Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Machtwechsel in Burkina Faso: Afrikas Che Guevara dringend gesucht
> Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder der Welt. Der jüngste
> Staatsstreich brachte Ibrahim Traoré an die Macht. Er gilt als ein
> Hoffnungsträger.
Bild: Flaggenparade am 35. Todestag von Thomas Sankara
Die russischen Fahnen sind aus den Straßen von Ouagadougou, Hauptstadt von
Burkina Faso, verschwunden. Vor vier Wochen sorgten sie in Europa für viel
Kritik. Vor allem junge Männer hielten bei Demonstrationen die Flaggen in
Weiß, Blau und Rot hoch und schrien laut „Russie, Russie, Russie“. Die
Proteste begleiteten die Absetzung von Paul-Henri Damiba, dem Präsidenten,
der erst Ende Januar seinerseits durch einen Putsch an die Macht gekommen
war. Nachfolger wurde ein Hauptmann mit dem Namen [1][Ibrahim Traoré].
In der zweieinhalb Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Ouagadougou hat
sich eine Wut auf Frankreich, die einstige Kolonialmacht, angestaut. Noch
nie zuvor seit Burkina Fasos Unabhängigkeit vor 52 Jahren brannten dort vor
der französischen Botschaft Autoreifen. Nie zuvor waren die Kulturinstitute
angegriffen worden. Dabei sind auch Arbeiten burkinischer Künstler*innen
zerstört worden. In absehbarer Zeit wird keine der Einrichtungen wieder
öffnen.
Über die Avenue de Burkina rollt der Verkehr wie immer. Den Alltag hat der
zehnte Staatsstreich in der Geschichte des Landes kaum verändert. Entlang
der vierspurigen Straße liegen Ministerien, der staatliche Rundfunk und die
Gedenkstätte für [2][Thomas Sankara], der in den 1980er Jahren bis zu
seiner Ermordung 1987 Präsident war und als Che Guevara Afrikas verehrt
wird. Händler verkaufen Bücher, alte Fotos und T-Shirt mit Sankaras
Konterfei. Eine Frau hat Kühlboxen und einen Holztisch aufgestellt. „Kauft
Energie Sankara“ brüllt es aus einem Lautsprecher. Sankara taugt nicht nur
zum Nationalhelden. Er ist auch zum populären Werbeträger geworden.
Nestor Poodassé hat das Denkmal als Treffpunkt vorgeschlagen. Er engagiert
sich bei der Organisation „Planet der jungen Panafrikanist*innen“ (PJP). Zu
den Zielen der Organisation gehört es, das „koloniale Geld“ loszuwerden –
der Wechselkurs des [3][Franc CFA], der Währung acht westafrikanischer
Staaten, war an den französischen Franc und ist heute an den Euro
gekoppelt. Poodassé will die lokale Produktion stärken und ausländische
Militärbasen auf dem ganzen Kontinent verbieten. „Sie greifen unsere
Souveränität an“, sagt er.
Vom Denkmal aus ist Poodassé in ein kleines Café ganz in der Nähe gegangen.
Große alte Laubbäume dämmen den Lärm der Straße ein. Um ihn herum sitzen
auf weißen Plastikstühlen ein paar Freunde, die genauso denken wie er. Sie
stellen sich als junge Aktivisten im Kampf gegen den Neokolonialismus vor.
Sie nicken Poodassé gerne zu und sagen dann halblaut: „Frankreich muss
gehen.“
Dabei müssen sie ausgerechnet Französisch sprechen, ist es doch die einzige
Sprache, die die jungen Männer miteinander teilen. Lieber wäre es ihnen,
wenn eine der 68 im Land heimischen Sprachen das verbindende Element wäre.
„Französisch soll verschwinden“, sagt Poodassé, der immer lauter wird.
Die Kritik an Frankreich ist überall zu hören, mal so deutlich wie bei
jungen Aktivist*innen im Café, mal differenzierter und leiser wie bei
jenen, die vor Jahrzehnten in Frankreich studiert haben. So richtig
begonnen hat der Protest vor einem Jahr, als gut einhundert Kilometer
nördlich von Ouagadougou Demonstrant*innen französische Militärs
blockierten. Der Konvoi war nach Niger und Mali unterwegs, wo die
mittlerweile beendete Antiterrormission Barkhane damals ihre Basis hatte.
Auch in Burkina Faso gilt das Vorhaben als gescheitert, haben sich doch die
dem IS und al-Qaida nahe stehenden Terrorgruppen längst über die Grenzen
hinweg ausgebreitet. Infolge lokaler Verbündeter der Islamisten sowie
krimineller Banden kontrolliert der Staat in Burkina Faso heute nur noch 60
Prozent des Landes. Diese Macht wird zum Teil von Milizen wie den Koglweogo
ausgeübt. Sie entscheiden selbst, wie sie mit mutmaßlichen Täter*innen
umgehen, und verüben Selbstjustiz.
## Auf Traoré ruhen viele Hoffnungen
Auf Ibrahim Traoré, der im Oktober zum neuen Übergangspräsidenten ernannt
wurde, richten sich nun die Hoffnungen. Nach dem Abitur hatte er Geologie
studiert und gehörte einer Vereinigung muslimischer Studierender an. 2010
trat er in die Armee ein und war bis zum Putsch Kommandeur eines
Artillerieregiments. Ausgerechnet sein heute geschasster Vorgänger Damiba
hatte ihn erst im März befördert. Bei seinen Auftritten zeigt sich Traoré
gerne mit einer Maske in Beige, die er über den Mund zieht, wenn nicht
redet.
Traorés Familie stammt wie Nestor Poodassé aus Bobo-Dioulasso, der
zweitgrößten Stadt von Burkina Faso. „Seine Mutter verkauft dort Früchte
und Gemüse. Wir haben manchmal bei ihr eingekauft“, sagt Poodassé. Dass der
34-Jährige nur eine Marionette älterer Militärs ist, davon gehen viele
Menschen nicht mehr aus. Traoré wird als intelligent und zielstrebig
beschrieben, als jemand, der sich nicht mit Nebensächlichkeiten abgibt,
sondern handelt.
Zusammen mit seinem Namen fällt in fast jedem Gespräch ein zweiter: Djibo.
Die Stadt im Nordwesten des Landes war jahrzehntelang ein bedeutender
Handelsplatz für Vieh und Getreide. Beginnend vor zehn Jahren, nahm Djibo
Tausende Menschen aus Mali auf, die meisten von ihnen Tuareg, die vor den
Dschihadisten geflohen waren. Reisen nach Djibo stießen zunehmend auf
Schwierigkeiten.
Terroristen aus Mali infiltrierten die Region, und Malam Ibrahim Dicko
gründete mit [4][Ansarul Islam] die erste einheimische Terrortruppe. In den
vergangenen Monaten war Djibo zunehmend vom Rest des Landes abgeschnitten.
Bei einem Anschlag auf einen Konvoi starben Anfang September mindestens 35
Menschen. Das Attentat gilt als einer der Auslöser für den Staatsstreich
vom 30. September.
„Traoré ist es gelungen, Nahrungsmittel nach Djibo zu bringen. Warum haben
das seine Vorgänger nicht gemacht?“, ist oft zu hören. Anfang Oktober sagte
das Verteidigungsministerium zu, dass 70 Tonnen Lebensmittel per
Hubschrauber nach Djibo gebracht wurden. Das ist nicht nur für die
Bewohner*innen der belagerten Stadt eine deutliche Botschaft. Auch in
der Hauptstadt finden viele, dass der neue Präsident Traoré es ernst meine
und schnell agiere. „In diesem Land muss sich zügig etwas ändern. Alles ist
im Ausnahmezustand“, lautete eine seiner im Fernsehen ausgestrahlten
Botschaften.
## Der Wunsch nach einem Helden
Der Wunsch, dass Burkina Faso endlich wieder einen großen Helden hat, ist
weit verbreitet. Einen wie Sankara, den sozialistischen Revolutionär von
einst, der die Schuldenrückzahlung aus Afrika an den Westen ablehnte und
mit seiner Gesundheits- und Frauenpolitik das Land umkrempelte. Die
Hoffnung lautet, dass Ibrahim Traoré zu solch einer Figur heranwachsen
könnte. Was sie verbindet? „Sie sind beide im Alter von 34 Jahren an die
Macht gekommen“, sagt Alain Siasso, Forschungsdirektor der Nationalen
Akademie der Wissenschaften, Künste und Literatur in Ouagadougou. Traoré
ist aktuell das jüngste Staatsoberhaupt weltweit.
Doch da enden die Ähnlichkeiten auch schon. Zwar hat auch Traoré der
Korruption den Kampf angesagt und die Behörden dazu aufgefordert, ihre
Arbeit zügiger zu erledigen und keinesfalls zusätzliches Geld zu verlangen.
„Dieses Mal hat aber die Sicherheitslage zu dem Staatsstreich geführt“,
sagt Siasso.
Sankaras Machtübernahme im Jahr 1983 war dagegen ideologisch motiviert. Er
war bekennender Panafrikanist, kritisierte Afrikas Abhängigkeit von Europa
und kündigte an, dass Burkina Faso künftig selbst entscheiden werden,
welchen Weg es einschlage. Traoré hat dagegen eine klar definierte Aufgabe:
Er muss dem Land die Sicherheit zurückbringen. Debatten um die mögliche
künftige Gestaltung haben aktuell keinen Platz.
## Was hilft Demokratie ohne Sicherheit?
Auf die hellbraunen Wände ist der Slogan der bekanntesten
zivilgesellschaftlichen Organisation Westafrika gemalt: „Unsere Zahl ist
unsere Stärke“; dazu ihr Logo, eine in die Luft gereckte Faust mit Burkina
Fasos Nationalflagge am Handgelenk sowie einem angedeuteten Besen. Wir
befinden uns im Büro der [5][Balai Citoyen], der Bürgerbesen. Vor genau
acht Jahren war den Mitgliedern und Tausenden Sympathisant*innen das
scheinbar Unmögliche gelungen: Nach wochenlangen Protesten musste
Langzeitherrscher Blaise Compaoré, der am Tod seines Vorgängers Sankara
beteiligt war, zurücktreten.
Die Jugendorganisation wollte endlich Demokratie und freie Wahlen
erreichen, aber keinesfalls eine Reihe neuer Staatsstreiche auslösen.
Nationalkoordinator Zinaba Rasmane sagt aber: „Was möchte man? In einem
demokratischen Land leben, in dem die Sicherheitslage unerträglich ist? Zur
Akzeptanz von Demokratie gehört auch gute Regierungsführung.“
Burkina Faso entwickelte sich zwar zu einer Demokratie, mit einer
Präsidentschaftswahl und der Wiederwahl von Roch Marc Christian Kaboré im
Jahr 2020. „Doch die Sicherheitslage hat sich enorm verschlechtert“, sagt
Rasmane. Und rein militärisch ließ sich das Problem nicht lösen.
Bettelnde Frauen, ihre Babys und Kleinkinder auf den Rücken gebunden,
stehen an den Ampeln im Zentrum von Ouagadougou. Es sind Binnenflüchtlinge,
die meist aus dem Norden kommen und sich auch in Provinzhauptstädten wie
Ouahigouya nicht mehr sicher fühlen. Zwei Millionen Menschen sind in
Burkina Faso auf der Flucht.
Armut und Perspektivlosigkeit sind jedoch nicht nur ein Ergebnis der
Sicherheitskrise. Burkina Faso belegt stets einen der allerletzten Plätze
auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen, aktuell steht das Land
auf der Nummer 182 von insgesamt 189. 70 bis 80 Prozent der über 20
Millionen Einwohner*innen leben von der Subsistenzlandwirtschaft.
Bevölkerungswachstum und die immer schlechteren landwirtschaftlichen
Anbaumöglichkeiten aufgrund von Vertreibung und Klimawandel verschärfen die
Krise.
## Das erste Essen des Tages erst am Mittag
Awa Simporé ist nicht geflüchtet. Die 45-Jährige lebt am Stadtrand von
Ouagadougou. Es ist kurz vor Mittag, und sie kocht auf einem kleinen
Holzofen Reis. Es ist die erste Mahlzeit des Tages, sagt die Mutter von
neun Kindern. Fünf davon leben mit ihr in dem winzigen Haus. Eines von
ihnen hat mit Kreide eine Grimasse an die Hauswand gemalt. Als
Fortbewegungsmittel besitzt die Familie ein Fahrrad. Wasser muss Awa
Simporé in großen, gelben Kanistern holen.
Sie deutet mit dem Kopf nach rechts. Zum Glück gibt es gleich nebenan einen
Brunnen, der ihr mühsame Wege erspart. Immer wieder kommen Frauen vorbei,
die die schweren Kanister auf ihren Fahrrädern balancieren.
„Das Leben ist sehr anstrengend“, sagt die schmächtige Frau. Häufig wisse
sie nicht, wie sie überhaupt genügend Essen für die Familie finden soll.
Eine Zukunft für die Kinder? Sie deutet auf den kleinen Holzstand gegenüber
dem Haus, auf dem sie Seife, Tomaten und gebrauchte Kanister verkauft. In
der Woche bringt ihr das umgerechnet zwischen 15 und 30 Euro ein.
Für die Staatsstreiche interessiert sich Awa Simporé nicht und auch nicht,
wie derjenige heißt, der gerade an der Macht ist und ob er gewählt wurde
oder aus den Reihen des Militärs kommt. Sie zieht die Mundwinkel nach unten
und schüttelt abfällig ihren Kopf. „Das Einzige, was mich interessiert, ist
jemanden zu haben, der sich endlich um das Land kümmert und die sozialen
Probleme bekämpft.“
1 Nov 2022
## LINKS
[1] /Putsch-in-Burkina-Faso/!5885073
[2] /Historischer-Prozess-in-Burkina-Faso/!5807621
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/CFA-Franc-Zone
[4] https://ecfr.eu/special/sahel_mapping/ansarul_islam
[5] https://lebalaicitoyen.fr/
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Burkina Faso
Afrika
Burkina Faso
Burkina Faso
Burkina Faso
Burkina Faso
Burkina Faso
Burkina Faso
Sahel
Mali
Burkina Faso
Burkina Faso
Burkina Faso
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutscher Ministerbesuch in Burkina Faso: Russland nicht das Feld überlassen
Entwicklungsministerin Schulze besucht als erstes EU-Regierungsmitglied
seit den Militärputschen Burkina Faso. Sie reist gemeinsam mit der
Weltbank.
Wegen dschihadistischer Angriffe: Burkina Faso erklärt Mobilmachung
Die Militärjunta verhängt den Ausnahmezustand und schränkt die Bürgerrechte
ein. Ziel ist der Kampf gegen dschihadistische Angriffe.
Burkina Faso verlangt Abzug: Frankreichs Militärs sollen gehen
Die Militärregierung in Ouagadougou kündigt das Verteidigungsabkommen mit
Paris. Russland und Iran stehen als neue Partner bereit.
Burkina Faso: Mindestens 50 Frauen entführt
Sicherheitskräfte in Burkina Faso haben eine großangelegte Suche
eingeleitet: 50 Frauen sollen von mutmaßlichen Dschihadisten entführt
worden sein.
Militärjunta in Burkina Faso: Neuer Ärger für Paris in Afrika
Burkina Faso fordert Frankreich zum Abzug seines Botschafters auf. Wie in
Mali sucht auch in Burkina das herrschende Militär offenbar Nähe zu
Russland.
Handelsbeschränkungen für Burkina Faso: Zollfreier Zugang gesperrt
Die US-Regierung hat Burkina Faso aus dem Wirtschaftsabkommen AGOA
ausgeschlossen. Washington reagiert damit auf die politischen Unruhen.
Flucht in der Region Sahel: Kein Ende des Terrors in Sicht
Für die zwei Millionen Vertriebenen in Burkina Faso ist humanitäre Hilfe
rar. 40 Prozent des Landes werden nicht mehr vom Staat kontrolliert.
UN-Mission in Mali: UN-Truppensteller geben auf
Großbritannien und die Elfenbeinküste ziehen sich aus der UN-Mission
zurück. Die Elfenbeinküste ist mit 857 Soldaten eine der größten
Truppensteller.
Staatsstreich in Burkina Faso: Von einem Putsch zum nächsten
In Burkina Faso gab es erneut einen Staatsstreich. Welche Rolle spielt
Russland? Und sollte sich die Bundeswehr nun aus der Region zurückziehen?
Neuer Militärmachthaber in Burkina Faso: Schon wieder ein Putsch
Zum zweiten Mal in diesem Jahr erlebt Burkina Faso einen militärischen
Staatsstreich. Dessen Befürworter treten prorussisch auf.
Erneuter Staatsstreich in Burkina Faso?: Angst vor einem neuen Putsch
Nachdem am Freitagmorgen in der Hauptstadt Ouagadougou Schüsse gefallen
sind, bleibt die Lage weiter unklar. Der Präsident ruft zur Ruhe auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.