Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schimpf und Schande in Niedersachsen: Ein Honorar für die Nerven
> Eine Grüne im VW-Aufsichtsrat und dem Schröder sein Kirchenfenster – das
> sind Aufreger in Niedersachsen. Toll, wie meine Vorurteile bestätigt
> werden.
Bild: Aufbruch: Julia Hamburg besteigt den ICE nach Berlin. Manchmal hält der …
Ich war zur Unzeit verreist. Die Reise wurde geplant, bevor der Wahltermin
feststand und klar war, wann sich das neue niedersächsische Parlament
konstituieren würde. Nun habe ich die ersten Sitzungstage verpasst, wie
schade. Kollegen schrieben etwas von einer Atmosphäre [1][wie am ersten
Schultag], laute aufgeregte neue Abgeordnete in Begleitung von noch
aufgeregteren Medienvertretern – ich stelle mir das sehr niedlich vor.
Auch verpasst habe ich ja leider den grandios dämlichen [2][Protest gegen
Julia Hamburgs Sitz im VW-Aufsichtsrat]. Eine Autohasserin! Ohne
Berufsausbildung! Geht ja gar nicht, fanden Bild und die Aktionärsschützer
der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
Da steckte natürlich alles drin: Die Verachtung für die Politik (zehn Jahre
Berufserfahrung in der niedersächsischen Landespolitik sind nämlich einen
Dreck wert, die Position als stellvertretende Ministerpräsidentin auch,
hätte sie mal lieber eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker gemacht), die
Tatsache, dass bei keinem ihrer Vorgänger (meist weiß, männlich, älter und
Wirtschafts- oder Finanzminister) so genau auf den Lebenslauf geschaut
wurde – ein Schelm oder ein feministisches Biest, wer Böses dabei denkt.
Überhaupt, die grandiose Arbeit dieses Aufsichtsrates, der vor lauter
Autobegeisterung nicht einen der zahlreichen VW-Skandale verhindert hat. Da
muss man schon vorsichtig sein, wen man da rein lässt, nachher macht die
noch die Augen auf.
## Das Lüpertz-Kirchenfenster wird nun doch eingebaut
Das verpasst zu haben, bedaure ich natürlich auch deshalb, weil es so
herzallerliebst meine Lieblingsvorurteile bestätigt. Also vor allem die
über Aufsichtsräte und Aktienbesitzer.
Ich stamme ja aus einer dieser Arbeiterfamilien, die sich zu
Wirtschaftswunderzeiten sehr mühselig in den unteren Mittelstand
vorgearbeitet hat – immer mit dieser Kriegserfahrung im Nacken, die sie
mahnte, das von heute auf morgen auch alles wieder weg sein könnte.
Nichts ist mir so fremd wie die Selbstgewissheit reicher Menschen. Es gibt
eine bestimmte Sorte von Anzugträgern, bei denen sich mir sofort die
Nackenhaare aufstellen und ich den Impuls unterdrücken muss, mich mit einem
Tablett zu bewaffnen.
Was mich gedanklich wieder zu Gerhard Schröder bringt, den ich fast mal auf
einer Messeparty bekellnert hätte. Das von ihm gestiftete Lüpertz-Fenster
soll ja nun doch in die Marktkirche gebaut werden.
Möglichst ohne den Stifter allerdings, was die Sache ein bisschen
kompliziert macht. Nach den endlosen Streitigkeiten um die Ästhetik (über
die ich [3][verschiedentlich berichtet habe]) ging es im vergangenen Jahr
ja plötzlich [4][um den Geber und seine Russlandkontakte].
Der Kirchenvorstand möchte das kostbare eingelagerte Kunstwerk nun doch
gern nutzen, hat die von Schröder eingeworbenen Spenden aber
sicherheitshalber an ukrainische Geflüchtete weiter gereicht. Also müssen
jetzt neue Spender her und möglicherweise auch noch ein Künstlerhonorar.
Der Erschaffer des Fensters Markus Lüpertz hat angedeutet, jetzt doch eines
verlangen zu wollen – weil sein Freundschaftsdienst für Schröder ja nicht
mehr gefragt sei. Und weil ihn die ganze Debatte genervt hat. Ein Honorar
für die Nerven! Das merke ich mir.
5 Dec 2022
## LINKS
[1] https://www.haz.de/der-norden/wie-am-ersten-schultag-neuer-landtag-in-niede…
[2] /Debatte-um-vermeintliche-Autohasser/!5889309
[3] /Kirchenkunst-von-Schroeders-Gnaden/!5720447
[4] /Der-Fall-Gerhard-S/!5839634
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kolumne Provinzhauptstadt
Volkswagen
Gerhard Schröder
Grüne Niedersachsen
Niedersachsen
Kolumne Provinzhauptstadt
Hannover
Deutsche Bahn
Verkehrswende
Kolumne Provinzhauptstadt
Kolumne Provinzhauptstadt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alltag mit Migrationshintergrund: Moritz Moppelpo böllert nicht
Meine Kinder erfüllen die Erwartungen, die an ihren Migrationshintergrund
gekoppelt sind, oft nicht. Alltägliche Diskriminierung erlebe ich trotzdem.
Reichsbürger und andere Enttäuschungen: Spinnert werden im Alter
Bildung und solide Karrieren schützen nicht vor Dummheit im Alter.
Besonders betroffen sind Männer, die alles auf eine Karte gesetzt haben.
Aushangfahrpläne und andere Relikte: Generationsforscher am Abstellgleis
Bei der Jahrestagung des Philologenverbandes Niedersachsen pflegen die
Herren mal wieder Kulturpessimismus und Technikfeindlichkeit. Es nervt.
Debatte um vermeintliche „Autohasser“: Erfolgversprechende Propaganda
Die Grüne Julia Willie Hamburg will in den VW-Aufsichtsrat. Das wollen
Aktionäre verhindern. Die Argumente sind abwegig, aber erfolgversprechend.
Der Fall Gerhard S.: Unehrenhaft vernagelt
Der Streit ums Marktkirchenfenster in Hannover geht weiter. Die Kolumnistin
freut sich und rätselt über die verlorene Ehre des Gerhard Schröder.
Ein Kirchenfenster und andere Probleme: Alte weiße Egos
Die Kolumnistin möchte mit Steinen werfen, versucht aber sich altersgemäß
zu verhalten. Und stellt fest: Salomonische Lösungen sind manchmal keine.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.