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# taz.de -- Lula gewinnt die Stichwahl in Brasilien: Bolsonaro ist abgewählt
> Knappes Ergebnis: Mit 50,9 zu 49,1 Prozent gewinnt der linke Ex-Präsident
> Lula da Silva die Stichwahl gegen den rechtsextremen Jair Bolsonaro.
Bild: Hat das Comeback geschafft: Brasiliens Wahlsieger Lula da Silva
São Paulo taz | Als das Wahlergebnis auf der Pressekonferenz die Runde
macht, können viele Mitarbeiter*innen der Arbeiterpartei PT die Tränen
nicht mehr halten – es sind Freudentränen. Denn in diesem Moment ist klar:
Luiz Inácio „Lula“ da Silva hat die Stichwahl um die brasilianische
Präsidentschaft gewonnen. Und vielleicht noch wichtiger: Der rechtsradikale
Amtsinhaber Jair Bolsonaro wird keine weiteren vier Jahre regieren.
Die PT hatte am Sonntag in ein schickes Hotel im Zentrum São Paulos
geladen. Neben der internationalen Presse waren auch prominente Gäste
anwesend. „Für die Umwelt und Brasiliens Rolle in der Welt war Bolsonaro
furchtbar“, sagte der ehemalige britische Labour-Chef Jeremy Corbyn der
taz. „Außerdem hat er die Lebensgrundlage der Ärmsten zerstört.“
156 Millionen Brasilianer*innen waren am Sonntag zur Wahl aufgerufen.
Medien schrieben im Vorfeld von „der wichtigsten Wahl in der Geschichte
Brasiliens“. Denn mit Bolsonaro und Lula standen sich die wahrscheinlich
wichtigsten Protagonisten von Brasiliens Politik der vergangenen Jahrzehnte
im direkten Duell gegenüber.
Am Ende war es ein denkbar knappes Wahlergebnis: Lula kam auf 50,9 Prozent
der Stimmen, Bolsonaro auf 49,1 Prozent. Etwas mehr als 2 Millionen Stimmen
trennten die beiden Kandidaten voneinander.
## Versöhnliche Töne des neuen alten Präsidenten Lula
Im Laufe des Tages mehrten sich besorgniserregende Berichte: Die
Autobahnpolizei soll Menschen die Anfahrt zur Wahl erschwert haben.
Zahlreiche Busse wurden angehalten, angeblich um Verbrecher aufzuhalten.
Laut Lula-Anhänger*innen soll es sich um eine orchestrierte Aktion
gehandelt haben. Die Autobahnpolizei steht Bolsonaro nahe, ihr Chef hatte
noch am Sonntag bei Instagram zur Wahl des Rechtsradikalen aufgerufen.
Besonders auffällig: Die Aktionen fanden überproportional im Nordosten
statt, wo die Mehrheit der Bevölkerung Lula unterstützt. Medien
berichteten, dass die Polizeiaktionen bei einem Treffen im
Präsidentenpalast geplant worden sein sollen. Trotz der mutmaßlichen
Wahlbehinderungen gewann Lula die Wahl.
Um 20.44 Uhr betritt der ehemalige Gewerkschaftsführer unter Jubel die
Bühne im Hotel in São Paulo. Fäuste werden in die Luft gereckt, im Chor
schallt es „Olé, olé, olé, olá, Lula, Lula.“ Umringt von
Politiker*innen und Aktivist*innen dankt Lula in seiner ersten
Rede als frisch gewählter Präsident Gott. Danach hält er eine versöhnliche
Rede. Er wolle Präsident aller Brasilianer*innen sein – nicht nur für
die, die für ihn stimmten. Lula versprach nichts weniger, als das tief
gespaltene Land wieder zusammenzubringen. Doch einfach wird das nicht.
Bolsonaro lag zwar hinter Lula, erzielte aber ein starkes Wahlergebnis. Mit
dem [1][Bolsonarismus] hat der amtierende Präsident eine überaus aktive
Bewegung hinter sich. Außerdem schafften etliche Bolsonaro-nahe
Kandidat*innen den Einzug in die Parlamente. In São Paulo setzte sich
ebenfalls am Sonntag der Bolsonaro-Kandidat Tarsício Freitas klar gegen den
PT-Politiker [2][Fernando Haddad] durch. Damit werden die drei größten
Bundesstaaten Brasiliens – São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais –
künftig von Bolsonaro-Verbündeten regiert.
## Die befürchtete Gewalt blieb zunächst aus
Eine Frau im roten Blazer steht neben Lula auf der Bühne: Es ist [3][Dilma
Rousseff], Brasiliens Ex-Präsidentin. „Dieser Sieg bedeutet viel für
Brasilien“, sagt Rousseff, die 2016 durch ein juristisch fragwürdiges
Amtsenthebungsverfahren ihren Posten als Präsidentin verlor. „Heute haben
wir gezeigt, dass wir zurück sind“, sagt Rousseff der taz.
Das wollen nicht alle akzeptieren. In vielen Städten blockieren
Lastwagenfahrer*innen Autobahnen und erklärten das Wahlergebnis nicht
anzuerkennen. Einige fordern eine Militärintervention. Auch in vielen
Telegram-Gruppen rufen Bolsonaro-Fans ganz offen zum Putsch auf. In der
Millionenstadt Belo Horizonte schoss ein Mann auf Menschen, die den
Wahlsieg Lulas feierten. Der 27-Jährige Pedro Dias starb, seine Mutter und
eine Freundin wurden verletzt. Der Täter soll zuvor auf zwei weitere Frauen
geschossen haben. Die Polizei prüft einen politischen Hintergrund.
Bolsonaro selbst meldete sich nicht zu Wort. Doch viele prominente
Verbündete des Präsidenten erkannten den Wahlsieg Lulas an.
Viel war [4][im Vorfeld über Gewalt diskutiert] worden, einige hielten
sogar einen Putschversuch für möglich. Denn Bolsonaro hatte seit Monaten
Lügen über das elektronische Wahlsystem verbreitet und erklärt, nur Gott
könne ihm die Präsidentschaft entziehen. Doch für einen offenen Bruch mit
der Verfassung dürfte ihm die nötige Rückendeckung fehlen. Es gibt eine
aktive Zivilgesellschaft in Brasilien, kritische Medien, und die
demokratischen Institutionen funktionieren immer noch. Auch im Ausland
setzten viele auf die Abwahl Bolsonaros. US-Präsident Joe Biden zählte am
Sonntag zu den ersten Gratulanten Lulas. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz
gratuliert Lula, mit dem er sich noch im Mai 2021 in Berlin getroffen
hatte.
Wenige Hundert Meter vom Hotel entfernt versammeln sich Zehntausende
Anhänger*in nen Lulas zu einer Siegesfeier: ein Meer aus Rot, Feuerwerk
kracht in der Luft, es fließen Freudentränen. Windige Verkäufer preisen
T-Shirts mit dem Konterfei Lulas an, auf Grills brut-zeln Fleischspieße.
Zélia Lucas Pa-tricio, 57, eine Schwarze Frau mit Lula-Stickern auf dem
weißen Blazer, ist aus dem armen Randgebiet ins Zentrum gekommen, um den
Wahlsieg Lulas zu feiern. „Es ist ein Sieg der Demokratie“, sagt sie.
Bolsonaro habe nichts für die Vorstadt gemacht, sei ein Präsident der
Reichen. Auch der Lehrer Adriel Fernandes, 39, verspüre „große
Erleichterung“. Zusammen mit seinen zwei Kindern ist er zur Wahlfeier
gekommen. „Hoffentlich können wir jetzt zurück zur Normalität.
31 Oct 2022
## LINKS
[1] /Praesidentenwahl-in-Brasilien/!5882186
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[4] /Wahl-in-Brasilien/!5883366
## AUTOREN
Niklas Franzen
## TAGS
Arbeiterpartei Brasilien
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