| # taz.de -- Arte-Serie „Die Welt von morgen“: Gestern wie heute | |
| > „Die Welt von morgen“ rekonstruiert die Geschichte des französischen | |
| > HipHop. Detailverliebt erinnert die Serie an seine politischen Wurzeln. | |
| Bild: Bruno (Anthony Bajon) und Didier (Melvin Boomer) | |
| Zeit vergeht, vieles ändert sich, anderes bleibt dem Prinzip nach gleich. | |
| Zum Beispiel muss sich [1][HipHop] heute nicht mehr beweisen, wie er sich | |
| nach dem Überschwappen aus den USA auf dem europäischen Kontinent der | |
| 1980er Jahre beweisen musste. Auch in Frankreich war er kein Selbstläufer. | |
| Das zeigt die sechsteilige Arte-Serie [2][„Die Welt von morgen“]. Heute | |
| aber würde kein Mensch mehr fragen: „Ist HipHop cool?“, wie Béatrice (Léo | |
| Chalié) Daniel (Andranic Manet) bei einer Zigarette vor dem Kiosk ihres | |
| Vaters fragt, wo sie arbeitet und wo sich die beiden kennengelernt haben. | |
| Daniel nennt sich DJ Dee Nasty, hat gerade bei einer USA-Reise Einblick in | |
| die sich dort seit den 1970ern entfaltende HipHop-Kultur erhalten und | |
| antwortet: „Ist galaktisch, supergut, echt, das musst du dir anhören!“ Man | |
| müsse die Bewegung jetzt auch in Frankreich aufbauen. Béatrice und Daniel | |
| lachen und fangen an, Partys in Hinterhöfen im Pariser Quartier de la | |
| Chapelle zu organisieren – ähnlich wie die Block-Partys in der New Yorker | |
| Bronx, auf denen Soul und Funk lief. Die Veranstaltungen bewerben sie mit | |
| Flyern, die sie in die Hüllen von Schallplatten stecken. | |
| Dee Nasty gehört zu den Pionieren des französischen HipHops. Diesen | |
| wesentlich geprägt hat auch die Gruppe NTM, deren Namen man auch als „le | |
| nord transmet le message“ (Der Norden übermittelt die Botschaft) lesen kann | |
| – was auf die Herkunft von Kool Shen (bürgerlich Bruno Lopes, gespielt von | |
| Anthony Bajon) und JoeyStaar (bürgerlich Didier Morville, gespielt von | |
| Melvin Boomer) zurückgeht, die Saint-Denis in der nördlichen Pariser | |
| Banlieue stammen. Sie geben der Serie ihren Titel, womit wir bei den Dingen | |
| wären, die sich zwar graduell verändert haben mögen, aber prinzipiell | |
| gleich geblieben sind: In der Single „Le Monde de demain“ aus dem Jahr 1990 | |
| kritisiert NTM die Auswüchse der Klassengesellschaft, den aus ihr | |
| resultierenden sozialen und räumlichen Ausschluss und die Gewalt. Trotzdem | |
| heißt es darin: „Die Welt von morgen gehört uns, egal, was passiert.“ | |
| ## Unangenehm zeitgemäß | |
| „Die Welt von morgen“ erzählt davon, wie manche mit der HipHop-Kultur einen | |
| Weg gefunden haben, nicht nur auf Ungerechtigkeit zu reagieren, sondern | |
| auch etwas Neues, Eigenes zu erschaffen – und so trotz allem einfach auch | |
| eine gute Zeit zu haben. Die Serie erinnert daran, wie vielfältig sich | |
| diese Kultur ausgedrückt hat, was heute, viele Jahre nach der | |
| Popularisierung, nicht mehr so gegenwärtig ist: weil das Wort HipHop oft | |
| synonym zu [3][Rap] verwendet wird, [4][Graffiti] und Breakdance | |
| ausgeklammert. | |
| Dabei führen die Wege von Kool Shen und JoeyStaar erst vom Breakdance auf | |
| Linoleum im Park über das nächtliche Sprühen zum Rap. Dafür entscheidet | |
| sich Bruno gegen die Fußballerkarriere, auf die seine Familie nicht zuletzt | |
| aus finanziellen Gründen hofft. Das Angebot eines Fußballinternats in Lens | |
| lehnt er ab. Für Didier ist HipHop erst Zuflucht vor der Gewalt seines | |
| Vaters, dann die Zuflucht vor dem stumpfen Militärdienst, bei dem er | |
| rassistisch beschimpft wird, aber unter der französischen Flagge die | |
| Nationalhymne singen muss. | |
| Sehenswert ist diese Serie auch, weil die Macher:innen viel Liebe ins | |
| Detail gesteckt haben. Um möglich nah an den Jahren 1983 bis 1991 zu | |
| erzählen, haben Katell Quillévéré und Hélier Cisterne ein Archiv aus | |
| Bildmaterial, O-Tönen, Details zu den Figuren und historischen | |
| Dekorelementen angelegt. Sie haben Gespräche mit den Originalprotagonisten | |
| geführt, diese mitwirken lassen. Die Vokuhilas, Schnurrbärte und | |
| Trainingsanzüge schicken einen dann auch auf eine wohlige Zeitreise. | |
| Das Gesellschaftliche wirkt dagegen oft unangenehm zeitgemäß, etwa wenn der | |
| rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen aus dem Fernseher von Brunos | |
| Eltern über Migration spricht. | |
| „Die Fragen, die sich der heutigen Jugend stellen, sind immer noch | |
| dieselben, nur dringlicher. Wir wollen vermitteln, dass es nicht unbedingt | |
| darauf ankommt, sofort zu wissen, was man will, sondern nach und nach zu | |
| verstehen, was man ablehnt, welche Welt man nicht will“, sagt Regisseur | |
| Cisterne über die Aktualität der Serie. | |
| 24 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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