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# taz.de -- Vor den Midterms in den USA: Zu zaghaft gegen Putschisten
> Die Demokraten haben der Radikalisierung der Republikaner in den letzten
> zwei Jahren wenig entgegengesetzt. Das könnte ihnen zum Verhängnis
> werden.
Bild: US-Amerikaner auf dem Weg zu einem Festival, das das Recht auf Waffenbesi…
Bis Dienstag können sie noch hoffen. Aber es würde an ein Wunder grenzen,
behielten die Demokraten ihre knappen Mehrheiten im Kongress. Die Anzeichen
für einen republikanischen Sieg mehren sich täglich, eine Zitterpartie wird
es sowieso.
Den Demokraten droht zusätzlich der Verlust von Gouverneursposten quer
durchs Land: von Washington bis Arizona, von Georgia bis New Hampshire.
Selbst im traditionell demokratischen New York hat Trump-Republikaner Lee
Zeldin gute Chancen.
Halbwegs sicher können sich die Demokraten nur dort fühlen, wo parallel
Referenden über das Abtreibungsrecht stattfinden. Beispielsweise in
Michigan, wo es auch um eine Verfassungsänderung für das individuelle Recht
auf [1][Schwangerschaftsabbruch] geht.
Die [2][sogenannten Midterms], die genau zwischen zwei
Präsidentschaftswahlen stattfinden, sind für die Bevölkerung Gelegenheit,
ihrem Unmut über die Präsidentenpartei Ausdruck zu verleihen. So ist Barack
Obama 2010 und 2014 abgestraft worden, damals verlor seine Partei erst das
Repräsentantenhaus, dann auch den Senat. In abgeschwächter Form erlebte das
auch Donald Trump: 2018 verloren die Republikaner das Repräsentantenhaus.
## Die „election deniers“ und ihre „big lie“
Doch die Republikaner, die sich am Dienstag um alle 435 Sitze im
Repräsentantenhaus, um die 35 frei werdenden Sitze im Senat, die 36 frei
werdenden Gouverneursposten sowie den Einzug in die Parlamente der
zahlreichen Bundesstaaten bewerben, sind anders als noch zu Zeiten Barack
Obamas. Sie haben Putschistenmentalität.
Sie haben gezeigt, dass sie im Fall von Niederlagen nicht willens sind,
sich an demokratische Regeln zu halten. Mehr als die Hälfte der
republikanischen Kandidaten, die am Dienstag für Ämter irgendwo in den USA
antreten, sind sogenannte „election deniers“. Sie sprechen Wahlen ihre
Verbindlichkeit ab, halten gar an der „big lie“ fest, der „großen Lüge�…
dem Wahlsieg Joe Bidens. Weiterhin propagieren sie, Trump sei der wahre
Gewinner.
Dabei war die Präsidentschaftswahl 2020 eine der am sorgfältigsten
beobachteten der US-Geschichte. Experten, Richter und Wahlhelfer
(demokratische wie republikanische, US-amerikanische wie ausländische)
haben ihre Rechtmäßigkeit bestätigt. Auch nach punktuellen Neuauszählungen
blieb der Sieger Joe Biden.
Aber die „deniers“ blieben dabei. Weil sie Trumps Unterstützung für ihre
Kandidaturen nur so bekommen, mögen es manche republikanischen Politiker
aus Opportunismus tun. Trotzdem hat die Lüge irreparablen Schaden
angerichtet: Sie hat zum gewaltsamen [3][Sturm auf das Kapitol vom 6.
Januar 2021] geführt und sie hat das Vertrauen der Wähler in Institutionen
der Demokratie ausgehöhlt.
Die anstehenden Midterms könnten schlimmer werden als die vergangene
Präsidentschaftswahl. Damals brauchte Trump Wochen, um seine Unterstützer
auf die „big lie“ einzuschwören, jetzt haben die „deniers“ zwei Jahre
Erfahrung.
## Anfechtungen und Wutausbrüche vorprogrammiert
Ihre Anwälte haben von ihren Anfechtungen vor Gericht und den
unausweichlichen Niederlagen gelernt. Und ihre Milizionäre, von denen
manche sich auf einen „kommenden Bürgerkrieg vorbereiten“, könnten in
manchen Bundesstaaten ihre Schusswaffen mit in die Wahllokale nehmen. Und
es wäre sogar erlaubt.
Am Dienstag werden in den Lokalen zahlreiche Neulinge erstmals als
Wahlhelfer arbeiten, nach den Präsidentschaftswahlen haben einige
alteingesessene Wahlhelfer ihren Dienst quittiert. Der Grund: Wütende
Trump-Anhänger haben ihnen teilweise noch Wochen nach der Wahl vor ihren
Wohnhäusern aufgelauert oder haben sie auf sozialen Netzwerken beschimpft.
Am dramatischsten könnten die Stunden und Tage nach Schließung der
Wahllokale werden. Das Wahlrecht ist in jedem Bundesstaat anders, an vielen
Orten darf erst nach Schließung der Wahllokale mit der Auszählung begonnen
werden.
Die ersten Wahlergebnisse des Abends werden vielerorts nur die am Wahltag
abgegebenen Stimmen erfassen. Weil die Republikaner ihre Anhänger dazu
auffordern, am Tag selbst wählen zu gehen, ist ein republikanischer
Vorsprung sehr wahrscheinlich. Dagegen wählen viele Demokraten seit der
Pandemie per Brief.
An Orten, wo sich das Wahlergebnis nach der Auswertung der Briefwahlstimmen
von republikanisch zu demokratisch ändert, sind Anfechtungen und
Wutausbrüche daher vorprogrammiert.
## Das Recht auf Abtreibung als einzigen Wahlkampfinhalt
Dass es so weit kommen konnte, Trump möglicherweise gar kurz vor einer
neuen Präsidentschaftskandidatur steht, obwohl ihm Betrug, Korruption und
die Entwendung von Geheimdokumenten vorgeworfen wird, hat sich lange
angebahnt.
Grund ist vor allem die Rückgratlosigkeit der Republikaner. Dem Machterhalt
zuliebe hat die Partei auf Trump gesetzt und ihm die Definition ihrer
Politik und ihrer Institutionen ausgeliefert.
Doch die regierenden Demokraten haben der Radikalisierung der anderen Seite
erstaunlich wenig entgegengesetzt. Nach zwei Jahren im Amt hat Präsident
Biden eine Bilanz, die besser ist als ihr Ruf: Dazu gehören
milliardenschwere Konjunkturprogramme, Preiskontrollen bei manchen
Medikamenten, zusätzliche Sozialleistungen für einkommensschwache Familien,
Beinahe-Vollbeschäftigung, Rentenanhebungen, eine verbesserte Klimapolitik
und diverse Änderungen im Waffenrecht.
Mit diesen Errungenschaften und weiteren konkreten Plänen in der Mache
hätten die Demokraten vielerorts punkten können. Doch als das Oberste
Gericht die Grundsatzentscheidung von 1973 strich, die Frauen in den USA
das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gewährt, sprangen sie auf das Thema,
als hätten sie sonst nichts zu bieten.
Ein paar Wochen lang schien dieses Kalkül aufzugehen. Die überwiegende
Mehrheit der demokratischen und mehr als ein Drittel der republikanischen
Wähler wollen nicht akzeptieren, dass Frauen in dieser Frage ihre
Selbstbestimmung genommen wird. Das Recht, über den eigenen Körper zu
entscheiden, ist ihnen wichtiger als die Angebote der Republikaner, mit
„Härte“ gegen Immigration und Verbrechen vorzugehen. Die Umfragewerte der
Demokraten stiegen. Doch gleichzeitig schnellten die Verbraucherpreise –
insbesondere für Lebensmittel, Mieten und Benzin – rasant in die Höhe. Die
Republikaner entdeckten die Zugkraft des Themas Inflation. Verantwortlich
dafür machten sie Biden, als wäre die Steigerung der Lebenshaltungskosten
ein isoliertes nationales Ereignis.
Die Inflation ist in den USA niedriger als in der EU. Und sie hängt mit dem
gleichen Spannungsfeld aus Krieg, Pandemie und Spekulation zusammen. Aber
für Millionen von Menschen in den USA, deren Löhne seit Jahren auf
niedrigem Niveau stagnieren, ist sie existenzbedrohend.
Dennoch blieben die Demokraten bei ihrem Ein-Punkt-Wahlkampf für das Recht
auf Abtreibung. Sie ignorierten Mahnungen vom linken und rechten
Parteiflügel. Und versuchten nicht, die Wähler bei ihren ökonomischen
Sorgen abzuholen und ihnen Erklärungen und Lösungen zu bieten. Auch bei
anderen Themen verhielten sie sich seltsam vorsichtig.
So brachten sie weder die Klimakrise noch die Außenpolitik in den Wahlkampf
ein. Und überließen die Aufarbeitung der Gewalt vom 6. Januar einem
Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses. Gleichzeitig schickten
sich republikanische Unterstützer der Gewalt an, die Abgeordnetensitze der
Ausschussmitglieder zu übernehmen.
Erst kurz vor Ende des Wahlkampfes ging Biden mit einer Rede zur
Verteidigung der Demokratie in die Gegenoffensive. Es könnte zu spät
gewesen sein. Putschisten lassen sich nicht mit Zaghaftigkeit bremsen.
6 Nov 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Abtreibung/!t5008434
[2] /Midterm-Wahlen-in-den-USA/!5889128
[3] /Anhoerung-zum-Sturm-auf-das-US-Kapitol/!5861766
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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