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# taz.de -- Queerness im Bild: Die Freundinnen der Casa Susanna
> Queerness war in den USA der 50er und 60er geächtet. Doch es gab damals
> bereits safe spaces, wie etwa private Fotografien aus New Jersey zeigen.
Bild: Eine Gruppe Transvestiten im safe space „Casa Susanna“
Auf einem Flohmarkt in New York stieß 2004 ein Sammlerpaar auf ein Konvolut
von Fotografien. Ein Album nach dem anderen zeigte auf den gut erhaltenen,
aber offensichtlich von Amateuren geschossenen Bildern eine Gruppe [1][von
Transvestiten]. Die Fotografien waren Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er
Jahre aufgenommen worden. Eine Dame taucht immer wieder darauf auf, vorm
Schminktisch in Spitztütencorsage, beim Anschneiden einer Torte am reich
gedeckten Partybuffet oder auf einer Außenaufnahme vor einem Landhaus: Die
Beine unterm Tellerrock grazil angewinkelt, die braunen Locken exakt über
den Schläfen gewellt, hält sie ein Schild in der Hand. „Casa Susanna“ ste…
darauf.
Wie sich später herausstellte, ist die Casa Susanna ein unscheinbares
viktorianisches Anwesen am Silver Hill in New Jersey. Abseits vom Blick der
Öffentlichkeit kamen an diesem safe space die Damen einer klandestinen
Szene zu einem geschlossenen Zirkel zusammen, um ihre „inner woman“ für
wenige Tage auch äußerlich sein lassen zu können. Sie waren dabei immer dem
Anlass entsprechend gekleidet. Und zwar in dem Dresscode, den sie womöglich
in ihren eigenen, bürgerlichen Heimen von ihren Ehefrauen vorgeführt
bekamen: den der Midcentury-Hausfrau einer weißen US-amerikanischen
Mittelschicht.
Eingeladen wurden sie von jener „Susanna“, der Matriarchin des Hauses.
Außerhalb der Casa war Susanna, die mit bürgerlichem Namen Humberto
Arriagada hieß, ein Mitarbeiter der US-amerikanischen Regierung und Ehemann
einer New Yorker Ladenbesitzerin für Perücken, die Susannas Trans-Dasein
immer unterstützte. „Ich wollte den Mädchen helfen und sie ein wenig
glücklich machen. Sie litten unter Einsamkeit, Schuldgefühlen und
Verzweiflung“, schrieb Susanna 1961 im Magazin Transvestia, jenem illegalen
Periodikum, über das die weit verzweigte Transgender-Subkultur in den USA
der 1960er Jahre eine Identität entwickeln konnte.
[2][Crossdressing], Transgender, Queerness – jegliche Abweichung von einer
geschlechtlichen Norm war in den moralistischen USA der 1950er und 1960er
Jahre geächtet, gesellschaftlich wie auch juristisch. Die Freundinnen aus
der Casa Susanna führten ein Doppelleben, ihre weibliche Identität lag
immer in der Illegalität. Nicht wenige aus ihrer Community hatten ihre
Familie verloren, ihren Ruf, ihren Job, hatten Gefängnisstrafen absitzen
müssen oder, noch schlimmer: sich einer psychiatrischen Zwangsbehandlung
unterziehen müssen.
Diese wunderbar intimen Fotos sollten vielleicht nie das Licht der Welt
außerhalb der Casa Susanna erblicken. Sie zirkulierten einst in engsten
Kreisen, es waren sozusagen Ikonen des Privaten, glamouröse Zeugnisse von
der Existenz dessen, was in den USA der 1950er und 1960er Jahre nicht
sichtbar sein sollte.
Doch nach dem Flohmarktfund kam ein Buch mit den Bildern heraus. Später
nahm die Art Gallery Ontario einen Teil der Fotografien in ihre Sammlung
auf, und auch die große Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman besitzt einige
der Fotografien, die nun in Ausstellungen weltweit zu sehen sind.
Die Bilder sind Teil der Ausstellung „Queerness in Photography“, die noch
bis zum 18. Januar in der Galerie C/O Berlin läuft.
23 Oct 2022
## LINKS
[1] https://queer-lexikon.net/2017/06/08/transvetit/
[2] /Crossdressing-Musical-Kinky-Boots/!5467340
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
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Kulturgeschichte
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