probte man | |
schließlich sogar den Aufstand. „You took my dream and canned it / It is | |
not the way I planned it / I’m society’s destructor / I’m a petrol bomb | |
constructor / I’m a cosmic light conductor / I’m the people‘s debt | |
collector / So watch out Mr. Business Man / Your ’s about to blow.“ | |
Als die IRA wie auf Befehl in London Bomben hochgehen ließ, boykottierte | |
die BBC den Song, und Hawkwinds Plattenfirma United Artists zog die Single | |
mit windelweichen Entschuldigungen aus dem Verkehr, obwohl sie sich auch | |
ohne Airplay ziemlich hoch in den Charts platziert hatte. Von „Satire“ war | |
die Rede, die mit dem echten Straßenkampf in keinem Zusammenhang stehe. | |
## Die übernächste Renegatengeneration | |
Lemmy bezweifelte das. Genau das sei Bob Calverts Ding gewesen. Und Lemmy | |
verteidigte auch den Song als einen der besten, den Hawkwind je aufgenommen | |
hätten. Ohne Dave Brocks Verspultheiten an der Leadgitarre und die | |
psychedelischen Metaphernrudimente hätte ein vollwertiger Proto-Punksong | |
draus werden können. Die übernächste Renegatengeneration in Gestalt von | |
Mudhoney und Primal Scream hat das erkannt und sich dann seiner angenommen. | |
Aber die Acid Heads sollten sich weiterhin angesprochen fühlen. Trippy war | |
diese Musik noch stets. „Ihre Musik kann dich – auch ohne Drogen – auf ei… | |
Reise schicken“, schrieb das westdeutsche Musikmagazin Sounds begeistert | |
über das Debütalbum. | |
Zum einen durch die repetitiven Strukturen, nicht zuletzt das mantraartige | |
Riffing, das die Songs ins Meditative hinüberprügeln sollte, zum anderen | |
durch die sphärische, schwebende, eher flüchtige und flüssige | |
Aggregatzustände betonende Klangästhetik. Das machte Hawkwind später wieder | |
anschlussfähig an diverse retrograde Spielarten von Madchester, über | |
Neo-Psychedelia bis zu Stoner Rock, in dessen Reihen sie als Stammväter | |
hofiert werden, was ihren Alben und Touren bis heute Aufmerksamkeit | |
beschert. | |
## Unnachahmliche Art | |
Die Probleme, die solche auf Entgrenzung zielende Musik zumindest | |
nüchternen Hörern mitunter bereitet, hat Lemmy in seiner unnachahmlichen | |
Art beschrieben. „Sie schrubbten ihr Programm runter, und das Publikum | |
stand die ganze Zeit bewegungslos rum. Ich dachte: Scheiße, ich muss | |
unbedingt in dieser Band spielen. Ich kann mir die Typen nämlich nicht | |
angucken.“ | |
Improvisatorische Musik macht am meisten Spaß, wenn man sie selbst macht. | |
Am besten sind Brock und seine wechselnden Mitstreiter, wenn der Rock den | |
Space halbwegs kontrolliert und die futuristische Geräuschkulisse nicht zum | |
Selbstzweck wird. Kanonische Songs wie „Master Of The Universe“ oder | |
„Psychedelic Warlords (Disappear In Smoke)“ bewahren so Suggestionskraft | |
über die Zeiten hinweg. | |
Die immerhin zehn CDs umfassende Hawkwind-Dokumentation enthält viel Musik, | |
ist aber lieblos zusammengestellt. Nicht mal ein Booklet spendiert man den | |
Novizen, und die Liner notes sind völlig unlesbar bei den auf CD-Größe | |
geschrumpften Covers. Zudem enthält die Box, obschon man mit dem Untertitel | |
„The Albums And Singles 1970 bis 1979“ wirbt, nur Songs der frühen | |
Werkphase bis 1974. Die beiden essenziellen Livealben „Greasy Truckers | |
Party“ und „Space Ritual“ gehören zwingend dazu. Einerseits ist „This … | |
Your Captain Speaking … Your Captain Is Dead“ also eine Mogelpackung. | |
Andererseits war das Hawkwind-Konzept Mitte der Siebziger weitgehend | |
ausgereizt. In späteren Jahrzehnten hat man sich ohnehin nur noch | |
produktionstechnisch den Zeitläuften angepasst, in den Metal-Achtzigern | |
etwa den Gitarren-Amp aufgedreht. Die Sounds, die das Debüt noch als | |
gelungene Weiterentwicklung von Acid Rock gefeiert hatten, winkte bereits | |
„Doremi Fasol Latido“ (1973) und „Hall Of The Mountain Grill“ (1974) | |
gelangweilt durch. „Während die letzten Relikte der | |
Hippie-Psychedelic-Welle mit Space-Orgien und Pseudo-Science-Fiction durchs | |
All zischen, wartet die irdische Rockgemeinde gähnend auf die | |
Bruchlandung.“ Da konnte sie lange warten. | |
29 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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