# taz.de -- Alltag mit Migrationshintergrund: Moritz Moppelpo böllert nicht | |
> Meine Kinder erfüllen die Erwartungen, die an ihren Migrationshintergrund | |
> gekoppelt sind, oft nicht. Alltägliche Diskriminierung erlebe ich | |
> trotzdem. | |
Bild: Böller am 1.1.23: wer auch immer ihn angezündet hat – der Migrationsh… | |
Die Jungs mit Migrationshintergrund, mit denen ich zusammenwohne, wollten | |
dieses Jahr gar nicht böllern. Ich war ein bisschen enttäuscht, weil ich – | |
entgegen aller ökologischen Vernunft und Empathie für unsere Haustierchen – | |
eine heimliche Schwäche für Verschwendung und bunt explodierendes Zeug | |
habe. In unserem Viertel hat es trotzdem ganz ordentlich gerummst. | |
Und das mit dem [1][Migrationshintergrund] erwähne ich nur hier, weil es | |
mein allerliebstes Beispiel dafür ist, wie [2][schwachsinnig diese | |
Kategorisierung ist]. Der gängigen Definition nach haben sie den aber: Der | |
Papa wurde nicht in Deutschland geboren, das reicht schon. Wann immer sich | |
also so eine Kita-Leiterin oder Grundschullehrerin hinstellte und etwas von | |
85 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund im aktuellen Jahrgang | |
schwadronierte und so tat, als müsste sie dafür eigentlich eine | |
Erschwerniszulage bekommen – dann wusste ich, da werden sie mit | |
reingerechnet, meine Jungs. | |
Man merkte das dann auch immer in den allerersten Elterngesprächen, wenn | |
diese Pädagoginnen überschwänglich ihren großen Wortschatz und ihr | |
exzellentes Ausdrucksvermögen lobten, weil sie etwas anderes erwartet | |
hatten. | |
Jeder Wutanfall wurde allerdings quittiert mit: „Nun ja, das Temperament | |
…“, obwohl wir uns familienintern nicht ganz sicher sind, wessen nationales | |
Erbe das nun eigentlich ist. Mir war vor meiner Heirat ja gar nicht klar, | |
wie oft italienischen Männern unterstellt wird, dass sie besser fühlen als | |
denken können. Also vor allem von Menschen, die ihre eigenen cholerischen | |
Werturteile für total rational halten. Aber das ist ein anderes Thema. | |
## Was genau halbiert sich beim Halb-Deutsch-Sein? | |
Die Freude über den Wortschatz legte sich in der Regel schnell wieder: | |
Schon im zweiten oder dritten Elterngespräch fragte man eher, ob ich zu | |
Hause viel herumdiskutieren würde. Das war natürlich eher als Kritik denn | |
als Frage gemeint. Die Antwort „Nö, bei uns macht eh jeder, was er will“ | |
finden Pädagoginnen übrigens nicht so lustig wie ich. | |
Wirklich verblüfft hat mich einmal eine Kinderärztin, bei der wir | |
vertretungshalber waren. Wir sprachen übers Töpfchentraining, während mein | |
Sohn interessiert in einem Bilderbuch blätterte. Und die Frau sagte | |
tatsächlich (ganz langsam und betont deutlich): „Sehen Sie, man kann ja | |
auch einmal so ein Buch vorlesen.“ | |
Ich muss sie ein ganze Weile verwirrt angeglotzt haben, weil ich wirklich | |
nicht begriff, was sie meinte, hatte ich doch das Bild der überquellenden | |
Ikea-Regale zu Hause im Kopf, in denen sich selbstverständlich nicht nur | |
regalmeterweise Erziehungsratgeber, sondern auch „Der kleine Klo-König“, | |
„Moritz Moppelpo braucht keine Windel mehr“ und „Pipileicht, mein | |
Töpfchenbuch“ befanden. Aber sie hatte mich eben als junge, bildungsferne | |
Migrantenmutti eingestuft, was ihr schon kurz darauf unsäglich peinlich | |
war. | |
Es ist natürlich auch ein Privileg, solche Dinge höhnisch weglachen zu | |
können – weil mein ehemals angeheirateter Migrationshintergrund | |
vergleichsweise chic ist und ich mich im Zweifel zu wehren weiß. Co-Mütter, | |
die Belgin, Hanife, Fatma, Jekaterina oder Ljudmila heißen, können sich | |
diesen Luxus nicht leisten. Deren Söhne trifft die alltägliche | |
[3][Diskriminierung] auch härter. | |
Einmal habe ich einen AfD-Politiker gefragt, was genau sich denn da | |
eigentlich halbiert, wenn meine Söhne in seinen Augen nur als „halbe | |
Deutsche“ gelten. Die Antwort war: Wenn der Bürgerkrieg kommt (!), können | |
die ja einfach abhauen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht glaube, | |
dass Loyalität am Genom oder Pass klebt: Irgendwie tröstlich der Gedanke, | |
dass so eine Zweitkultur vielleicht wenigstens davor schützt, neben totalen | |
Vollidioten zum Kanonenfutter zu werden. | |
10 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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