Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schlecht gekleidete Berufsgruppen: Die Modeversager von der Presse
> Journalisten gehören zu den am schlechtesten gekleideten Berufsgruppen
> der Welt. Einen ordentlichen Sozialdemokraten juckt das nicht, andere
> schon.
Bild: Immer vorne dabei, aber in Modefragen hinten dran: Journalisten, hier bei…
Einmal stand ich [1][wartend in einem Gerichtsflur herum], vor mir der
Anwalt einer der Klägerinnen mit ihrem erwachsenen Sohn, der wachsam und
aufgeregt war und offensichtlich zum ersten Mal in so einer Situation.
„Und das ist die Presse?“, fragte er und zeigte mit dem Kinn auf ein paar
Kollegen von der Lokalzeitung am anderen Ende des Flures. „Ja“, sagte der
Anwalt, „seltsam, dass die immer so abgerissen aussehen, nicht?“
Ich musste an Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer denken und daran,
dass beide ja nicht so ganz Unrecht haben. Journalisten gehören wirklich zu
den am schlechtesten gekleideten Berufsgruppen der Welt, vor allem in der
Provinz.
Es gibt es nur eine Gruppe, die uns darin ernsthaft Konkurrenz macht, das
sind Wissenschaftler und Nerds, also Leute, die – so stelle ich mir das
jedenfalls vor – morgens aus dem Bett fallen und sich nachlässig irgendwas
überstreifen, was da halt so auf dem Wäscheständer vor sich hinknautscht,
während sie im Kopf schon wieder bei viel komplexeren Problemen sind.
## Hemden bügeln für den Kanzler
So erklärt sich sicher auch die [2][Rundmail], die der Chef der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) an seine
Angestellten richtete. Anlässlich des Besuches von Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) in der vergangenen Woche bat er seine Leute, doch lieber im
[3][Home-Office] zu bleiben oder sich, wenn sie unbedingt ins Büro kommen
wollten, wenigstens die Schuhe zuzubinden und das Hemd zu bügeln.
Irgendwas mit „ordentlich“ und „gepflegt“ stand auch noch in der Mail, …
sind so Dinge, die auch meine Oma hervorheben würde. „Was ziehst du denn da
an?“, war ihre erste Frage, als ich ihr erzählte, dass ich zu so einem
Pressehintergrundgespräch mit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) müsste.
„Adrett“ und „akkurat“ sind Vokabeln, die ich bei ihr gelernt habe. „…
bist ein Arbeiterkind, du musst immer ordentlich und sauber aussehen“,
hatte ihr Vater ihr eingebläut und daran hält sie sich, auch mit über 90
Jahren noch. Mit dem Erscheinungsbild ihrer Enkelinnen und Ur-Enkel hat sie
gelegentlich erkennbar Probleme, aber sie hat aufgehört, etwas dazu zu
sagen.
Ich kann sehr wohl schmuddelig von sauber unterscheiden, manchmal fällt mir
das aber zu spät ein. Ansonsten bin ich mit einer seltsamen Blindheit in
Modefragen geschlagen. Ich registriere so eine vage Anmutung von „da gibt
sich jemand Mühe“ oder „das sieht teuer aus“, aber zu viel mehr reicht es
nicht.
Ich habe mich immer gewundert, wie meine mode-affinen Nichten das machen,
die mit einem Wimpernschlag ein Outfit einer Marke und einer Preisklasse
zuordnen können und dabei noch sagen, ob es aus der aktuellen Kollektion
stammt oder der vorletzten. Ich erkenne einen teuren Anzug vor allem daran,
dass er einen Männerkörper eine Spur vorteilhafter in Szene setzt als ein
billiger, aber das ist ein anderes Thema.
## Sozialdemokratische Wurstigkeit
Ich bin mir ganz sicher, dass [4][mir da was entgeht, eine ganze Dimension
an Beobachtungen,] ein geheimer Code, der etwas mit Kultur, Geschlecht,
sozialem Status zu tun hat, aber mir fehlt es an Kenntnissen, am geschulten
Blick und ich bin zu faul und ignorant, um daran etwas zu ändern.
Das hat allerdings den Vorteil, dass ich mich selten über das Outfit
anderer Leute aufregen muss. Ich käme auch nicht auf die Idee,
unangemessene Kleidung für eine persönliche Beleidigung zu halten, für
respektlos oder für einen Angriff auf meine Position im hierarchischen
Gefüge der Welt oder so etwas. Das scheint mir eines der Probleme zu sein,
die eher Konservative haben.
Zu besagtem Termin tauchte der Ministerpräsident jedenfalls in einem
verwaschenen Wollpullover mit so vielen Knötchen auf, das sogar in meinem
Hirn kurz das Wort „Fusselrasierer“ aufleuchtete. Ich habe das damals für
angenehm sozialdemokratische Wurstigkeit gehalten, aber vielleicht hat er
auch gedacht: „Egal, sind ja bloß Journalisten.“
27 Feb 2023
## LINKS
[1] /Verkauf-alter-Autokennzeichen/!5858203
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Kanzlerbesuch-Behoerden-Chef-s…
[3] /Ende-des-Homeoffice/!5853995
[4] /Alter-Zeitalter-und-Mode/!5901893
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kolumne Provinzhauptstadt
Hannover
Stephan Weil
Kleidung
Journalismus
Kolumne Provinzhauptstadt
Regretting Motherhood
Parkplatz
Kolumne Provinzhauptstadt
Kolumne Provinzhauptstadt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vom Maschsee bis an die Moskwa: Männerabend mit und ohne Würstchen
Wie geht Politik ohne Würstchen und Seilschaften? Die Kritik am „System
Schröder“ zeigt gesellschaftlichen Fortschritt, wirft aber auch Fragen auf.
Kita-Streik und Betreuungsnotfälle: Wenn ich König von Deutschland wär
Kita-Streik am Frauentag? Super-Idee. Aber wie wäre es denn dann auch mit
einer Freistellung von Vätern, Opas und Onkeln zur Kinderbetreuung?
Handwerkerparkausweise in Hannover: Parkprivilegien für Ludenkarren
Der Bezirksrat Hannover-Mitte regt sich über großzügig verteilte
Handwerkerparkausweise auf. Dabei ist eigentlich ein Skandal, wer die nicht
kriegt.
Fortnite und Trigger: Ich hab' den Schuss nicht gehört
Elternabende zur Medienerziehung sind fein. Hakelig wird es nur, wenn der
friedensbewegte Sozialarbeiter am Ziel vorbeischießt.
Alltag mit Migrationshintergrund: Moritz Moppelpo böllert nicht
Meine Kinder erfüllen die Erwartungen, die an ihren Migrationshintergrund
gekoppelt sind, oft nicht. Alltägliche Diskriminierung erlebe ich trotzdem.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.