# taz.de -- Schmuck im Hip-Hop: Mehr als nur Bling-Bling | |
> Bis Schwarze Rapper*innen n der Schmuckwelt ernst genommen wurden, war | |
> es ein jahrzehntelanger Weg. Eine Doku und ein Bildband dokumentieren. | |
Bild: A$AP Rocky, 2018 in Los Angeles | |
Ein Junge im Superman-Kostüm springt aus dem Geschäft, er bäumt sich auf | |
und lacht. Seine großen goldenen Schneidezähne funkeln. Und während er | |
springt, rappt Nelly: „Rob the jewelry store and tell ’em make me grill / | |
uh uh / add the whole top diamond and the bottom rose gold.“ In den | |
folgenden Minuten leckt sich Nelly immer wieder genussvoll über seine | |
Zähne. Mal glitzern sie bläulich, glänzen weiß- oder gelbgold oder sind mit | |
Diamanten besetzt. Das Musikvideo zu „Grillz“, Nellys Nummer-1-Hit aus dem | |
Jahr 2005, ist ein Denkmal für das Zahnschmuckstück. Spätestens jetzt war | |
klar: Grillz waren im Mainstream angekommen. | |
Die Geschichte des Schmucks, der über den Zähnen getragen wird und nicht | |
selten fünfstellige Summen kostet, reicht dabei Jahrtausende zurück und ist | |
in verschiedenen Kulturen zu finden: Schon etruskische Frauen sollen ihn | |
800 v. C. getragen haben, ebenso die Mayas. Grillz wie wir sie heute | |
kennen, sind in den frühen 1980ern durch New Yorker Rapper wie Slick Rick | |
oder Flavor Flav bekannt geworden. Ab den Nullerjahren trugen sie dann | |
alle: die Dirty-South-Rapper, aber auch Madonna und Kim Kardashian. In | |
verschiedenen US-Staaten wurden sie sogar in Schulen verboten – angeblich | |
aus gesundheitlichen Gründen. In der Außenwahrnehmung sind Grillz zu dem | |
Schmuckstück der Hip-Hop-Kultur geworden. Die Geschichte des Bling ist aber | |
deutlich vielfältiger. Diese Vielfältigkeit hat wenig Beachtung und | |
Wertschätzung gefunden – bis jetzt. | |
Die Doku [1][„Ice Cold: The Untold Story of Hip Hop Jewelry“] stellt | |
Kollektionen verschiedener Rapper vor, lässt Juweliere und andere | |
Expert*innen zu Wort kommen. Der Vierteiler von Karam Grill lief 2021 | |
bei den Tribeca-Filmfestspielen. Die Erzählung beginnt in den 80er Jahren. | |
Eine Zeit, in der Rapper noch nicht in Villen wohnten und Stadien füllten, | |
sondern Rap hauptsächlich Musik von der Straße war. Viele Lyrics waren | |
geprägt von Themen rund um Armut und Traumata. Hatte es ein Rapper in dem | |
damals von Schwarzen Männern dominierten Musikgenre geschafft, ging es in | |
der Regel schnell zum Juwelier: Der Erfolg sollte für alle sichtbar sein – | |
und das Mittel dafür war Schmuck. Also auffällige und luxuriöse | |
Statussymbole. | |
Rapper schmückten sich zu Beginn vor allem mit großen goldenen Ketten, die | |
gar nicht protzig genug sein konnten, und Ringen, die gleich mehrere Finger | |
umschlossen. „When you’re wearing big diamonds, it’s like a big fuck you … | |
everybody“, fasst der Rapper Lil Yachty es zusammen – wenn du große | |
Diamanten trägst, ist das wie ein fettes „fuck you“ an alle. In der Doku | |
zeigen Rapper wie Migos, A$AP Rocky oder French Montana ihre Kollektionen. | |
Ein Arm mit Uhr, Ring und Armband kann dann mal mehrere Millionen wert | |
sein. | |
Statt Anerkennung brachte den Rappern das vielerorts Verachtung ein: | |
Schwarze US-Amerikaner*innen, die Diamantenketten und Rolex trugen, galten | |
in der Mehrheitsgesellschaft als verantwortungslos und verschwenderisch. | |
Imani Perry, Professorin für African American Studies von der Princeton | |
University, die neben Rap-Journalisten als Expertin in der Doku zu Wort | |
kommt, bringt diesen Doppelstandard auf den Punkt: „Look, Slick Rick and | |
Elizabeth Taylor were doing the same thing with just slightly different | |
aesthetics to it.“ Der Rapper Slick Rick und die glamouröse Schauspielerin | |
Elizabeth Taylor hätten mit ihrer Zurschaustellung auffälliger | |
Schmuckstücke also im Prinzip dasselbe getan. Eben nur mit einer leicht | |
unterschiedlichen Ästhetik. | |
Bis Schwarze Rapper*innen und ihre Ästhetik in der Schmuckwelt ernst | |
genommen wurden, war es ein jahrzehntelanger Weg. Ende des 20. Jahrhunderts | |
mussten die Musiker*innen noch die Labels der Schmuckunternehmen in | |
ihren Musikvideos retouchieren. Mit Rap wollten die großen Firmen nichts zu | |
tun haben. Heute reißen sich große Marken um Rapper: 2018 wurde A$AP Ferg | |
als erster Rapper Brand-Ambassador von Tiffany. Er beschreibt es als | |
Durchbruch. Im selben Jahr startete Frank Ocean seine Luxusschmuckmarke | |
Homer, die vor Kurzem eine gemeinsame Kollektion mit Prada auf den Markt | |
brachte. Die Zeiten haben sich also geändert. Für viele Rapper, die in der | |
Doku zu Wort kommen, ein Zeichen dafür, es geschafft zu haben. | |
Das Narrativ vom Schmuck als Selbstermächtigungs-Tool zieht sich auch | |
durch den [2][Bildband „Ice Cold: A Hip-Hop Jewelry History“], der kürzlich | |
im Taschen Verlag erschienen ist. Die Journalistin Vikki Tobak hat sich von | |
der Doku inspirieren lassen und dokumentiert auf knapp 400 Seiten | |
chronologisch den Schmuck in der Rap-Szene. Tobak selbst beobachtet die | |
Szene schon lange: Erst als Türsteherin im Nachtclub „Nell’s“ in Manhatt… | |
wo The Notorious B.I.G ein Musikvideo drehte, später im Marketing beim | |
Hip-Hop-Label Payday Records, dann als Journalistin. | |
Gut vier Jahrzehnte Rap- und Schmuckgeschichte, festgehalten von | |
zeitgenössischen Fotograf*innen wie Wolfgang Tillmans, Janette Beckman | |
oder Timothy White, haben eine Vielzahl von Trends hervorgebracht. | |
Christliche und muslimische Symboliken in Form von Jesusketten, Monden und | |
Dornenkronen tauchen genauso auf wie „Simpsons“-Figuren und Fidget Spinner. | |
Auch wenn die Hip-Hop-Szene noch immer männlich dominiert ist, wird durch | |
den Band sichtbar, wie sie mit Stars wie Missy Elliot, Beyoncé und Cardi B | |
über die Jahre immer weiblicher wurde. Und damit veränderte sich auch die | |
Schmuckwelt. Ein mittlerweile ikonisches Stück ist beispielsweise die Kette | |
von Megan Thee Stallion: Mit einem „Hot Girl-“Anhänger aus hochkarätigem | |
Gold und Diamanten an einer Flammenkette setzte sie ihrem Catchphrase ein | |
glitzerndes Denkmal. | |
Neben ganzseitigen Fotografien der ganz großen Stars wird es in dem Buch | |
durch begleitende Essays von Vikki Tobak und Rappern wie Slick Rick und | |
A$AP Ferg auch immer wieder politisch. Schließlich sind die Rapper längst | |
nicht mehr nur Träger, sondern auch Werbegesichter und Schöpfer des | |
Schmucks. Doch die politische Auseinandersetzung kratzt nur an der | |
Oberfläche. Wie schmutzig die wachsende Schmuckwelt, und gerade die | |
Diamantenbranche ist, wird in dem Band nicht klar. Was die | |
Selbstermächtigung des einen ist, kann die Unterdrückung der anderen | |
sein: Durch den Abbau von Diamanten werden Lebensräume zerstört, Menschen | |
ausgebeutet und Ressourcen verschwendet. Laut ei[3][nem Bericht von Humans | |
Rights Watch] aus dem Jahr 2020 gibt es kaum eine*n Schmuckhändler*in, die | |
sagen kann, dass es bei der Herstellung seiner oder ihrer Waren nicht zu | |
Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. | |
Diese Debatte findet im Hip-Hop bislang nur bedingt Platz. Künstler wie | |
Frank Ocean versuchen, alternative Herstellungsmethoden zu nutzen, sein | |
Label setzt auf Grown Lab Diamanten. Die nachhaltige Lösung wird auch das | |
nicht sein. Die zu finden, ist natürlich nicht Aufgabe des Hip-Hops allein. | |
Doch in dem Wechselspiel zwischen dem Genre und der Schmuckwelt wird die | |
Gleichzeitigkeit zwischen Protestkultur und Kapitalismusverehrung, die im | |
Rap stattfindet, wieder einmal deutlich. Rap [4][bietet Raum für | |
Aufstiegsgeschichten], doch er fetischisiert diese Geschichten auch – mit | |
Rolexuhren am Arm und Goldkronen auf dem Kopf wird das (ironisch) auf die | |
Spitze getrieben. Die Frage, ob der ganze Schmuck eigentlich echt ist, wird | |
weder in der Doku noch im Bildband gestellt. Vielleicht spielt es aber auch | |
einfach keine Rolle. Hauptsache, es blingt und glänzt. | |
2 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=4sqSbmP18fQ | |
[2] https://www.taschen.com/pages/de/catalogue/photography/all/05365/facts.ice_… | |
[3] https://www.hrw.org/news/2020/11/24/jewelry-companies-sourcing-improves-fal… | |
[4] /Soziologe-ueber-Gangstarap/!5765267 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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