Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor der Stichwahl in Brasilien: Feindbild Oberste Richter
> Bei einer Wiederwahl könnte Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair
> Bolsonaro mit einem konservativen Umbau des Obersten Gerichtshofs
> beginnen.
Bild: Jair Bolsonaro spricht immer wieder von „juristischem Aktivismus“
Rio de Janeiro taz | Die Medien hätten die Geschichte erfunden. Er habe
keinen Plan, die Anzahl der Richter*innen des Obersten Gerichtshofes zu
erhöhen, erklärte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro am Sonntag in einem
Fernsehstudio in São Paulo. Dort stand er Ex-Präsident Luiz Inácio „Lula“
da Silva zur ersten TV-Debatte für die am 30. Oktober stattfindende
Stichwahl gegenüber.
Trotz Bolsonaros Aussage befürchten viele: Sollte der Rechtsradikale
wiedergewählt werden, droht ein Umbau des Justizsystems – mit
[1][verheerenden Folgen für Brasiliens junge Demokratie].
Die Beziehung zwischen Bolsonaro und dem Obersten Gerichtshof ist seit
langem kompliziert. Im vergangenen Jahr brüllte er seinen jubelnden
Anhänger*innen auf einer Demonstration zu, nicht länger Entscheidungen
des Gerichts zu akzeptieren. Immer wieder teilt er gegen einzelne
Richter*innen aus, erst kürzlich nannte er Richter Alexandre de Moraes
einen „Diktator“. Das Gericht, sagte Bolsonaro, verurteile Heilige und
spreche Teufel frei.
Bolsonaros Attacken hängen vor allem damit zusammen, dass der Oberste
Gerichtshof einigen autoritären Projekten des Präsidenten einen Riegel
vorgeschoben hat. Viele Dekrete Bolsonaros wurden vor Gericht kassiert. „In
Brasilien hat der Oberste Gerichtshof bei Auseinandersetzungen zwischen den
Gewalten oft das letzte Wort“, sagt der Anwalt und Rechtsexperte Fernando
Neisser der taz. „Deshalb spielt er im politischen Geschäft eine große
Rolle.“
## Zusammen gegen den gemeinsamen Feind
Bolsonaro fühlt sich verfolgt, ungerecht behandelt und spricht von
„juristischem Aktivismus“. Tatsächlich hat der Oberste Gerichtshof in
einigen Punkten zu Ungunsten Bolsonaros entschieden, in vielen Punkte
wiederum nicht, wie Conrado Hübner Mendes im Podcast „Café da Manhã“
betont.
Bolsonaros Attacken gegen den Obersten Gerichtshof liegen auch daran, dass
dort mehrere [2][Ermittlungsverfahren] gegen ihn, seine Söhne und
prominente Unterstützer*innen vorliegen. Außerdem ist es eine
Strategie des ultrarechten Präsidenten, seine Anhänger*innen gegen
einen gemeinsamen Feind zusammenzuschweißen. Unterstützer*innen
Bolsonaros sehen den Obersten Gerichtshof im Gespräch mit der taz als
Speerspitze einer kommunistischen Verschwörung. Auf Demonstrationen wird
ganz offen seine Schließung und eine Intervention der Streitkräfte
gefordert.
Heute setzt sich der Oberste Gerichtshof aus 11 Richter*innen zusammen.
Bolsonaro konnte bereits zwei ihm ideologisch nahestehende Richter
ernennen. Bei einer Wiederwahl könnte er mindestens zwei weitere
Richter*innen nominieren. Außerdem: Da in der ersten Wahlrunde etliche
Bolsonaro-nahe Politiker*innen den Einzug in den Senat schafften,
ließe sich dort mit einer Mehrheit eine Amtsenthebung von Richter*innen
betreiben. Anwalt Neisser hält das derzeit jedoch für nicht realistisch.
Wahrscheinlicher ist, dass Bolsonaro versuchen könnte – und darum ging es
in der TV-Debatte am Sonntag – die Anzahl der Richter*innen zu erhöhen.
Dies deutete er mehrfach in Interviews an. Mit fünf weiteren
Richter*innen könnte er sich selbst eine “künstliche Mehrheit“ schaffen.
Auch das müsste allerdings vom Parlament bestätigt werden. Außerdem ist
unklar, ob solch eine Initiative vor Gericht Bestand hätte. „Die von
Bolsonaro erdachte Erhöhung der Anzahl der Richter wäre absolut
verfassungswidrig“, meint der Jurist Neisser.
Sollte es Bolsonaro allerdings gelingen, eine konservative Mehrheit im
Obersten Gerichtshof zu erreichen, stünden in Brasilien viele
Grundsatzurteile auf dem Spiel – ähnlich wie in den USA. Dort kippte der
Supreme Court zuletzt das Recht auf Abtreibung.
18 Oct 2022
## LINKS
[1] /Praesidentschaftswahl-in-Brasilien/!5873700
[2] /Korruptionsvorwuerfe-gegen-Brasiliens-Praesident/!5783985
## AUTOREN
Niklas Franzen
## TAGS
Brasilien
Jair Bolsonaro
Justiz
Oberster Gerichtshof
Präsidentschaftswahl
Arbeiterpartei Brasilien
Autoritarismus
Brasilien
Brasilien
Brasilien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lula gewinnt die Stichwahl in Brasilien: Bolsonaro ist abgewählt
Knappes Ergebnis: Mit 50,9 zu 49,1 Prozent gewinnt der linke Ex-Präsident
Lula da Silva die Stichwahl gegen den rechtsextremen Jair Bolsonaro.
Stichwahl ums Präsidentenamt: Brasilien vor dem Showdown
Bolsonaro oder Lula? Der rechte Amtsinhaber liegt in den Umfragen hinten.
Aber was heißt das schon: Auch ohne ihn dürfte der Bolsonarismus
weiterleben.
Präsidentenwahl in Brasilien: Der Bolsonarismus lebt
Entgegen aller Untergangshymnen hat es Brasiliens rechtsextremer Präsident
in die Stichwahl geschafft. Das zeigt: Bolsonaros Bewegung ist stark.
Wahl in Brasilien: Lula verpasst Sieg in der ersten Runde
Der linke Kandidat holt 48,4 Prozent. Der rechtsextreme Amtsinhaber
Bolsonaro kommt auf gut 43 Prozent. Nun kommt es zur Stichwahl am 30.
Oktober.
Wahl in Brasilien: Bis aufs Messer
In Brasilien könnte der linke Kandidat Lula bei der Präsidentschaftswahl
triumphieren. Aber würden Bolsonaros Anhänger eine Niederlage akzeptieren?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.