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# taz.de -- Sichtbarkeit queerer Personen: Mehr Perlenketten für alle
> Atay Küçükler, ein junger Journalist, berichtete in einer
> Instagram-Liveschalte über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Das
> gefiel vielen nicht.
Bild: Gibt`s ja auch überall zu kaufen: hübsche Perlenketten
Als mittelalte weiße Frau kriege ich viele Dinge nicht mehr so richtig mit
oder muss sie mir von meinen Söhnen erklären lassen. Als Trendsetterin oder
Speerspitze der Bewegung habe ich mich lange nicht mehr gefühlt, vielleicht
noch nie, wenn ich es recht bedenke. Eigentlich hatte ich immer ein
seltsames Talent, „late to the party“ zu sein. Deshalb hat mich die
Geschichte um Atay Küçükler ein bisschen verwirrt.
Zur Vorgeschichte: Atay Küçükler ist ein junger Journalist und aktuell
Trainee bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Als solcher sollte
er für eine Instagram-Liveschalte von der Landtagswahl berichten.
Weil er dabei zum weißen Shirt und dunklen Sakko/Blazer eine Perlenkette
und Ringe trug, beschäftigten sich einige Kommentare prompt nicht mehr mit
dem Inhalt der Schalte, sondern nur noch mit seinem Aussehen, was er
wiederum [1][auf Social Media] und [2][in einem Interview im Onlinemedium
„Übermedien]“ thematisierte. Mittlerweile lassen sich in den
Kommentarspalten nur noch zustimmende, ermunternde, schulterklopfende
Kommentare finden.
Was ich daran bemerkenswert finde: Ich hätte Küçüklers Auftritt bei der HAZ
als Zeichen der Normalisierung gewertet. Zumindest ist es in meinem (kaum
hipsterigen) Umfeld nun schon seit ein paar Jahren so, dass queere Personen
sichtbarer werden – erst medial, dann auf der Arbeit, in der Kneipe, in
Kitas und Schulen, überall.
Wenn nun einer bei einem biederen Regionalzeitungsverlag auftritt, in einem
spießigen Jurastudent*innen-Outfit bei einem Anlass wie der Landtagswahl –
dann ist das Thema doch eigentlich durch, oder? Ist es aber offenbar nicht.
Schon gar nicht, wenn man nicht nur die ätzenden Kommentare, sondern auch
[3][die gewaltsamen Übergriffe der letzten Zeit anguckt.] Ich verstehe es
nur nicht. Was genau triggert eigentlich diesen Ekel, diese Wut und diesen
Hass?
Natürlich erinnere ich mich an die Irritation, die das auslöst, wenn einem
jemand gegenüber sitzt oder steht, der oder die sich den üblichen
Schubladen von weiblich oder männlich entzieht. An die Frustration und den
Ärger, wenn man sich – trotz bester Vorsätze – mal wieder in alten
sprachlichen Gewohnheiten verheddert hat und sich denkt „Scheiße, muss das
denn so anstrengend und kompliziert sein?“.
Ich habe auch manchmal ein Problem mit dem tussihaften Bild von
Weiblichkeit, das manche trans* Frauen zelebrieren. Aber ich habe eben auch
gelernt, dass sich vieles davon erst noch zurechtruckeln muss, Teil eines
Identitätsfindungsprozesses ist, der sehr viel anstrengender ist als die
Suche nach dem richtigen Pronomen. Am Ende ist der Deal für mich
vergleichsweise simpel: Als Feministin bin ich einfach wild entschlossen,
alles zu begrüßen, was uns von diesem zementierten Rollenbilderquark
befreit, ihn zerbröseln, kippeln oder aufweichen lässt.
Vielleicht kann ich deshalb nicht nachvollziehen wie unfassbar bedrohlich
sich das Ganze anfühlen muss, für jemanden, der sich häuslich eingerichtet
hat, in diesem binären „Hier Tarzan, da Jane“-Weltbild.
Ist das so, dass der Anblick einer Perlenkette an einem fremden Hals dann
ausreicht, um den ganzen Frust hochzuspülen, über all das, was man sich
abgeschnitten und verkniffen hat, um brav ins Raster zu passen? Wäre der
angemessen Umgang mit solchen Kommentatoren dann eher Mitleid als Empörung?
Oder sollten wir ihnen Perlenketten schicken?
22 Oct 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/KucuklerAtay/status/1579456575294832640?ref_src=twsrc%5…
[2] https://uebermedien.de/77334/queer-migrantisch-perlenkette-wo-ist-das-probl…
[3] /Queerfeindlichkeit-in-Deutschland/!5880996
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
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Hannover
Landtagswahl in Niedersachsen
Queer
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