# taz.de -- Inflation in Gefängnissen: Entlastungspakete für Häftlinge | |
> Auch in Gefängnissen werden Lebensmittel teurer. Doch die | |
> Regierungsmaßnahmen, um die Inflation abzufedern, gelten nicht für | |
> Insassen. | |
Bild: Gefangene werden trotz der hohen Inflation beim Kauf von Lebensmitteln ni… | |
Berlin taz | Die Nahrungsmittelpreise sind in den vergangenen Wochen | |
deutlich gestiegen. Bei Molkereiprodukten um fast 30, bei Speiseölen sogar | |
fast 50 Prozent. Um die Menschen zu entlasten, hat die Bundesregierung | |
bisher [1][drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht]. Passgenaue | |
Maßnahmen für jede Bevölkerungsgruppe gibt es nicht. Eine Gruppe aber | |
bekommt die hohen Preise besonders zu spüren, ohne in irgendeinem | |
Entlastungspaket berücksichtigt zu sein: Gefangene. | |
Eine taz-Recherche hat nun ergeben: Trotz steigender Preise wurden nur in | |
vier Bundesländern die Budgets für die Küchen erhöht, und zwar zwischen 5 | |
und 25 Prozent. Auch für die meisten Selbstversorger:innen, also | |
Insassen, die selbst kochen, gibt es kaum Unterstützung. Eine Ausnahme sind | |
Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. | |
„Die Preise steigen immer weiter“, sagt Norbert Konrad, Insasse der | |
Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen. Nach dem Ende seiner | |
Haftstrafe sitzt er nun in Sicherungsverwahrung. Während Gefangene in der | |
Regel über die Gemeinschaftsverpflegung versorgt werden, dürfen | |
Sicherungsverwahrte auf Antrag selbst kochen. Nudeln, Gemüse und Öl können | |
sie allerdings nur über einen „Anstaltskaufmann“ einkaufen. In Werl und den | |
meisten Gefängnissen in Deutschland ist das die Massak GmbH, [2][wie die | |
taz bereits berichtete]. Massak hatte schon vor der Coronakrise hohe Preise | |
genommen. Konrad klagte im Jahr 2020 dagegen. | |
## Unterschiedliche Bedingungen je nach Bundesland | |
Viele Gefangene kommen bereits mit Schulden ins Gefängnis, teure | |
Lebensmittel können sich viele nicht leisten. In den meisten Ländern sind | |
Gefangene verpflichtet zu arbeiten und bekommen dafür einen Stundenlohn von | |
nicht einmal 2 Euro. Wer nicht arbeiten kann, bekommt ein Taschengeld, das | |
noch niedriger ist. Selbstversorger erhalten einen Verpflegungszuschuss, | |
der je nach Bundesland pro Tag zwischen 2,42 Euro und bis zu 8,68 Euro | |
beträgt. | |
Im Juli bekam Konrad ein Gerichtsurteil zu einem Eilantrag eines | |
Mitgefangenen in Werl in die Hände. Der hatte wegen Inflation und einer | |
besonderen Diät beantragt, seinen Verpflegungszuschuss von 2,42 Euro – dem | |
niedrigsten im ganzen Bundesgebiet – auf 4 Euro zu erhöhen. Das Gericht | |
entschied: Steigen muss der Zuschuss, 3 Euro reichten aber, um sich gesund | |
zu ernähren. Daraufhin stellte auch Konrad einen Antrag. Am 27. September | |
erhielt er den positiven Gerichtsbescheid. | |
Zum 1. Oktober erhöhte die Anstalt schließlich für alle | |
Sicherungsverwahrten den Zuschuss „aufgrund der gestiegenen | |
Lebensmittelpreise“ auf 3 Euro, wie ein Sprecher des Justizministeriums | |
Nordrhein-Westfalens der taz mitteilte. Das sind rund 24 Prozent mehr als | |
vorher. Aber immer noch ein Drittel weniger als das, was | |
Hartz-IV-Empfänger:innen pro Tag für Verpflegung zusteht. Auch in anderen | |
Ländern haben die JVAen auf steigende Preise reagiert. In Baden-Württemberg | |
wurde der Zuschuss für Selbstversorger Mitte April um etwa 10 Prozent | |
erhöht, auf 2,83 Euro pro Tag. In Berlin gab es zum 1. Oktober eine | |
Erhöhung um etwa 20 Prozent. Berlin zahlt aber sowieso schon mehr als | |
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg: bisher 5,50 Euro, seit Oktober | |
nun 6,70 Euro pro Tag. | |
In Bayern erhalten nicht nur Selbstversorger, sondern alle Gefangenen einen | |
„finanziellen Entlastungsausgleich für steigende Preise beim | |
Anstaltskaufmann“. Die erste von sechs monatlichen Raten der „einmaligen | |
Soforthilfe“ sei bereits im Juli gezahlt worden, heißt es. Insgesamt gibt | |
es 110,02 Euro. | |
Mehr brauche es nicht, da die meisten Steigerungen bei Verpflegung, | |
Unterkunft, Heizung und Strom durch den Justizvollzug getragen würden, | |
sagte ein Ministeriumssprecher der taz. Dass Gefangene kaum die Last der | |
Inflation tragen, ist auch das Argument der meisten Länder, warum sie | |
keinen „Entlastungsausgleich“ wie Bayern gewähren. Aus Bremen heißt es: | |
„Gleichwohl hat die JVA-Leitung die Preisentwicklung generell fortlaufend | |
im Auge – und wirkt beim Anstaltskaufmann auf die Produktauswahl, eine | |
„bezahlbare“ Preisstruktur und ggf. preisgünstigere Alternativangebote für | |
bestimmte Produkte hin.“ Eine Sprecherin der Senatorin für Justiz in | |
Hamburg teilt mit: „Wir behalten natürlich die Entwicklung der Preise im | |
Blick.“ | |
Hamburg hat aber einen anderen Ausgleich geschaffen: Gefangene beziehen für | |
jeden Tag, an dem sie unverschuldet nicht ihrer Arbeit nachgehen können, 50 | |
Prozent ihrer bisherigen Bezahlung. Sicherungsverwahrte erhalten 60 | |
Prozent. „Damit zahlt Hamburg als erstes Bundesland eine teilweise | |
Fortzahlung des Arbeitsentgelts für Gefangene.“ Hintergrund sei, dass im | |
Januar erstmalig wegen eines Corona-Ausbruchs in der JVA Fuhlsbüttel alle | |
Betriebe geschlossen werden mussten. Knapp bleibt das Geld von Gefangenen | |
weiterhin. Aber: Das [3][Bundesverfassungsgerichts will in Kürze darüber | |
entscheiden], ob der Lohn von Häftlingen steigen muss. | |
22 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bundesrat-stimmt-200-Milliarden-Topf-zu/!5891277 | |
[2] /Teures-Essen-in-Gefaengnissen/!5867768 | |
[3] /Gehalt-fuer-Arbeit-im-Gefaengnis/!5847333 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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