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# taz.de -- Ein Kirchenfenster und andere Probleme: Alte weiße Egos
> Die Kolumnistin möchte mit Steinen werfen, versucht aber sich altersgemäß
> zu verhalten. Und stellt fest: Salomonische Lösungen sind manchmal keine.
Bild: Hannoverscher Bilderstreit: Hier ein Abbild des von Markus Lüpertz entwo…
Neulich lief ich wieder einmal [1][an der Marktkirche] vorbei und dachte
darüber nach, warum mich der Streit um ihr Fenster so fasziniert.
Möglicherweise hat es damit zu tun, dass ich beide Seiten gleichermaßen
nachvollziehen und blöd finden kann. Vielleicht hat es auch etwas damit zu
tun, wie hier Psychologie, Philosophie und Scheißhausfliegen aufeinander
treffen.
Für die Nicht-Hannoveraner: Es geht um das Reformationsfenster, gestaltet
von Künstler Markus Lüpertz, gestiftet von Ex-Kanzler Gerhard Schröder,
unerwünscht und verflucht von Teilen der Gemeinde und dem Nachfahren des
Architekten, der die Marktkirche nach den Kriegszerstörungen in grandioser
Backstein-Schlichtheit wieder aufbaute.
Oberflächlich betrachtet könnte man das Ganze natürlich gut als Konflikt
unter „alten weißen Männern“ verbuchen. Es ist kein Geheimnis, dass
zumindest Schröder und Lüpertz ein Ego vor sich her tragen, bei denen
selbst hart trainierte Buddhisten erschauern. Naheliegend, dass vielleicht
das ein oder andere Gemeindemitglied die Abneigung dagegen auf das Fenster
überträgt.
Andererseits ist das natürlich auch ganz, ganz billig. [2][Vor allem, wenn
ich als mittelalte weiße Frau das mache.] Wer weiß: Vielleicht bin ich ja
bald selbst eine alte weiße Frau, die redet wie ein alter weißer Mann – so
wie Alice Schwarzer. „Vorsicht mit so was, Fräulein Conti“, raunte mir
einmal eine geschätzte Kollegin zu. „Die Zeit arbeitet gegen Sie.“
## Hässliche Fliegen
Und seien wir mal ehrlich: Im Gegensatz zu den Buddhisten hat die Kirche
mit Egos ja auch kein grundsätzliches Problem. Luther schon gar nicht.
Obwohl die Kirche vielleicht insgesamt besser da stünde, wenn sie diese
Sache mit den Egos und den Machtmissbräuchen besser im Blick behalten
hätte. Aber das ist ja ein ganz anderes Thema.
Andere Argumente scheinen mir nicht besser. Der Stiefsohn und
Architekten-Erbe ist zwar eine rührende Figur – er versucht aber auch
irgendwie, eine mehr als 600 Jahre alte Kirche auf dem Stand von 1952
einzufrieren.
Viele Gemeindemitglieder argumentieren damit, dass sie die fetten Fliegen,
die Luther auf dem Fenster umschwirren, so hässlich finden. Die
Hässlichkeit ist natürlich Absicht, also Kunst, aber solche Hinweise auf
das Böse und die Vergänglichkeit sind halt nicht jedermanns Sache.
Also vor allem, wenn man Religion so als bisserl Wellness für die Seele
betrachtet, wo alles bitte schön betulich und erbaulich und wohlriechend
und hübsch sein soll und möglichst weit weg von der stinkigen, nervtötenden
Scheißhaushaftigkeit des echten Lebens.
Das wiederum ist eine Haltung, die in mir den pubertären Impuls weckt, den
ein oder anderen Backstein durch das Kirchenfenster zu werfen. Aber deshalb
arbeite ich ja jetzt auch für die taz und nicht mehr für bürgerlichere
Medien.
Bei der [3][Hannoverschen Allgemeinen meldete] sich jedenfalls ein
Gemeindemitglied, das glaubt, eine geniale und salomonische Lösung für den
mehr als vier Jahre alten Konflikt zu haben. Er hat eine Konstruktion
gebastelt, mit der sich das Fenster ein- und ausklappen ließe. Die Gemeinde
reagierte verhalten, schreiben die Kollegen. Die Nicht-Lösung ist wohl
ziemlich teuer. Und man müsste sich ja auch immer noch einigen, wer wann
klappen darf.
Ich weiß nicht, ob ich den Tüftler bewundern soll oder mir die Haare
raufen. Diese Art, einfach gar nichts mehr zu entscheiden und immer alles
zu wollen, inklusive des Gegenteils – ist das infantil oder weise?
4 Nov 2021
## LINKS
[1] https://www.marktkirche-hannover.de/
[2] /Kirchenkunst-von-Schroeders-Gnaden/!5720447
[3] https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Hannover-Bekommt-die-Marktkirche-…
## AUTOREN
Nadine Conti
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