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# taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin: Zurück zu den Zelten
> Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) schließt
> Flüchtlingsunterkünfte in Zelten nicht länger aus. Flüchtlingsrat und
> Berlin hilft protestieren.
Bild: Zelte standen nach großen Flüchtlingsankünften in Berlin schon 2015 an…
Berlin taz | Nein, wie in Moria, dem bedrückenden griechischen
Flüchtlingslager, oder wie auf einem Zeltplatz soll es nicht aussehen. Aber
ansonsten klang [1][Sozialsenatorin Katja Kipping] (Linkspartei) am
Dienstag nach der Senatssitzung nicht so, als ob sie
Flüchtlingsunterbringung in Zelten ausschließen würde. „Tatsache ist, dass
man mit kleineren Unterkünften, die eigentlich eher Mittel der Wahl sind,
nicht auf 10.000 Plätze bis Jahresende kommt“, sagte sie vor Journalisten.
So viele [2][neue Plätze] hält sie bei den derzeitigen Ankunftszahlen für
nötig. Wenn man – „eventuell“ – über Zelte rede, dann seien das aber
Leichtbauhallen oder „hochmoderne Einrichtungen“, etwa vom Roten Kreuz. Die
sähen zwar wie Zelte aus, würden aber zum Beispiel direkten Zugang zu
sanitären Einrichtungen bieten. Turnhallen sollen weiterhin nicht belegt
werden.
In einem [3][internen Papier] der Senatsverwaltung für Soziales ist
offenbar von Zeltunterkünften für bis zu 4.000 Menschen die Rede. Als
Standorte dafür sind die beiden Ex-Flughäfen Tegel und Tempelhof, das
Olympia- und das Messegelände im Gespräch. Genauer wollte Kipping in der
Pressekonferenz am Dienstag nicht werden.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Zelte zum Einsatz kämen: Bereits nach den
großen Flüchtlingsankünften im Jahr 2015 hatte der Senat an der
Knobelsdorf-Kaserne in Spandau Zelte aufbauen lassen.
Georg Classen vom [4][Flüchtlingsrat] zeigte sich gegenüber der taz
„entsetzt“, dass Kipping den Aufbau von Zeltstädten als Notunterkunft für
Tausende Menschen erwägt, wie der Tagesspiegel am Montag Abend berichtet
hatte. Der Flüchtlingsrat hat laut Classen in den vergangenen Monaten
zahlreiche konkrete Vorschläge eingebracht, mit denen die Notlage gemildert
werden könnte. So könne sofort auf die Wohnpflicht in Asylunterkünften ab
dem ersten Tag verzichtet werden. „[5][Paragraf 49 des Asylgesetzes]
erlaubt eine solche Ausnahme“, sagte Classen. „Manche Geflüchtete haben
hier Angehörige, wo sie unterkommen könnten.“
Auch Senatorin Kipping ging auf diesen Punkt ein. Nach eigenen Worten setzt
sie sich weiter für eine Lockerung des Aufenthaltsrechts ein, damit
Flüchtlinge, die mangels Wohnungen in Berlin nur in
Gemeinschaftsunterkünften leben könnten, in Brandenburg eine eigene Wohnung
mieten könnten. Dieses Recht zu ändern sei aber schwierig und nur mit dem
Bund möglich.
Flüchtlingsratsvertreter Classen sieht den Fehler bei den Behörden. Viel
wäre aus seiner Sicht geholfen, wenn Ämter schneller arbeiteten. „Manche
Geflüchtete finden an einem anderen Ort Arbeit und Wohnung – aber Berlins
Ausländerbehörde lässt sich drei Monate Zeit mit der Änderung der
Wohnsitzauflage“, sagte er. „Bis dahin haben sich solche Angebote dann
erledigt.“ Ähnlich sei es bei Wohnungsangeboten innerhalb Berlins:
„Jobcenter und Sozialämter müssen vom Senat verpflichtet werden, solche
Anfragen binnen 24 Stunden zu prüfen. Jedes zweite Wohnungsangebot geht
derzeit verloren, weil viele Ämter sich vier Wochen Zeit für die Prüfung
lassen.“
Nicht zuletzt müssten anerkannte Geflüchtete endlich einen
Wohnberechtigungsschein bekommen, fordert Classen. Diesen verweigerten
Berlins Bausenator*innen jedoch seit Jahren, wenn bei einem
Haushaltsmitglied innerhalb des nächsten Jahres die Verlängerung des
Aufenthaltstitels ansteht, obwohl die fast immer erfolge. „Vor allem bei
Familien mit Kindern scheitert daran der Auszug aus den Sammelunterkünften.
Diese diskriminierende Praxis muss sofort geändert werden, wie es auch der
Koalitionsvertrag vorsieht.“
Wie verquer die Sache in Berlin derzeit läuft, zeigt folgendes Beispiel,
das Classen erzählt: So habe das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten
(LAF) erst kürzlich ein barrierefreies Wohnungsangebot für einen
Rollstuhlfahrer abgelehnt mit der Begründung, man habe in einer
Sammelunterkunft einen rollstuhlgerechten Platz frei. „Natürlich war die
Wohnung nicht billig, aber ein Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft
dürfte kaum günstiger sein.“
Auch Christian Lüder vom Netzwerk Berlin hilft kann es nicht fassen, dass
die Politik jetzt wieder über Massenunterkünfte und Zeltstädte redet,
obwohl sich alle einig seien, dass dies keine menschenwürdige Unterbringung
sei. „Offensichtlich ist seit acht Monaten die Akquise geeigneter
Unterkünfte gescheitert.“ Nun gehe es nur noch um Größe, aber nicht mehr um
Qualität. „Zynisch formuliert: Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera wären
wohl sogar Turnhallen besser geeignet, denn die sind wenigstens
innerstädtisch und nicht auf freiem Feld in Tegel“, sagt Lüder.
Turnhallen – wie 2015 und 2016 – will der Senat allerdings auf keinen Fall
als Flüchtlingsquartiere nutzen. Das sagt Regierungschefin Franziska Giffey
(SPD) schon seit Monaten, und das bestätigte am Dienstag auch Kipping: „Im
Senat sind sich alle einig, dass wir das nicht wollen.“ Das gelte für alle
Parteien und Fraktionen der Koalition.
Etwas weniger entschieden steht die Landesregierung zu der Möglichkeit,
Immobilien zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterbringen zu können.
„Eine Beschlagnahmung wollen wir vermeiden“, sagte Kipping. Rechtlich
möglich wäre das: Schon im Juli rief die Sozialsenatorin die sogenannte
Notfallstufe 2 (von nur zwei Stufen) aus, die Beschlagnahmungen erlaubt.
Kipping nannte das „asoggen“, angelehnt an die entsprechende
Rechtsgrundlage, [6][das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, kurz
Asog].
Nach Zahlen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten hat Berlin in
diesem Jahr bereits fast 100.000 Flüchtlinge aufgenommen und damit deutlich
mehr als auf dem Höhepunkt des Syrienkriegs 2015/2016. Darunter sind dem
Amt zufolge rund 85.500 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und etwa 10.700
Asylbewerber aus anderen Staaten.
8 Nov 2022
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/sen/ias/ueber-uns/leitung/senatorin-fuer-integration-…
[2] /Platznot-fuer-Gefluechtete-in-Berlin/!5883694
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/olympiapark-messe-tegel-und-tempelhof-al…
[4] https://fluechtlingsrat-berlin.de/
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/asylvfg_1992/__49.html
[6] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-ASOGBE2006V41IVZ
## AUTOREN
Stefan Alberti
Susanne Memarnia
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