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# taz.de -- Eröffnung des neuen Plenarsaals: Weg ist der olle Muff
> Im neuen Plenarsaal bekommen die niedersächsischen Abgeordneten nicht nur
> Luft, Passanten können nun rein gucken. Eine Demokratisierung.
Bild: Kein Gefühl mehr von „Isolationshaft“: die Abgeordneten haben Tagesl…
Hannover taz | Der Stuhl steht unscheinbar in der Ecke des kleinen Büros.
Die Beine glänzen silbern, das schwarze Leder auf der breiten,
quadratischen Sitzfläche ist glatt. An der Rückenlehne kleben die Reste
eines neongrünen Aufklebers. Der Käufer des Stuhls ist darauf mit einer
Nummer vermerkt. Auf dem weichen Polster haben schon viele wichtige Hintern
Platz genommen. Er stand im alten Plenarsaal des niedersächsischen
Landtags. Und der Stuhl ist einer seiner letzten Überreste.
Das Land hat den Landtag generalüberholt. Heute ist die feierliche
Eröffnung samt Bundespräsident und Gottesdienst in der Marktkirche. Vom
alten Betonklotz ist nur die glatte, graue und recht hässliche Fassade
geblieben und die schrulligen, gusseisernen Drachenfiguren, die seit 1962
als Fahnenträger daran hängen. Den Rest, den Saal mit seiner glatten
Holzverkleidung, die Tribünen, auf denen Besucher und Journalisten so eng
nebeneinander saßen, dass ihre Beine aneinanderrieben, und den dicken
grünen Teppich, der alle Geräusche schluckte, haben sie entsorgt. Es wurde
Zeit.
„Es war darin ein bisschen wie Isolationshaft“, erinnert sich die
SPD-Politikerin Petra Emmerich-Kopatsch. Kein Tageslicht. Kein Kontakt zur
Außenwelt. „Man wusste nicht, ob Tag oder Nacht, Winter oder Sommer ist.“
Und erst diese Luft: Dick und wie man spät festgestellt habe, voller
Auspuffdämpfe. „Die Luftumwälzungsanlage hat die Abgase des
NDR-Übertragungswagens angezogen“, sagt Emmerich-Kopatsch. Es habe
gedauert, bis man die Ursache gefunden habe. Ein anderes Mal stank es so
durchdringend nach Kloake, dass die Sitzung unterbrochen werden musste.
„Wir hatten alle brennende und trockene Augen“, sagt Emmerich-Kopatsch.
In diesem abgeschotteten Raum haben die niedersächsischen Landespolitiker
jahrzehntelang über Anträge diskutiert, Gesetze beschlossen, mit flachen
Händen auf die Tische gepoltert und Unverständliches gegrölt, wenn sie ihre
Zustimmung kund tun wollten. Sie waren abgeschottet von den Menschen, für
die sie die Entscheidungen trafen. Da ist es keine leichte Aufgabe, nicht
eben diese Menschen aus dem Blick zu verlieren.
Wenn sie es nicht wollen, müssen die Abgeordneten nicht einmal auf dem Weg
vom Büro zum Landtag einem Bürger oder gar einer Demonstration begegnen.
Das Bürogebäude der Fraktionen an der Marktkirche und das Leineschloss sind
durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Die Decke so tief,
dass man sie mit der Hand berühren kann, windet er sich bis in den Keller
des Schlosses. Ein paar alte Eisenbahnkarten hängen dort an den Wänden, es
gibt einen kleinen Fitnessraum mit Tischtennisplatte und einen Weinkeller,
in dem schon heftige Partys gefeiert worden sein sollen.
Geht man, im Schlosskeller angekommen, ein paar Stufen nach oben, tritt man
in ein helles Foyer – von dort ist der Blick frei auf den neuen Plenarsaal.
Die Wand ist aus Glas. Die Europa- und die Deutschlandfahne stehen schon
unter einem neuen Niedersachsenross aus Glasscheiben, das an der Wand
hängt. Alles wirkt offen und lichtdurchflutet. Tische, Stühle und Wände
sind in einem hellen Grau.
Um ans Rednerpult zu gelangen, muss man nicht mehr wie bisher einige Stufen
erklimmen. Alles ist barrierefrei. Weil der Anbau komplett entkernt wurde,
konnten die Planer den Raum ganz neu einteilen. Allein für den Rohbau
wurden 4.000 Kubikmeter Beton, rund 700 Tonnen Stahl und rund 300 Tonnen
Stahltragwerke benötigt. Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) hat mit dem
Grundstein auch eine Schatulle aus Kupfer im Boden versenkt. Darin liegen
Tageszeitungen, Münzen, Baupläne und ein Abgeordnetenverzeichnis. Ein Gruß
an die Nachwelt.
Insgesamt hat der Umbau rund 58 Millionen Euro gekostet. 5,4 Millionen Euro
mehr als eigentlich vorgesehen. Trotzdem ist das Geld gut angelegt. Der
neue Plenarsaal bedeutet vor allem eine Demokratisierung der
niedersächsischen Politik.
Die Bürger können nun von außen durch die großen Fenster hinter dem
Rednerpult direkt in den Saal hineinschauen – ihren Abgeordneten ins
Gesicht. Und die Abgeordneten schauen zurück – manche vielleicht, je nach
Redner, sogar lieber aus dem Fenster als in Richtung Mikrofon.
Schon seit Jahren haben die Abgeordneten in Niedersachsen über einen
Plenarsaal diskutiert. Es gab sogar einen Beschluss, den Anbau, in dem der
alte Plenarsaal als runder Innenkörper eingelassen war, komplett abzureißen
und alles neu zu bauen. Doch der Denkmalschutz machte der
Parlamentsmehrheit einen Strich durch die Rechnung.
Der grüne Abgeordnete Helge Limburg hat nicht nur schlechte Erinnerungen an
den Saal. „Dort wurden historische Debatten geführt“, sagt er. Die
niedersächsische Verfassung wurde einst hier beschlossen. Und sogar die
Holzverkleidung habe ihren Charme gehabt. „Alles hat seine Zeit“, sagt er.
Der Umbau sei ein angemessener Umgang mit dem Denkmal – und ein Sinnbild
für die Politik.
„Wir wollen viele gute Dinge erhalten und bewahren, aber gleichzeitig
wissen wir auch, wir müssen uns immer wieder verändern, weil die Welt sich
verändert.“ Ein behutsamer Umbau des Plenarsaals sei dafür eine gute
Metapher.
Limburg lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, streicht über die ledernen
Lehnen. Es ist sein Büro, in dem der Stuhl aus dem alten Plenarsaal steht.
Er hat ihn für hundert Euro gekauft. Alle Abgeordneten durften das. Nicht
alle haben es gemacht.
„Er ist bequemer als er aussieht“, sagt der 35-Jährige. Er kann sich noch
gut erinnern, wie er sich das erste Mal auf ihn gesetzt hat, nach seiner
Wahl zum Landtagsabgeordneten im Jahr 2008. „Das war eine große Ehre für
mich, ein beeindruckendes Gefühl.“
Eigentlich wollte er den Stuhl mit nach Hause nehmen. Drei Termine hatte er
dafür schon angesetzt. Immer kam etwas dazwischen. Am Freitag, den 4.
August, hatte Limburg extra einen Wagen bestellt. Doch dann [1][trat seine
frühere Parteifreundin Elke Twesten] im Fraktionssaal der CDU vor die
Kameras und verkündete ihren Wechsel. „Jetzt gehe ich davon aus, er soll
hier nicht weg“, sagt Limburg. Der Stuhl behält seinen unscheinbaren Platz
in der Ecke des Zehn-Quadratmeter-Büros. „Ehe hier noch Schlimmeres
passiert.“
27 Oct 2017
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## AUTOREN
Andrea Scharpen
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