# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Macher von Ulm | |
> Peter Langer war zentrale Figur der Ulmer Friedensbewegung. Heute | |
> befürwortet er Waffen für die Ukraine und arbeitet für die Donau. | |
Bild: Ulmer Urgestein: Peter Langer | |
Die blauen Bände immerhin stehen noch im Regal. Marx-Engels-Gesamtausgabe, | |
etwas abgegriffen. Eine Erinnerung an Peter Langers politische Frühphase. | |
Draußen: Einst war hier ein heruntergekommenes [1][Ulmer] Viertel. Bis vor | |
Jahren die Sanierer anrückten und „Auf dem Kreuz“ Mittelstandswohnen | |
ermöglichten. Am Fachwerkgiebel von Langers Haus flattert eine Europafahne. | |
Auf dem Bänkchen darunter pflegt der Wahlschwabe sein Feierabendviertele zu | |
„schlotzen“, also genüsslich zu trinken. | |
Drinnen: Eigentlich war sein Domizil mal als Künstlerhäuschen gedacht. Das | |
Klavier, aus der früheren Stamm- und Szenekneipe gerettet, ordnet sich | |
jetzt ganz den Belangen der Bücher unter, wie das meiste im Wohnzimmer. | |
Platz finden noch die Souvenirs zahlreicher Reisen in die Donauländer. Im | |
Gewirr der Accessoires lässt sich eine unechte Ikone erspähen und ein | |
Plastik-Einstein, der auf der Galerie thront. Schreib- und | |
Besprechungstisch sind ausladend. Leben und Arbeiten sind eins. Wie das so | |
ist bei einem Überlebenskünstler, der sich nicht zur Ruhe setzen kann und | |
will. | |
Der Mehrheitsbeschaffer: Viele Jahre war Langer Chef des Ulmer | |
Kulturzentrums Roxy, das er 1989 mit viel diplomatischem Geschick und | |
Jovialität einer konservativen Mehrheit im Ulmer Gemeinderat abgerungen | |
hatte, als Stadtrat der Grünen. Während der Rest seiner Truppe noch in den | |
Schützengräben der Fundamentalopposition verharrte, hatte er längst Kanäle | |
gelegt. Obwohl er immer noch als „der rote Langer“ galt, hatte er es | |
geschafft, die Meinungsführer unter den „Bürgerlichen“ dazu zu bringen, | |
ihren inneren Schweinehund zu überwinden. „Alternative“ Kultur als „weic… | |
Standortfaktor“, damit ließen sich Richtungswechsel rechtfertigen in einer | |
Stadt, die sich gerade zur Wissenschaftsstadt aufschwang. | |
Das Roxy: Einst war das eine 3.000 Quadratmeter große Industrieruine ohne | |
Heizung und mit löchrigem Dach. Mit öffentlichen Geldern und Sponsoren | |
wurde diese peu à peu in ein großes soziokulturelles Zentrum verwandelt. | |
Zum zehnjährigen Jubiläum setzte Langer dann ein Open-Air-Konzert aufs | |
Programm – dumm nur, dass just an dem Tag der örtliche SSV Ulm 1846 in die | |
erste Fußballbundesliga aufstieg. Das Konzert wurde zum Megaflop. | |
Persönlich Verantwortung übernehmend schulterte Langer 300.000 D-Mark des | |
Defizits. Doch er ist immer wieder auf die Füße gefallen, auch dieses Mal. | |
Der Fall: 1983 wurde Langer zum personifizierten „Fall“ mit überregionaler | |
Resonanz. Entfernt aus dem Schuldienst, weil er als Junglehrer einen | |
„gesellschaftskritischen und unausgewogenen Unterricht“ abgehalten habe. | |
Dabei hatte er mit seiner Vergangenheit beim Kommunistischen Bund | |
Westdeutschlands (KBW) längst gebrochen. Nicht Marx und Mao, sondern | |
Brecht, Wallraff und Enzensberger brachte er in den Unterricht ein. Zu viel | |
fürs Oberschulamt in Tübingen. „Ein existenzieller Angriff auf mich und | |
meine Familie“, so nahm er den Rausschmiss wahr. Und durchschritt ein Tal | |
der Tränen. Langer gewann den nachfolgenden Prozess, kehrte dem Schuldienst | |
aber dennoch den Rücken. Ein Netzwerk federte den beruflichen Fall ab. | |
Das Netzwerk: Langer wurde zunächst hauptamtlicher „Friedensfunktionär“ | |
eines lokalen Bündnisses. In dessen Rahmen legte er sein „Meisterstück“ a… | |
die Mitorganisation der [2][legendären Menschenkette am 23. Oktober 1983 | |
zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, wo die Pershing-II-Raketen] stationiert | |
werden sollten: 108 Kilometer, gebildet aus 200.000, vielleicht sogar über | |
300.000 Menschen. | |
Der Wendige: Die Ängste in der Bevölkerung vor den Atomraketen, „die habe | |
ich selbst so verspürt“, erzählt Langer. Heute spricht er sich klar für die | |
Unterstützung der Ukraine aus, auch mit Waffen. „Ein moralisch begründeter | |
Pazifismus gibt in diesem Fall keine Orientierung“, führt er aus. Vor 25 | |
Jahren ist er der SPD beigetreten, wo sich nicht alle so leicht tun mit der | |
Umorientierung. „Anders als damals geht es um die Bedrohung einer | |
europäischen Nation durch ein durchgeknalltes System.“ Ein früheres | |
Aha-Erlebnis war ein Besuch der kroatischen Stadt Vukovar, die im | |
jugoslawischen Bürgerkrieg der frühen 1990er Jahre von den Serben zerstört | |
worden war: „Lauter traumatisierte Menschen.“ | |
Alte Schule: Dem Ulmer Gemeinderat gehörte Langer von 1984 bis 1997 an, | |
erst für die Grünen, dann für die Bunte Liste, zuletzt für die SPD. In den | |
späten 1970ern hatte er in Wiesloch, seiner damaligen Heimat, für den KBW | |
kandidiert. Die Theorielektüren dieser Jahre wolle er nicht missen, sagt | |
er, aber das vulgäre Kulturverständnis und die Mao-Verehrung, die hätten | |
ihn immer mehr abgestoßen. Und dass die Genossen immer stärker in sein | |
Privatleben eingreifen wollten. Er wurde ausgeschlossen, weil er nach dem | |
parteilicherseits ungenehmigten Studium im nahen Heidelberg (Germanistik, | |
Politikwissenschaft, Geschichte) nach Ulm zog: „Das wurde mir als | |
Fahnenflucht ausgelegt.“ | |
Der Politaktivist: Wodurch er selbst politisiert wurde? Jedenfalls nicht | |
durchs sozialliberal geprägte Elternhaus, in dem Politik eigentlich kein | |
Thema war. Vater Ingenieur, Mutter Hausfrau. „Er ein Clark-Gable-Typ, sie | |
Lilian Harvey verehrend.“ Kein Nazi in der Familie weit und breit, an dem | |
sich Aufsässigkeit hätte entzünden können. Der Initialfunke sei der | |
regelmäßigen Spiegel-Lektüre entsprungen. Daraus wurde zunächst die | |
Mitgründung einer Schülergruppe des Sozialistischen Deutschen | |
Studentenbundes, inklusive Schulverbot, aber praktischerweise erst nach dem | |
Abitur. Es folgte der Eintritt in eine ideologiegetriebene Partei, die sich | |
als eine der stärksten sah. „Muss es denn gleich Kommunismus sein?“, habe | |
der Vater gefragt. Das Studium hat Langer trotz Kommunismus – er wurde | |
Schülerstreikorganisator und Betriebsagitator – ordentlich beendet. | |
Der Beweger: Anfang der Nullerjahre fing das mit den Donau-Aktivitäten an. | |
Langer hatte genug vom Roxy und schaffte es, „ein neues Thema in Bewegung | |
zu bringen“. Und damit für sich einen neuen Job in Ulm zu finden – erst als | |
[3][Leiter des Internationalen Donaufests], ab 2002 des neu installierten | |
Donaubüros. Da war er in der Stadt längst „Der Langer“, von den einen | |
bewundert, von anderen kritisch gesehen wegen seiner Netzwerkaktivitäten, | |
die sie als Strippenzieherei und Kungelei betrachteten. Mehr als einmal | |
überzog Langer das Budget des Fests gnadenlos, mehr als einmal kamen ihm | |
schützende Hände zu Hilfe, aus dem Rat- wie dem Pressehaus. Eine Reihe von | |
Gefährten blieb am Wegesrand zurück, enttäuscht ob seiner Geschmeidigkeit. | |
Der Europäer: Langer dreht jetzt ein viel größeres Rad, bringt längs der | |
Donau Dinge in Bewegung, organisiert Konferenzen und setzt gemeinsam mit | |
der Politik seine Impulse. Literaten wie [4][der Ungar György Konrád] | |
wurden und werden zu Freunden und Ratgebern. Der Donauraum mit seinen | |
unterschiedlichen Akteuren, Institutionen und Bewegungen soll besser | |
verknüpft und Kooperationen auf unterschiedlichstem Gebiet sollen | |
eingefädelt werden. Eine Herkulesaufgabe, die zu bewältigen den Schirm der | |
EU erfordert. Dass [5][Novi Sad derzeit europäische Kulturhauptstadt] ist, | |
sieht Langer als Ergebnis einer von ihm mitorganisierten Kulturkonferenz. | |
Eingefädelt auch durch die 2008 gegründete Europäische Donau-Akademie. | |
Ach ja, Langer ist deren Geschäftsführer. | |
Der verhinderte Schauspieler: „Ich mache, was ich kann.“ Die Berufsberatung | |
erkannte im jungen Langer einen Schauspieler. Heute bereitet er der Kultur | |
Bühnen. „Konsequent“, findet er. | |
Was er nicht kann: „Mich zur Ruhe setzen“, sagt der 72-Jährige, der sich | |
auf einer ewigen Mission sieht: „Die Welt demokratischer und friedlicher zu | |
machen.“ Was er heute anders machen würde? „Nicht mehr Deep Purple zu einem | |
Open Air einladen.“ | |
3 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-den-Wahlen-in-Baden-Wuerttemberg/!5752853 | |
[2] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&… | |
[3] https://www.donaufest.de/ | |
[4] /Gyoergy-Konrad-ist-tot/!5622716 | |
[5] /Europaeische-Kulturhauptstadt/!5823831 | |
## AUTOREN | |
Thomas Vogel | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Ulm | |
Aktivismus | |
Stadtland | |
Der Hausbesuch | |
Der Hausbesuch | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Der Hausbesuch | |
VW | |
dpa | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ulm und Neu-Ulm in Städtekonkurrenz: Unterschätzte kleine Schwester | |
Neu-Ulm hat anders als das größere Ulm keine lange Geschichte, dafür einen | |
griffigen Slogan: „Wir leben neu“. Hat die Stadt was zu bieten? | |
Der Hausbesuch: Die Hüterin der kleinen Bären | |
Waschbären haben es Mathilde Laininger angetan. Sie helfen der Tierärztin | |
beim Ausmisten und lehren sie Geduld. | |
Der Hausbesuch: Erst mal raus in die Welt | |
Als Kind musste sie sich verstecken, später reiste sie viel. Berlin ist für | |
die Holocaust-Überlebende Ruth Winkelmann ihr Zuhause geblieben. | |
Pazifismus in Zeiten des Krieges: Hart, aber nötig | |
Pazifismus konnte den Ukrainekrieg nicht verhindern. Das alte Ideal im | |
Sinne der UN-Charta ist dennoch nötig, um den Krieg tatsächlich zu beenden. | |
Der Hausbesuch: Wenn man in der Nacht singt | |
Erst beforschte sie das Lachen, dann der Nachtigallen Gesang. Heute ist | |
Silke Kipper lieber Lehrerin auf dem Land als Wissenschaftlerin in der | |
Stadt. | |
Neues E-Auto-Werk in Wolfsburg: Gerechtfertigter Protest | |
Klimaaktivist:innen und Anwohner:innen protestieren zu Recht | |
gegen das E-Auto-Werk, mit dem der VW-Konzern seine Zukunft sichern möchte. | |
Mehrkosten bei Stuttgart 21: Stuttgart 21 wird teurer | |
Das Baden-Württembergische Bahnprojekt kostet mehr als erwartet. | |
Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten mittlerweile auf zwölf | |
Milliarden Euro. | |
Vor den Wahlen in Baden-Württemberg: Ulm, du verkanntes Genie! | |
Die Stadt ist mehr als ein bloßer Namenswitz. Hier verbergen sich | |
Pioniercharakter, Ironiefähigkeit – und ein Rest echter Schwäbischkeit. |