# taz.de -- Aushangfahrpläne und andere Relikte: Generationsforscher am Abstel… | |
> Bei der Jahrestagung des Philologenverbandes Niedersachsen pflegen die | |
> Herren mal wieder Kulturpessimismus und Technikfeindlichkeit. Es nervt. | |
Bild: Bei manchen ist der Zug halt irgendwie immer schon abgefahren | |
Eigentlich habe ich mir ja vorgenommen, mich weniger zu empören. Es wird zu | |
viel geblökt; niemand sieht gut aus, wenn er Schaum vor dem Mund hat: Ich | |
wünsche mir dringend, dass „Contenance!“ wieder ein Ding wird. Aber | |
natürlich sind Vorsätze nur gut, wenn man sie bricht. | |
Zu den Dingen, die mich zuverlässig auf die Palme bringen, gehören | |
„Generationenforscher“. Jüngst sprach wieder so einer auf der Jahrestagung | |
des [1][Philologenverbandes Niedersachsen] in Goslar. Nun lässt sich aus | |
der Konstellation schon ablesen, dass da der 5000. Aufguss von „diese | |
Jugend ist die Schlimmste, Untergang Abendland, bla“ bestellt und geliefert | |
wurde. | |
Das ist eben das Geschäftsmodell mit dem – in diesem Fall – [2][Rüdiger | |
Maas] unterwegs ist. Er verdient sein Geld mit der Beratung von | |
Personalverantwortlichen, als Keynote-Speaker und Bestseller-Autor | |
(„Generation Lebensunfähig“) – da ist natürlich kein Platz für | |
differenzierte Analysen, da muss eine knallige These her, sonst wird man ja | |
nicht gebucht. | |
Ich würde das vielleicht sogar lustig und unterhaltsam finden, aber wenn es | |
gegen meine Jungs und meinen Erziehungsstil geht, hört der Spaß natürlich | |
ganz schnell auf. Wobei diese Experten selbst die Kinderaufzucht vermutlich | |
zu weiten Teilen dem Weibchen ihres Vertrauens überlassen haben. Anders | |
kann ich mir jedenfalls die gewaltige Diskrepanz zwischen ihren | |
Beschreibungen und den real existierenden Jugendlichen in meinem Umfeld | |
nicht erklären. | |
## Top-Vorbild: Lieber Vorträge halten als hilfsbereit sein | |
Vielleicht tue ich dem Herrn Maas jetzt Unrecht, ich habe seinen Vortrag | |
selbst nicht gehört, mir nur davon berichten lassen. Aber dieses Beispiel | |
fand ich richtig lustig: Da sollen ihn Jugendliche an einem Bahnhof einmal | |
darum gebeten haben, die Bahn-App auf seinem Handy nutzen zu dürfen, um | |
eine Ersatzverbindung zu finden. Er habe das aber abgelehnt, berichtet der | |
Mann stolz, und ihnen stattdessen erklärt, wie man einen Aushangfahrplan | |
liest. | |
Ich habe das sofort mit den Jungs besprochen. Sollte es jemals eine Störung | |
auf der Strecke geben und kein Zug mehr pünktlich fahren und ein | |
mittelalter Herr zu ihnen kommen und sagen: „Entschuldigung, mein Akku ist | |
leer, könntet ihr mir wohl eine Ersatzverbindung raussuchen?“ | |
Dann sollen sie ihn bitte – bestimmt, aber freundlich – auf die | |
unverständlich scheppernden Lautsprecherdurchsagen und den nutzlosen | |
Aushangfahrplan verweisen und ihm einen langen Vortrag darüber halten, dass | |
es ganz, ganz wichtig ist, das irgendjemand diese alten Kulturtechniken | |
pflegt, auch wenn es manchmal Opfer erfordert. | |
Und dann sollen sie in ein Moia steigen und freundlich winkend davon | |
fahren. Möge sein Krückstock am Bahnsteig festfrieren. Aber natürlich | |
würden meine Jungs das nie tun. Sie sind freundliche und hilfsbereite | |
Menschen und regen sich über so was nicht mal mehr auf. Sie rollen einfach | |
mit den Augen und sagen: „Ach Mama, der ist halt alt. Es gibt Wichtigeres.“ | |
Wirklich seltsam diese Generation. | |
18 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.phvn.de/ | |
[2] https://www.generation-thinking.de/maas-generation-z | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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