# taz.de -- Zwischenwahlen in den USA: Tonnenweise Wahlzettel | |
> Wahltag in den USA: Die sogenannten Midterms finden statt. Doch was wird | |
> überhaupt gewählt? Und welche Ergebnisse sind zu erwarten? Ein Überblick. | |
Bild: Tritt bei den Gouverneurswahlen in Pennsylvania an: der Republikaner Doug… | |
Am 8. November finden in den USA die Midterms statt. Doch was wird da | |
überhaupt gewählt? | |
Einerseits die Zusammensetzung des 118. US-Kongresses. Der Kongress besteht | |
aus den 100 Senator*innen – zwei aus jedem US-Bundesstaat – und 435 | |
Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Eine Zweitstimme wie in Deutschland, | |
die den Parteienanteil unter den Sitzen bestimmt, gibt es nicht – es finden | |
ausschließlich Direktwahlen statt. | |
Außerdem stehen Gouverneurswahlen in 36 Bundesstaaten und 3 Überseegebieten | |
an – sowie diverse Wahlen für Staatsparlamente, Stadträte und | |
bundesstaatliche und lokale Posten, von Sheriff bis Schulrat. | |
In 37 Bundesstaaten wird außerdem über insgesamt 132 Volksentscheide | |
abgestimmt. Im Ergebnis erhalten die Wähler*innen oftmals einen | |
gewaltigen Stoß an sehr langen Stimmzetteln. | |
Wie wird sich der nächste US-Kongress wohl zusammensetzen? | |
Geht es nach der Geschichte und Statistik, [1][werden die | |
Demokrat*innen ihre Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses | |
verlieren]. Seit 1934 wird bei den Zwischenwahlen zur Hälfte der ersten | |
Amtszeit eines Präsidenten immer die Partei abgestraft, die das Weiße Haus | |
kontrolliert. Im Durchschnitt verliert diese Partei 3 Sitze im Senat und 22 | |
Sitze im Repräsentantenhaus. Im Senat gibt es derzeit ein Patt von 50:50 – | |
nur die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris verschafft den | |
Demokrat*innen eine Mehrheit und dem Senator Chuck Schumer aus New York | |
den Posten des Senatschefs. | |
Gewinnen die Republikaner*innen also einen einzigen Sitz hinzu, geht | |
dieser Posten an Republikanerchef Mitch McConnell. Im Repräsentantenhaus | |
stehen derzeit 220 Demokrat*innen 212 Republikaner*innen | |
gegenüber (3 Abgeordnete sind kürzlich ausgeschieden). Es ist also mehr als | |
wahrscheinlich, dass zukünftig nicht mehr die Demokratin Nancy Pelosi, | |
sondern Minderheitsführer Kevin McCarthy die Rolle des Speaker of the House | |
einnehmen wird. | |
Worum genau geht 's im Senat? | |
Alle zwei Jahre wird ein Drittel der 100 Senator*innen für eine | |
Amtszeit von sechs Jahren neu gewählt, das sind eigentlich 33 und alle | |
sechs Jahre 34 Sitze – so ein Jahr ist 2022. Von diesen 34 Sitzen werden | |
derzeit 14 von Demokrat*innen und 20 von Republikaner*innen | |
gehalten. | |
Fünf Republikaner, deren Amtszeit ausläuft, kandidieren nicht noch einmal. | |
Hinzu kommt noch eine Extrasenatswahl in Oklahoma, wo der eigentlich noch | |
bis 2027 gewählte republikanische Amtsinhaber Jim Inhofe seinen Rückzug zum | |
Ende des 117. Kongresses erklärt hat. In einer Special Election wird ein | |
Nachfolger für die verbleibenden vier Jahre gewählt. Eigentlich wäre diese | |
Konstellation extrem günstig für die Demokrat*innen: In sechs | |
republikanisch gehaltenen Senatswahlen gibt es keinen Amtsinhaberbonus. | |
Doch trotz dieser Konstellation: Wer wird den Senat wirklich gewinnen? | |
Wahrscheinlich trotzdem die Republikaner*innen, die ja nur einen Sitz | |
dazugewinnen müssen. Während die Umfragen in keinem einzigen Bundesstaat | |
einen Zugewinn der Demokrat*innen erhoffen lassen, könnten diese in | |
Georgia, Arizona und vor allem Nevada verlieren, also bis zu 3 Sitze an die | |
Republikaner*innen abgeben. | |
Wann stehen die Ergebnisse fest? Bereits Mittwochfrüh? | |
Nicht unbedingt. Viele tausend US-Amerikaner*innen haben ihre Stimme | |
bereits per Briefwahl abgegeben – doch auch diese Stimmen dürfen in vielen | |
Bundesstaaten erst nach Schließung der Wahllokale gezählt werden. Zudem | |
zählen auch noch Stimmen, die Tage später eintreffen, sofern sie den | |
Poststempel des Wahltags tragen. | |
Die Auszählung kann also ein paar Tage lang dauern, wenn das Ergebnis | |
einigermaßen eng ist. Wenn die Senatsmehrheit allerdings am Ausgang der | |
Wahl in Georgia hängen sollte, dauert es noch länger: Laut Georgias | |
Wahlgesetz gibt es eine Stichwahl der beiden Bestplatzierten, wenn niemand | |
auf Anhieb über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erhält. Beide Kandidaten | |
– übrigens mit Herschel Walker als republikanischem Herausforderer des | |
demokratischen Amtsinhabers Raphael Warnock neben Florida eine von zwei | |
Senatswahlen mit Schwarzen Kandidaten auf beiden Seiten – liegen in den | |
Umfragen bei rund 47 Prozent. Die Stichwahl wäre am 6. Dezember. | |
Und wie verhält es sich im Repräsentantenhaus? | |
Es müsste ein Wunder geschehen, wenn die Republikaner*innen in der | |
Kammer keine klare Mehrheit erringen würden. Die Umfragen lassen Zugewinne | |
im Bereich zwischen 20 und 50 Sitzen vermuten. | |
Warum sind die Wahlen in den Bundesstaaten auf nationaler Ebene überhaupt | |
wichtig? | |
Gouverneure und Parlamente entscheiden über den Zuschnitt der Wahlkreise – | |
und dieses sogenannte Gerrymandering durch die Mehrheit bestimmt die | |
Chancen der Minderheitspartei, gemäß ihrem Stimmanteil Sitze gewinnen zu | |
können. Dazu kommt: In 27 Bundesstaaten werden auch die sogenannten | |
Secretary of State neu gewählt, die für die Durchführung der Wahlen im | |
Bundesstaat zuständig sind. | |
Diese Position ist im Zuge der Wahlen 2020 erst richtig ins Bewusstsein | |
gerückt, [2][als der abgewählte Donald Trump] alles versuchte, um Druck auf | |
die Secretaries of State auszuüben, die Ergebnisse zu seinen Gunsten zu | |
verändern. Auf republikanischer Seite kandidieren diesmal etliche, die | |
Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl öffentlich unterstützen. Was es für | |
die Sicherheit von Wahlen bedeutet, wenn solche Leute für deren | |
Durchführung zuständig sind, ist noch gar nicht abzusehen. | |
Ist auch bei den Gouverneurswahlen ein Erdrutsch zu erwarten? | |
Eher nicht. Zumal Gouverneurswahlen tatsächlich häufig von sehr regionalen | |
Themen und von den Persönlichkeiten der Kandidat*innen bestimmt sind. | |
So regiert etwa im eher progressiven Vermont seit 2016 der republikanische | |
Gouverneur Phil Scott, der seine Wiederwahl jetzt mit großer Mehrheit | |
gewinnen dürfte. | |
Bleibt das Thema Volksentscheide: Worum geht es dabei? | |
Thematisch steht eine Vielfalt von Themen zur Entscheidung an. In vier | |
Staaten geht es um das Recht auf Abtreibung: Während in Kalifornien, | |
Michigan und Vermont versucht wird, auf diesem Wege das Recht auf | |
Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaats zu verankern, soll in | |
Kentucky das Gegenteil aufgenommen werden: die explizite Formulierung, dass | |
es ein solches Recht nicht gibt. | |
In fünf weiteren Bundesstaaten steht die Legalisierung von Marihuana zu | |
Genusszwecken zur Entscheidung an – was bislang schon in 19 Bundesstaaten | |
erlaubt ist. | |
In fünf Staaten, nämlich Alabama, Louisiana, Oregon, Tennessee und Vermont, | |
steht eine Überarbeitung der Verfassung auf der Abstimmungsliste: In diesen | |
Staaten – und auch 15 anderen, die das aber derzeit offenbar nicht ändern | |
wollen – lässt der Verfassungstext bislang noch die Versklavung von | |
Menschen als Strafe oder zur Begleichung von Schulden zu. Angewandt wird | |
das freilich schon lange nicht mehr. | |
Wie verlief der Wahlkampf insgesamt? | |
Vor allem war er teuer. Nach Angaben der NGO [3][OpenSecrets] wurden für | |
alle Wahlkämpfe zusammen 16,7 Milliarden US-Dollar ausgegeben – ein neuer | |
Ausgabenrekord für Halbzeitwahlen. Der teuerste Wahlkampf war dabei mit | |
rund 343 Millionen US-Dollar die [4][Senatswahl in Pennsylvania], wo die | |
Demokrat*innen sich erhofften, nach dem Rückzug des republikanischen | |
Senators Pat Toomey den offenen Sitz erobern zu können, gefolgt von den | |
Senatswahlen in Georgia, wo 245 Millionen US-Dollar ausgegeben wurden. | |
Danach folgen die Senatswahlen in Arizona, Ohio, Wisconsin und Nevada. | |
An der Art der Wahlkampfführung hat sich nicht viel geändert: Sogenannte | |
negative ads, also Werbespots, die vor allem die Gegenseite schlecht | |
machen, stehen nach wie vor im Vordergrund. Bei den Demokrat*innen hieß | |
das: die Warnung vor den Republikaner*innen und ihrem Anschlag auf | |
Frauenrechte qua Abtreibungsverbot und ihrem ungeklärten Verhältnis zur | |
Demokratie und zur Integrität von Wahlen. | |
Umgekehrt beschworen die Republikaner*innen die Gefahr von offenen | |
Grenzen, ausbrechendem Sozialismus oder Kommunismus und machten die | |
Regierung Joe Bidens für Inflation und die Sorgen der Mittelschicht | |
verantwortlich. Begleitet von Auftritten des Ex-Präsidenten Donald Trump – | |
der sich mehr in den Wahlkampf eingemischt hatte als je ein nationaler | |
politischer Führer vor ihm –, waren der respektvolle Umgang mit | |
unterschiedlichen Meinungen und die sachorientierte Debatte eher die | |
Ausnahme. | |
8 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-den-Midterms-in-den-USA/!5890131 | |
[2] /Sturm-auf-das-Kapitol/!5888149 | |
[3] https://www.opensecrets.org/news/2022/11/total-cost-of-2022-state-and-feder… | |
[4] /Midterm-Wahlen-in-den-USA/!5889128 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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