Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- US-Erzählungen vom Scheitern: Schwarze Wolken über Kalifornien
> Juliet Escoria erzählt lakonische Geschichten von den Randständigen der
> Gesellschaft. Junkies, Säufer und Verarmte spielen die Hauptrollen.
Bild: So schön ist es in Kalifornien.
Juliet Escoria ist noch so eine dieser jungen, toughen Frauen, wie Mary
Miller, Elizabeth Ellen oder Maggie Nelson, die gerade die US-Literatur vom
schmuddeligen Rand aus aufmischen. Was Lana Del Ray in ihren Songs und
Videos grell evoziert hat, das unglamouröse Ramschleben inmitten eines
heruntergekommenen White-Trash-Suburbias, das im scharfen Kontrast steht zu
den medialen Hochglanzbotschaften vom zeitgenössischen Amerika, formen
diese Frauen zu harten, lakonischen, knochentrockenen Storys und Skizzen,
seltener auch mal Romanen, denen man ihr autobiografisches Fundament
anmerkt.
Escorias Geschichten spielen meistens in Kalifornien, das die Autorin
selbst erst kürzlich verlassen hat, und wenn man ihre Geschichten liest,
versteht man auch, warum. Schon die Eingangsstory erzählt programmatisch
auf gerade mal zwei Seiten von dem Erkalten einer Liebe, die sich wie
dieser vermeintliche „Golden State“ als eine hübsche Illusion
herausgestellt hat. Entsprechend ist es Winter und an den Strand wird
„Seetang angespült, der sich in rostfarbenen verrottenden Haufen am Strand
sammelte und den Gestank des Todes verbreitete“.
Aber der Gerade-noch-so-Liebhaber der Protagonistin bleibt ungerührt. „Er
war nicht von hier. Er war einer von denen, die alles, was sie hier sahen,
für großartig hielten und die jeden Tag zu einem guten Tag erklärten, bloß,
weil sie jetzt in Kalifornien waren. Scheiß auf Kalifornien, sagte ich im
Stillen, und scheiß auf dich.“
Dieses abgewirtschaftete Leben lässt sich nur im Rausch ertragen, und so
wird meistens zu viel getrunken in ihren Geschichten, man nimmt zu viele
Drogen oder schiebt eine schnelle Nummer mit dem Freund der besten
Freundin, weil Leere, Langeweile und Hoffnungslosigkeit eben noch weniger
zu ertragen sind. Typische Ennui-Geschichten also, die Postadoleszenten so
einfallen, wenn sich die erste Desillusionierung einstellt. In der
deutschen Literatur wird das seit einiger Zeit gern im Modus des
immerwährenden Berliner Club-Exzesses erzählt, um dem Scheitern noch etwas
verruchten Glamour abzugewinnen.
## Hollywood ist nebenan
Von dieser bürgerlichen Leidenskoketterie sind Escorias Erzählungen jedoch
in der Regel frei. Sie situiert ihre Mittzwanziger-Passionsgeschichten eben
gerade nicht in der „Mitte“, sondern am Rand und nicht selten in den
Absteigen der Junkies, Säufer und Verarmten. Hollywood mag nebenan liegen,
ist aber unerreichbar – und das verstärkt noch einmal den Frust der vom
Wohlleben Ausgeschlossenen.
Das cracksüchtige Exfotomodell aus der Story „Das Schärfste an ihr“ lässt
ihre Enttäuschung an der Tochter aus. Und die notiert ohne Larmoyanz, mit
nüchterner Präzision und den Horror immer nur andeutend, was die Mutter ihr
damals angetan hat. Irgendwann kommt sie ins Heim, und das ist eine
Erlösung. Als Erwachsene muss sie sich an all das erinnern, weil ihre
Mutter viele Jahre später, nach einem Entzug, den Kontakt zu ihr wieder
aufgenommen hat. Sie versucht zu verzeihen, aber es gelingt ihr einfach
nicht. Wie Escoria hier das Elend der emotionalen Verarmung und
Verwahrlosung mit ein paar Strichen skizziert, unverfroren, aber mit
Empathie für ihre Figuren, mit scharfem Blick für die sozialen Realitäten,
aber nicht voyeuristisch, das offenbart ein beachtliches Talent.
Auch wenn sie aus dem mittelständischen Normalalltag erzählt, was in dieser
Sammlung nicht so häufig vorkommt, zieht die titelgebende „Black Cloud“
heran, die ihr den Blick auf das Leben immer wieder verschattet.
In „Staubteilchen“ erinnert sich die Icherzählerin, wie ihre beste Freundin
damals in der zweiten Klasse „Mann und Frau“ mit ihr gespielt hat. Sie
ziehen sich aus, und ihre Freundin gibt merkwürdig erwachsene Kommandos.
Und das Unbehagen, das die Erzählerin dabei überfällt, teilt sich dem Leser
fast schon körperlich mit. Als ihre Freundin das Spiel wiederholen will,
werden sie vom Vater erwischt. Die beiden „sahen sich so an, dass ich das
Gefühl hatte, es würden Dinge zwischen ihnen gesagt, die ich mir nie und
nimmer würde vorstellen können oder wollen“. Die erwachsene Erzählerin
immerhin ahnt etwas.
Nicht immer vertraut Escoria auf ihre Beobachtungsgabe und ihre lakonische
Beschreibungsgenauigkeit. Mitunter glaubt sie sich in die Poesie flüchten
müssen, um den emotionalen Überhang aufs Papier zu bekommen, das ist dann
nicht ganz so überzeugend. In ihren besten Geschichten allerdings hat sie
ein gutes Gespür dafür, was in einer Story gesagt werden darf und was
nicht. Ihre Auslassungen sind dann mitunter sprechender als ihre knappen
Worte.
28 Apr 2015
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
USA
Buch
Hollywood
Kalifornien
US-Literatur
LSD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erzählungen von Mary Miller: Das Gefühlsding
Mary Miller erzählt in „Always Happy Hour“ von weiblichen Enttäuschungen.
Sie beweist dabei Klassenbewusstsein bis in die popkulturellen Zeichen
hinein.
Werkschau der Psychrocker Hawkwind: Bis die Wirkung nachlässt
Das Boxset „This Is Your Captain Speaking“ widmet sich dem stoischen und
ausufernd psychedelischen Schaffen der britischen Space-Rock-Pioniere
Hawkwind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.